09.10.2008, Berlin

Transnationale Unternehmen und Menschenrechte

Berlin
09.10.2008, 00:00 Uhr

Durch die Globalisierung der Wirtschaftsstrukturen haben sich die Aktivitäten und damit einhergehend die faktische Wirkungsmacht von transnationalen Unternehmen ausgeweitet. Der Umsatz der größten Unternehmen übertrifft oft das Bruttosozialprodukt (BSP) vieler Staaten. Transnationale Unternehmen treffen damit nicht nur Standort- und Produktionsentscheidungen, sondern bestimmen auch die Lebensbedingungen in vielen Ländern. Sie nehmen gegenüber den Nationalstaaten auch in internationalen und transnationalen Rechtsetzungsprozessen eine immer stärker werdende Position ein und können damit in erheblichem Maße politische, soziale und kulturelle Lebensbedingungen mitbestimmen.

Vor diesem Hintergrund veranstaltet das ECCHR am 9. und 10. Oktober 2008 in Berlin in Kooperation mit den Organisationen „Brot für die Welt“ und „Misereor“ eine internationale Tagung zum Thema „Transnationale Unternehmen und Menschenrechte“.


Zur grundsätzlichen Problematik
Seit Mitte der 1970er Jahre haben die Vereinten Nationen, die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) damit begonnen, internationale Richtlinien für transnational tätige Unternehmen zu schaffen, die die Unternehmenstätigkeit in menschenrechtlicher Hinsicht regulieren oder zumindest steuern sollten. Zudem entstanden im letzten Jahrzehnt eine Vielzahl von Verhaltenskodizes auf der Basis privater bzw. nationalstaatlicher Initiativen. Doch Menschenrechtsverletzungen durch oder unter Mitwirkung von Privatunternehmen wurden damit nicht verhindert. Nach wie vor stoßen die Geschäftspraktiken vieler transnationaler Unternehmen im Bezug auf Menschenrechte auf heftige Kritik.

Im Zentrum dieser Kritik steht dabei die Verletzung elementarer Standards zum Schutz der Bevölkerung und der Beschäftigten in den Unternehmen. Öffentliches Aufsehen hat aber auch die direkte bzw. indirekte Beteiligung von Unternehmen an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erregt. Insbesondere Tragödien wie das Chemieunglück im indischen Bhopal, die Verwicklungen des Ölkonzerns Shell in die Hinrichtung des nigerianischen Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa durch das nigerianische Militärregime, die Zwangsumsiedlungen, Repressalien und Korruptionsfälle beim Bau des Dreischluchten-Staudammes in China oder die Finanzierung des Bürgerkrieges in Sierra Leone durch die so genannten Blutdiamanten haben die Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte zum Thema gemacht. Auch die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Tätigkeiten sind in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.

Die rechtliche Verantwortlichkeit transnationaler Unternehmen für die Wahrung der Menschenrechte im weitesten Sinne ist jedoch im Hinblick auf die Normsetzung und die Durchsetzung bestehender Rechtsvorschriften schwierig.
Die Bindung transnationaler Unternehmen an internationales Recht und an Menschenrechtsnormen wird zum Teil in Zweifel gezogen. Zur Verfolgung bestimmter Verbrechen ist auch kein Rechtsweg vor internationalen Menschenrechtsgerichtshöfen gegeben. Die häufig komplizierten Produzenten- und Zuliefererketten sowie die Aufteilung der Unternehmen in verschiedene Tochtergesellschaften erschweren die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche vor nationalen Gerichten und die Einleitung von Strafverfahren gegen transnationale Unternehmen. Ein rechtliches Vorgehen in unterschiedlichen Jurisdiktionen und Verfahrensarten wird daher oft notwendig.

Konzept der Tagung
Die Tagung wird Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Sozial- und Rechtswissenschaften mit den Praktikerinnen und Praktikern der Entwicklungszusammenarbeit, Vertretern von Menschenrechtsorganisationen und der Anwaltschaft zusammenführen. Auf diese Weise sollen theoretisch und analytisch fundiert die Möglichkeiten und Grenzen einer rechtlichen Haftbarmachung von Unternehmen für begangene Menschenrechtsverletzungen ausgelotet werden. Gegen die rechtlichen Möglichkeiten sind aber auch andere, eher auf Freiwilligkeit setzende Modelle abzuwägen. Weiterhin werden die Rolle der zivilgesellschaftlichen Akteure und die (extraterritoriale) Verantwortung der Staaten diskutiert.

Am ersten Tag werden die Auswirkungen der globalisierten Wirtschaftstrukturen auf die Stellung transnationaler Unternehmen und die Bedeutung der Menschenrechte in diesen Strukturen diskutiert. Zudem ist die Rolle der Staaten und der Menschenrechtsbewegung im Diskurs über Wirtschaft und Menschenrechte zu analysieren.

Wir freuen uns, dass der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Prof. Dr. Olivier de Schutter sowie der Völkerrechtler Prof. Dr. Menno Kamminga ihre Teilnahme an der Konferenz als Referenten bereits fest zugesagt haben. Weiterhin werden überaus erfahrene und erfolgreiche Anwälte wie Peter Weiss und Michael Ratner vom Center for Constitutional Rights (CCR) aus den Vereinigten Staaten sowie Colin Gonzalves vom Human Rights Law Network (HRLN) aus Indien, neben weiteren Juristinnen und Juristen aus Indien, Liberia, Südafrika, Nigeria, Argentinien und Deutschland, erwartet.

Am zweiten Tag thematisieren drei Arbeitsgruppen die Problemfelder der extraktiven Industrien und unmenschlichen Arbeitsbedingungen, der Kinderarbeit sowie des Zugangs zu und die Privatisierung von Ressourcen. Die Arbeitsgruppen ermöglichen einen intensiven Austausch zwischen den an der Konferenz Teilnehmenden und den Referierenden. Die Referenten und Referentinnen sind so ausgewählt, dass jedes Thema sowohl aus der Perspektive der Praxis betrachtet wird als auch gleichzeitig eine wissenschaftlich-theoretische Einordnung des Problemfeldes erfolgt.

Am Nachmittag des zweiten Tages wird es um den Umfang der rechtlichen Haftung transnationaler Unternehmen gehen und um die verschiedenen Möglichkeiten einer Haftbarmachung im Wege von Gerichtsverfahren, Soft-Law-Verfahren oder freiwilligen Verhaltenskodizes.

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