"Caesar"-Fotos belegen systematische Folter in Syrien

Gruppe um Ex-Mitarbeiter der syrischen Militärpolizei übergibt Generalbundesanwalt wichtige Belege

Syrien – Folter – Caesar

Tausende Fotos von Leichen aus Haftanstalten der syrischen Regierung, alle in hoher Auflösung – das sind wichtige Belege für die Ermittlungen zu den Menschenrechtsverbrechen unter Syriens Präsident Baschar al-Assad.

Die sogenannten Caesar-Fotos und die dazugehörigen Daten sowie Zeug*innenaussagen von syrischen Folterüberlebenden haben dazu beigetragen, dass der Bundesgerichshof (BGH) im Juni 2018 einen international vollstreckbaren Haftbefehl gegen Jamil Hassan ausstellte. Hassan war bis Juli 2019 Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes und somit verantwortlich für Folter in tausenden Fällen. Im September 2024 reichte die Caesar Families Association (CFA) gemeinsam mit dem ECCHR eine ergänzende Strafanzeige ein.

Fall

Die sogenannten Caesar-Fotos, die zwischen Mai 2011 und August 2013 vom unter dem Decknamen „Caesar“ bekannten Überläufer der syrischen Militärpolizei aufgenommen wurden, sind ein einzigartiger Beweis für die Folter- und Tötungsmaschinerie der syrischen Regierung. Sie haben Beweiskraft, da die an den Körpern der Leichen sichtbaren Verletzungen Hinweise darauf liefern, dass (und wie) Gefangene in Einrichtungen des syrischen Militärgeheimdienstes und der Militärpolizei gefoltert und getötet wurden. Darüber hinaus ermöglichen die Bilder den Angehörigen, ihre vermissten Angehörigen zu identifizieren und sich Klarheit über ihr Schicksal zu verschaffen.

Im September 2017 hat die Caesar Files Group gemeinsam mit dem ECCHR beim Generalbundesanwalt (GBA) in Karlsruhe gegen Jamil Hassan und weitere hochrangige Funktionäre der syrischen Geheimdienste und der Militärpolizei eine Strafanzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen eingereicht. Bei dieser Gelegenheit übergab ein Vertreter der Gruppe dem GBA einen Datensatz mit Bilddateien in hoher Auflösung.

Im September 2024 reichte die Caesar Families Association (CFA) gemeinsam mit dem ECCHR eine ergänzende Strafanzeige ein. Diese bezieht sich auf vier konkrete Fälle von Mord, willkürlichen Inhaftierungen, zwangsweisem Verschwindenlassen und Folter, in denen Angehörige ihre getöteten Familienmitglieder anhand der sogenannten Caesar-Fotos identifizieren konnten. Mit der Strafanzeige erneuern CFA und das ECCHR ihre Forderung an den Generalbundesanwalt, umfassende Ermittlungen gegen hochrangige Funktionäre des syrischen Regimes, wie etwa Jamil Hassan und Ali Mamlouk, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuleiten. Deutschland kommt im Kampf gegen die Straflosigkeit in Syrien eine Schlüsselrolle zu, da es eines der Länder ist, das die Verbrechen in Syrien am aktivsten verfolgt.

Kontext

Die Bilder, die dem GBA vorliegen, wurden zwischen Mai 2011 und August 2013 in Syrien aufgenommen, von der Caesar Files Group gesichert und außer Landes gebracht. Sie zeigen Leichen von Menschen, die in Haftanstalten der syrischen Regierung gefoltert wurden und gestorben sind.

Die Metadaten und die gemeinsame Strafanzeige des ECCHR und der Caesar Files Group liefern Hinweise auf Orte, Institutionen, Foltermethoden und Todesursachen. So wurde anhand der Fotos im Auftrag der Bundesanwaltschaft ein rechtsmedizinisches Gutachten erstellt, das planmäßige, systematische und massive Folter als wahrscheinliche Todesursache belegt. Dieses Gutachten wurde sowohl im Al-Khatib-Prozess vor dem OLG Koblenz verwendet und auch im laufenden Prozess gegen den wegen Folter angeklagten syrischen Arzt Alaa M. vor dem OLG Frankfurt in das Verfahren eingeführt. Neben Jamil Hassan richtet sich die Anzeige gegen die Leiter des Nationalen Sicherheitsbüros, des Militärgeheimdienstes, des Allgemeinen Geheimdienstdirektorats und der Militärpolizei in Syrien.

Die einzelnen Taten – von Folter über zwangsweises Verschwindenlassen bis hin zu Mord – wurden im Rahmen eines umfassenden und systematischen Angriffs gegen die syrische Zivilbevölkerung begangen. Auch wenn die juristische Aufarbeitung durch Verfahren wie das zur syrischen Staatsfolter am Oberlandesgericht Koblenz international voranschreitet, bleiben viele Verbrechen im Kontext des Syrienkonflikts bis heute ungesühnt.

Zitate

Grundlagen

Dieses Q&A informiert über die rechtlichen Grundlagen der Syrien-Strafanzeige.

