Seit 2012 arbeitet das ECCHR an der Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien. Dabei kooperiert es mit einem Netzwerk syrischer Partner, das sich insbesondere aus Betroffenen und Überlebenden, Aktivist*innen und Anwält*innen zusammensetzt. Sie alle kämpften in den letzten 13 Jahren zusammen mit internationalen Verbündeten unermüdlich für Gerechtigkeit und die Aufarbeitung der Verbrechen des syrischen Regimes und anderer Akteure.
Von April 2020 bis Januar 2022 führte das Oberlandesgericht Koblenz das weltweit erste Strafverfahren wegen Staatsfolter in Syrien. Hauptangeklagter war ein ehemaliger Funktionär des Allgemeinen Geheimdienstdirektorats des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, Anwar R. Im Januar 2022 verurteilte das Gericht Anwar R. zu lebenslanger Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sein Mitarbeiter Eyad A. wurde bereits im Februar 2021 wegen der Beihilfe zu Folter in mindestens 30 Fällen zu einer Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Seit Juni 2018 ist zudem bekannt, dass der Bundesgerichtshof in Karlsruhe einen Haftbefehl gegen Jamil Hassan, bis Juli 2019 Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdiensts (Air Force Intelligence Service), erließ. Sowohl der Haftbefehl, der weltweit vollstreckt werden kann, als auch das Al-Khatib-Verfahren in Koblenz sind Meilensteine im Kampf gegen die Straflosigkeit in Syrien sowie bedeutsame Schritte für alle Betroffenen von Assads Foltersystem. Dazu trugen unter anderem eine Reihe von Strafanzeigen bei, die das ECCHR gemeinsam mit mehr als 100 Syrer*innen – Folterüberlebende, Angehörige, Aktivist*innen und Anwält*innen – seit 2016 in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen einreichte.
Im Januar 2024 reichten wir zudem eine Strafanzeige gegen von der Türkei unterstützte Milizen, wie die Syrische Nationalarmee (SNA), ein, die seit der Militäroperation „Olivenzweig“ in der nordsyrischen Region Afrin im Jahr 2018 Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an der mehrheitlich kurdischen Zivilbevölkerung begehen.
Für die Dauer der Herrschaft Assads standen der Aufarbeitung der Völkerrechtsverbrechen große Hürden im Weg. Zum einem ist Syrien kein Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs, zum anderen blockierten russische und chinesische Vetos im UN-Sicherheitsrat eine Verweisung der Situation an den IStGH. Damit blieb nur der Weg über nationale Gerichte: In einigen Drittstaaten, wie etwa in Deutschland, ermöglicht es das Weltrechtsprinzip (oder Prinzip der Universellen Jurisdiktion), die Taten juristisch aufzuarbeiten und niedrig- wie hochrangige Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen.
Der Sturz des Assad Regimes nach 54 Jahren Diktatur und 13 Jahren blutigem Bürgerkrieg eröffnet neue Wege der juristischen Aufarbeitung der Diktaturverbrechen, welche zuvor verschlossen waren. Wie genau ein Prozess der Aufarbeitung und Wiedergutmachung aussehen soll, diskutieren nun die syrische Zivilgesellschaft zusammen mit der internationalen Gemeinschaft.