Tatort Syrien: Verbrechen an der Zivilbevölkerung in Afrin

Afrin – Syrien – Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Im Januar 2018 drangen die türkische Armee und mit ihnen verbündete bewaffnete Milizen in die nordsyrische Region Afrin ein. Die sogenannte Militäroperation "Olivenzweig" dauerte über zwei Monate und begann mit intensiven Luftangriffen, gefolgt von einer Bodeninvasion. Als türkische Streitkräfte und von der Türkei unterstützte bewaffnete syrische Gruppen die Kontrolle über die Region übernahmen, wurde die überwiegend kurdische Bevölkerung aus ihren Häusern vertrieben und ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Was damals begann, dauert bis heute an: Offiziell wird Afrin zwar durch syrische Lokalräte verwaltet, de facto kontrolliert die Türkei die Region jedoch seit März 2018. Die bewaffneten islamistischen Milizen, die zuvor schon unter dem Dach der Syrian National Army (SNA) vielerorts Verbrechen begangen haben, errichteten zudem eine Willkürherrschaft. Mit Wissen der Türkei begehen sie systematisch Gräueltaten wie willkürliche Verhaftungen von Zivilist*innen, sexualisierte Gewalt, Folter, systematische Plünderungen und Tötungen.

Diese von pro-türkischen und auch islamistischen Milizen begangenen Menschenrechtsverletzungen sind Völkerrechtsverbrechen und können überall auf der Welt verfolgt werden. Gemeinsam mit sechs Überlebenden der Taten haben das ECCHR, Syrians for Truth and Justice (STJ) und ihre Partner im Januar 2024 eine Strafanzeige bei der deutschen Bundesanwaltschaft eingereicht, in der sie zu umfassenden Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auffordern.

Fall

Die sogenannte Militäroperation “Olivenzweig” begann am 18. Januar 2018 mit Luftangriffen der türkischen Armee, die vor allem zivile Ziele trafen und den Weg für die bewaffneten Milizen der SNA ebneten, in die grenznahen syrischen Dörfer und schließlich in die Stadt Afrin vorzurücken. Die Türkei verfolgte mit der Offensive unter anderem das Ziel, das im Zuge des syrischen Bürgerkriegs entstandene kurdische Selbstverwaltungsgebiet an der Südgrenze der Türkei militärisch zu verkleinern. Die Kämpfer der SNA riefen die Kontrolle über die eingenommenen Dörfer aus und vertrieben dort verbliebene Anwohner*innen durch systematische Plünderungen und willkürliche Angriffe. Alle Institutionen der zuvor bestehenden autonomen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) in Afrin wurden umgehend aufgelöst und durch neue syrische Verwaltungsstrukturen, initiiert und kontrolliert von der Türkei, ersetzt. Die türkische Währung wurde eingeführt und der Post- und Zahlungsverkehr an die Türkei angeschlossen. Die lokalen Behörden - einschließlich des Gesundheits- und Bildungswesens sowie Teile des Justizwesens - werden seither durch das türkische Gouvernements Hatay kontrolliert.

Anwohner*innen, die in ihre Häuser und Dörfer zurückkehren wollten, fanden diese oft durch Kämpfer besetzt und geplündert vor. Willkürliche Inhaftierungen, Folter, sexualisierte Gewalt und menschenunwürdige Haftbedingungen gehören zum Alltag der verbliebenen Zivilbevölkerung. Die neue Verwaltung baute zudem Siedlungen, um Syrer*innen, die zuvor aus anderen Regionen Syriens in die Türkei geflohen waren, in Afrin anzusiedeln, während die lokale Bevölkerung weiterhin vertrieben wird. Kurdische Straßennamen und Lehrpläne wurden durch Arabische oder Türkische ersetzt, das kurdische Neujahrsfest Newroz verboten. Während die Bevölkerung in Afrin historisch gesehen der am dichtesten kurdisch besiedelten Teil Syriens war, werden Kurd*innen nach den systematischen Vertreibungen zu einer immer kleiner werdenden Minderheit.

Die Strafanzeige von ECCHR und  STJ befasst sich mit den in Afrin begangenen Menschenrechtsverletzungen der bewaffneten Milizen: Diese umfassen die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung, die Verletzung von Eigentumsrechten der lokalen Bevölkerung, die gewalttätige Unterdrückung der Zivilbevölkerung insbesondere durch Haft und Folter, gezielte Tötungen sowie die Zerstörung von Kulturgütern.

 

Kontext

Nach dem Weltrechtsprinzip kann  Deutschland Völkerstraftaten unabhängig davon verfolgen, wer sie begangen hat, wo sie begangen wurden oder gegen wen sie gerichtet waren. Deutschland nimmt in der Aufarbeitung der Verbrechen des syrischen Regimes spätestens seit dem Al-Khatib-Verfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz eine wegweisende Rolle ein. Die Bundesanwaltschaft hat 2014 ein Strukturermittlungsverfahren zu den Verbrechen nichtstaatlicher Akteure im syrischen Konflikt eröffnet.

Bislang standen die Verbrechen der Assad-Regierung im Fokus der Arbeit des ECCHR. Mit dieser Strafanzeige zu Völkerrechtsverbrechen in Afrin fordern das ECCHR und Syrians for Truth and Justice nun die Generalbundesanwaltschaft auf, die Taten der pro-türkischen bewaffneten Milizen gegen die kurdische Bevölkerung in Syrien zu untersuchen. Die Übergangsjustiz für Syrien muss alle Akteure einbeziehen, die Verbrechen begangen haben, und auch das besondere Leid berücksichtigen, das ethnischen Minderheiten zugefügt wurde.

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