04.07.2011, Berlin

Wirtschaftsunternehmen und die argentinische Militärdiktatur

Berlin
04.07.2011, 00:00 Uhr

Die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) sind derzeit Gegenstand zahlreicher laufender Strafverfahren vor argentinischen Gerichten. Die etwa 150 Verurteilungen seit 2005 betreffen bisher in erster Linie die Militärs, Polizisten und Geheimdienstler, die entweder selber gefoltert und gemordet oder dies als Teil der Befehlskette angeordnet haben. Zunehmend wird in der argentinischen Gesellschaft jedoch die Verantwortung ziviler und ökonomischer Akteure diskutiert. Denn ein großer Teil der etwa 30.000 Verschwundenen und von der Diktatur Ermordeten waren Gewerkschafter, die den Militärs und einem Teil der Unternehmerschaft bei der Umgestaltung der argentinischen Gesellschaft im Wege standen.


Die 92-jährige Rosa Roisinblit ist eine langjährige Aktivistin der Großmütter vom Plaza de Mayo. Ihre 22-jährige Tochter Patricia wurde 1978 während einer Schwangerschaft entführt und blieb verschwunden. Der Suche nach den etwa fünfhundert verschwundenen und von den Militärs und ihnen nahestehenden Familien rechtswidrig angeeigneten Kindern haben sich die Großmütter seit über 30 Jahren verschrieben. So konnte im Jahre 2000 der Enkel von Rosa Roisinblit gefunden werden, der von einem Geheimdienstmitarbeiter der Luftwaffe geraubt worden war. Von dieser Arbeit, aber auch von dem hochaktuellen Fall des Medienkonzerns Clarin, wird Rosa Roisinblit berichten. Der Eignerin des Clarin Ernestina Noble wird vorgeworfen, dass ihre beiden Adoptivkinder in Wirklichkeit geraubte Kinder von Regimegegnern sind. Der Medienkonzern bezeichnet die Ermittlungen argentinischer Strafverfolger hingegen als politische Unterdrückungsmaßnahme der Regierung Kirchner.  


In mehreren Fällen ermitteln argentinische Strafverfolger gegen die leitenden Angestellten von Firmen wie Mercedes Benz Argentina, Ford und Ledesma, die im Verdacht stehen, an den Straftaten der Militärs mitgewirkt zu haben. Von diesen Verfahren wird Wolfgang Kaleck berichten, der als Rechtsanwalt und zusammen mit dem ECCHR in den Fällen der verschwundenen Gewerkschafter des Mercedes Benz-Werkes in der Provinz Buenos Aires seit 1999 aktiv beteiligt ist. Zuletzt hat ein Bundesgericht in den USA eine Schadensersatzklage der Familienangehörigen der Verschwundenen zur Entscheidung angenommen. Das ECCHR unterstützte zudem die Ermittlungen gegen den Agrokonzern Ledesma in Jujuy im Norden Argentiniens mit einem Gutachten.


Die Veranstaltung wird von der Soziologin Estela Schindel von der Universität Heidelberg moderiert, die seit Jahren zu verschiedenen Aspekten der Militärdiktatur veröffentlicht und forscht, und findet in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe Narratives of Terror and Disappearance, European Research Council / Universität Heidelberg, statt.

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