Primäres Ziel der Strafanzeige, die die Caesar Families Association (CFA) gemeinsam mit dem ECCHR am 23. September 2024 eingereicht hat, ist es, weitere personenbezogene Ermittlungsverfahren, in denen die beschriebenen Verbrechen juristisch aufgearbeitet werden. Dies sollte gemeinsam mit den Angehörigen der getöteten Personen sowie Überlebenden der Taten geschehen.

Das ECCHR setzt darauf, dass den Ermittlungen zur Strafanzeige weitere Anklagen gegen hochrangige Täter*innen und weitere (internationale) Haftbefehle folgen. Dies soll nicht zuletzt auch das öffentliche Bewusstsein über die Menschenrechtsverbrechen in Syrien stärken und den Druck auf die internationale Strafjustiz erhöhen.

Die Anzeigeerstatter*innen sind Angehörige von Personen, die nach ihrer Festnahme in Syrien verschwanden. Den Angehörigen gelang es, ihre getöteten Familienmitglieder - häufig erst viele Jahre später - anhand der so genannten Caesar-Fotos zu identifizieren.

Die Anzeigeerstatter*innen sind außerdem Mitglieder der Caesar Families Association (CFA), mit denen das ECCHR die vorliegende Anzeige erstattete. Erstmals schließt sich mit der Caesar Families Association eine Opferorganisation den bestehenden Bemühungen um Aufarbeitung an. Damit erweitern sich die Bemühungen, Gerechtigkeit für die syrische Gemeinschaft zu erlangen dahingehend, dass auch Betroffene sich eigenständig organisieren, eigene Strukturen erschaffen und pro-aktiv an der juristischen Aufarbeitung der Taten teilnehmen.

Die Caesar-Fotos bestehen aus mehr als 26.938 Fotoaufnahmen von insgesamt 6.821 getöteten Personen, die über den Zeitraum von Mai 2011 bis August 2013 aufgenommen wurden. Etwas mehr als die Hälfte der Aufnahmen zeigen leblose Körper von Gefangenen, die in einer der zahlreichen Haftanstalten der syrischen Regierung gefoltert und getötet wurden. Die Aufnahmen entstanden im Rahmen eines routinierten Ablaufes innerhalb der syrischen Militärpolizei. Ein ehemaliger Militärfotograf, bekannt unter dem Pseudonym „Caesar“, hatte die Fotos aufgenommen und mit Hilfe von Unterstützer*innen aus dem Land geschmuggelt, um sie schließlich unter anderem an europäische Strafverfolgungsbehörden zu übergeben.

Der Beweiswert der Fotos besteht zum einen darin, dass die Verletzungen der fotografierten Körper Rückschlüsse darauf zulassen, dass und wie die Gefangenen in den Haftanstalten der syrischen Geheimdienste und der Militärpolizei gefoltert und getötet wurden. Zudem belegen die Fotos angesichts ihrer großen Menge und des bürokratischen Verfahrens, in dessen Kontext sie aufgenommen wurden, die Systematik der Folter und Tötung von Gefangenen unter der Regierung von Syriens Präsident Baschar al-Assad. 

Darüber hinaus lassen sich die Bilddateien anhand ihrer Metadaten auf ihre Echtheit überprüfen. Metadaten enthalten in der Regel Informationen über das Aufnahmegerät, mit dem das entsprechende Bild aufgenommen wurde, sowie zusätzliche Informationen, die über den Aussagegehalt des eigentlichen Bildes hinausgehen, wie etwa der Aufnahmeort und der Aufnahmezeitpunkt. Diese Daten (z.B. die Gerätenummer der Kamera, oder die sog. „Hash-Nummer“ des einzelnen Fotos) ermöglichen es, sicherzustellen, dass es sich bei den Fotos um echte Aufnahmen und nicht um Fälschungen handelt.

Aus diesen Gründen dienten die Caesar-Fotos sowohl im weltweit ersten Prozess gegen zwei Täter des Assad-Regimes vor dem OLG Koblenz als auch bei weiteren Verfahren und Ermittlungen gegen syrische Regime-Angehörige (wie etwa in Frankreich) als äußerst wichtiges Beweismittel.

Die aktuelle Strafanzeige betrifft vier Fälle von Mord, willkürlicher Inhaftierung, Verschwindenlassen und Folter begangen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie richtet sich gegen hochrangige Funktionäre des syrischen Regimes, unter ihnen Angehörige des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, des Militärgeheimdienstes und des Nationalen Sicherheitsbüros.

Einerseits fordern wir damit die Einleitung weiterer personenbezogener Ermittlungsverfahren, andererseits können die darin enthaltenen Informationen und Beweismittel bestehende Strukturermittlungsverfahren erweitern.

Das ECCHR unterstützt mit der aktuellen Strafanzeige die Bemühungen Betroffener, sich aktiv an der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen des syrischen Regimes zu beteiligen. 

