19.06.2009, Berlin

Multi-Stakeholder-Consultation on the Right to Food

Berlin
19.06.2009, 00:00 Uhr

Das ECCHR hat am 19. und 20. Juni 2009 in Berlin gemeinsam mit dem UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Prof. Dr. Olivier De Schutter, eine Multi-Stakeholder-Anhörung zum Recht auf Nahrung und zur Rolle von Unternehmen der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie organisiert. Die Anhörung wurde vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland finanziert.
In dieser zweitägigen Anhörung haben Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, der Gewerkschaften und der Wirtschaft sowie Agrar- und Ernährungswissenschaftler darüber diskutiert, welche Rolle und Verant-wortung Wirtschaftsunternehmen bei der Realisierung des Rechts auf Nahrung haben.

Die Menschen, die Nahrung produzieren, sind am meisten von Hunger bedroht
Den meisten Menschen ist es nicht möglich, ihr Recht auf adäquate Nahrung zu verwirklichen, wie es im Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vorgesehen ist. Achtzig Prozent der von Hunger und Mangelernährung Betroffenen sind Kleinbauern, Landarbeiter oder sonstige in der Nahrungsmittelproduktion tätige Personen, wie beispielsweise Fischer. Nur rund zwanzig Prozent der Hungernden leben und arbeiten in städtischen Zentren. Transnationale Unternehmen, die mit Agrarprodukten handeln oder diese weiterverarbeiten, bestimmen durch ihre marktbeherrschende Position in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich den Unterhalt vieler Kleinbauern und damit deren Fähigkeit, sich adäquat zu ernähren. Zudem beeinflussen diese Unternehmen das Recht auf Nahrung der Verbraucher.

Umsetzung bestehender Arbeitsschutznormen in nationales Recht erforderlich
Die Anhörung wurde mit dem Thema Arbeitsrechte im Agrarsektor und in der Lebensmittelproduktion eröffnet. Es wurde deutlich, dass wenig Bedarf für neue gesetzliche Regelungen besteht, da die Arbeitsrechte von Landarbeitern hinreichend durch bestehende Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) geschützt sind. Vielmehr müssen diese bestehenden Regelungen umfassender von den ILO-Mitgliedsstaaten ratifiziert und in nationales Recht umgesetzt werden.

Regionale Bedingungen nachhaltig produzierter und gesunder Nahrungsmittel
Bei der Diskussion über das Recht der Verbraucher auf Zugang zu sicherer, gesunder und nachhaltig produzierter Nahrung wurden zwei Spannungsfelder deutlich: So ist die Forderung nach für alle Menschen erschwinglicher Nahrung mit dem gleichzeitigen Bedürfnis nach gesunder, aber oft kostenintensiver Ernährung nicht unbedingt vereinbar. Auch können die Anforderungen an eine gesunde Ernährung den Anforderungen an nachhaltig produzierten Nahrungsmitteln, die die ökologischen und sozialen Konsequenzen des Anbaus und der Verarbeitung berücksichtigen, widersprechen. Gesunde Nahrungsmittel wie beispielsweise Fisch können in vielen Regionen der Welt nur mit hohem Ressourceneinsatz angeboten werden. Insofern formulierten einige Teilnehmer der Anhörung das Bedürfnis nach einer Matrix, anhand welcher bestimmt werden kann, welche Nahrung in welchem lokalen Kontext als gesund und gleichzeitig unter nachhaltigen Bedingungen produziert gelten kann.

Hunger und Armut als Folge von Umweltzerstörungen
Der Zusammenhang zwischen Ökologie und dem Recht auf Nahrung ist insofern von Bedeutung, da die Agrarindustrie einen erheblichen Beitrag zu Umweltzerstörungen und zum Klimawandel leistet. Diese führen häufig zur Zerstörung von Land und damit zur Zerstörung von Lebensgrundlagen, die Hunger und Armut zur Folge haben.

Unterstützung ökologischer und lokaler Produktionsstrukturen
Als zwei wichtige Möglichkeiten, diesen Dynamiken entgegenzuwirken, sind staatliche Förderungen des ökologischen Landbaus und die Förderung lokaler Produktionsstrukturen hervorgehoben worden. Die Diversität der lokalen Nahrungsmittelmärkte müsse vor einer zu starken Vereinnahmung durch wenige große Supermarktketten geschützt werden.

Bedeutung öffentlicher und privater Standards und Zertifizierungsverfahren
Die Rolle und die Bedeutung von öffentlichen und privaten Standards und Zertifizierungsverfahren bei der Förderung der Ernährungssicherheit wurde kontrovers diskutiert. Während einige Teilnehmer ein stärkeres Engagement der Staaten in der Erstellung und Überwachung solcher Standards und Zertifizierungsverfahren forderten, gaben andere zu bedenken, dass staatliche Beteiligung nicht unbedingt eine Demokratisierung solcher Verfahren bedeuten würde. Es müsse eher auf die Einbeziehung aller betroffener Akteure, insbesondere der Kleinbauern, geachtet werden. Da der Anteil an international gehandelten Agrarprodukten, auf die sich solche Zertifizierungsverfahren beziehen, ausgesprochen gering ist, wurde zum Teil auch der Sinn solcher Verfahren für die von Hunger besonders betroffene Landbevölkerung des globalen Südens in Frage gestellt.

Forderung nach effektiven Beschwerdemechanismen
Zum Abschluss der Anhörung wurden die Marktkonzentrationen, Marktmacht und Preispolitik von Unternehmen der Lebensmittelindustrie und des Lebensmittelhandels behandelt. Viele Teilnehmer stimmten darin überein, dass insbesondere die Konzentration des Lebensmittelhandels in den Händen einiger weniger Unternehmen und auch die sonstigen Strukturen in der Agrarindustrie die Realisierung des Rechtes auf Nahrung erschweren. Zudem wurde die Bedeutung von effektiven gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen Beschwerdemechanismen hervorgehoben, mit denen die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen gegen beteiligte Unternehmen vorgehen können - eine Forderung, die das ECCHR nachdrücklich unterstützt.

Diese Multi-Stakeholder-Anhörung ist die erste in einer Reihe weiterer, die an anderen Orten stattfinden wird. Die Ergebnisse dieser Anhörung werden in den Bericht des Sonderberichterstatters Eingang finden, der Ende 2009 veröffentlicht werden wird.

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