Von April 2020 bis Januar 2022 führte das Oberlandesgericht Koblenz den weltweit ersten Prozess wegen Staatsfolter in Syrien. Hauptangeklagter war ein ehemaliger Funktionär des Allgemeinen Geheimdienstdirektorats von Syriens Präsident Baschar al-Assad, Anwar R. Im Januar 2022 verurteilte das Gericht Anwar R. zu lebenslanger Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sein Mitarbeiter Eyad A. wurde bereits im Februar 2022 wegen der Beihilfe zu Folter in mindestens 30 Fällen zu einer Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Seit Juni 2018 ist zudem bekannt, dass der Bundesgerichtshof in Karlsruhe einen Haftbefehl gegen Jamil Hassan, bis Juli 2019 Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdiensts (Air Force Intelligence Service), erließ. Der Haftbefehl, der weltweit vollstreckt werden kann, und der Al-Khatib-Prozess in Koblenz sind Meilensteine im Kampf gegen die Straflosigkeit von Folter in Syrien sowie bedeutsame Schritte für alle Betroffenen von Assads Foltersystem.
Zum Koblenzer Prozess sowie zum Haftbefehl gegen Jamil Hassan trug unter anderem eine Reihe von Strafanzeigen bei, die das ECCHR gemeinsam mit mehr als 50 Syrer*innen – Folterüberlebende, Angehörige, Aktivist*innen und Anwält*innen – seit 2016 in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen eingereichte.
In Syrien sind Folter, Exekution und Verschwindenlassen von Zivilist*innen ebenso üblich wie gezielte Angriffe auf zivile Einrichtungen und flächendeckende Bombardierungen von Wohngebieten. Völkermord und sexualisierte Gewalt sind nur einige der Völkerrechtsverbrechen, die alle Parteien im bewaffneten Konflikt in Syrien begangen haben und weiter begehen.
Die internationale Strafjustiz bietet derzeit kaum Möglichkeiten für die Verfolgung der Verbrechen in Syrien: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) kann nicht tätig werden. Zum einem ist Syrien kein Vertragsstaat, zum anderen blockiert Russland eine Verweisung durch den UN-Sicherheitsrat an den IStGH. Damit bleibt nur der Weg über nationale Gerichte: In einigen Drittstaaten, wie Deutschland, ermöglicht es das Weltrechtsprinzip (oder Prinzip der Universellen Jurisdiktion), die Taten juristisch aufzuarbeiten und niedrig- wie hochrangige Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen.
Das ECCHR arbeitet seit 2012 zu verschiedenen Verbrechen aller Konfliktparteien in Syrien. Dabei kooperiert es mit einem Netzwerk von syrischen, deutschen und internationalen Organisationen und Aktivist*innen.