Mit der Strafanzeige wird außerdem ein Signal ausgesandt, dass die juristische Aufarbeitung des syrischen Konflikts noch lange nicht zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht wurde, auch wenn in Frankreich in Abwesenheit hochrangige Regime-Angehörige verurteilt wurden. Zahlreiche Verbrechen werden in Syrien auch heute begangen, Personen verschwinden, in Haftanstalten werden weiterhin Personen gefoltert. Dies gilt es auch im Kontext aktueller politischer Entwicklungen stets im Blick zu behalten.

Unsere Strafanzeigen beruhen auf den Aussagen von Familienangehörigen verschwundener Personen, die unter Inkaufnahme hoher persönlicher Risiken, bei sowie zahlreicher Frauen und Männer, die in verschiedenen „Abteilungen“ (Haftanstalten) der syrischen Geheimdiensten und der Militärpolizei nach ihren Angehörigen suchte t waren. Hinzu kommen die Fotos und Metadaten der Caesar Fotografien mit ihrem einzigartigen Wert für mögliche Ermittlungen.

Neben den Aussagen der Betroffenen dienen öffentlich zugängliche Dokumente und Berichte als Quellen für diese Strafanzeige. Viele der Verbrechen in Syrien, darunter auch Folter, sind durch internationale und syrische Menschenrechtsorganisationen sorgfältig und über Jahre dokumentiert worden. In ihrer Gesamtheit beweisen die Aussagen der Überlebenden und Zeug*innen, offizielle Dokumente sowie Bilder von Opfern und Tatorten, dass sich das syrische Regime systematischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat. Entsprechend hat dies auch das Oberlandesgericht Koblenz im Al-Khatib-Verfahren gesehen. Die Urteile gegen Eyad A. und Anwar R. sind inzwischen rechtskräftig.

In Syrien herrscht weiterhin absolute Straflosigkeit und auch in absehbarer Zeit ist dort an eine Strafverfolgung von Täter*innen aus den Reihen des Assad-Regimes nicht zu denken.

Die Internationale Strafjustiz bietet seit 2002 durch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) grundsätzlich die Möglichkeit, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vor eben dieses Gericht in Den Haag zu bringen. Doch derzeit gibt es kaum Chancen für die Verfolgung der Verbrechen in Syrien durch den IStGH. Denn der Gerichtshof kann nicht tätig werden, zum einem ist Syrien kein Vertragsstaat, zum anderen blockiert Russland eine Verweisung durch den UN-Sicherheitsrat an den IStGH.

Immerhin hat der UN-Menschenrechtsrat eine unabhängige Untersuchungskommission zu Syrien eingerichtet: Die Ermittler*innen sammeln seit mehr als fünf Jahren Beweise gegen alle Kriegsparteien. Sie arbeiten in den Nachbarstaaten Libanon, Jordanien, Irak und der Türkei. Die Informationen der UN-Kommission sind unerlässlich für eine zukünftige juristische Aufarbeitung.

Im Dezember 2016 initiierte die UN-Generalversammlung zusätzlich den „International, Impartial and Independent Mechanism to Assist in the Investigation and Prosecution of those Responsible for the Most Serious Crimes under the International Law Committed in the Syrian Arab Republic since March 2011“, kurz IIIM.

Schwere Verbrechen berühren die internationale Gemeinschaft als Ganzes und dürfen nicht unbestraft bleiben. Deshalb ist es Aufgabe auch der nationalen Gerichtsbarkeiten in Drittstaaten wie Deutschland, die schweren Verbrechen in Syrien zu ermitteln und zur Anklage zu bringen.

In Deutschland ermöglicht das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), das 2002 in Kraft trat, eine Strafverfolgung der Verbrechen in Syrien. Mit dem VStGB wurde das nationale deutsche Strafrecht an die Regelungen des Völkerstrafrechts, insbesondere an das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, angepasst.
Das im VStGB verankerte Weltrechtsprinzip schafft die Voraussetzung der Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen durch die deutsche Strafjustiz. Laut VStGB darf der GBA auch dann ermitteln, wenn diese Verbrechen im Ausland begangen wurden. Das heißt, es besteht Strafbarkeit nach deutschem Recht unabhängig davon, wo, von wem und gegen wen sie begangen werden.

Seit 2011 führt der Generalbundesanwalt mehrere personenbezogene Ermittlungen zu in Syrien begangenen Straftaten sowie Strukturermittlungsverfahren, in denen Verbrechenskomplexe in Syrien untersucht werden. Auch die Reihe von Strafanzeigen zu Folter in Syrien, die das ECCHR zusammen mit fast 100 syrischen Folterüberlebenden, Angehörigen, Aktivist*innen und Anwält*innen seit 2017 in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen einreichte, trugen zu den Ermittlungen bei. Diese Ermittlungen waren Grundlage für das sogenannte Al-Khatib-Verfahren, den ersten Prozess weltweit zu Staatsfolter in Syrien.

Im deutschen Rechtssystem zeigt man mit einer Strafanzeige, technisch gesehen, einen Sachverhalt (eine mutmaßliche Straftat) an. Die Verdächtigen dafür zu ermitteln, ist dann Aufgabe der Ermittlungsbehörden.

Die Strafanzeigen, die das ECCHR zusammen mit den Anzeigeerstatter*innen aus Syrien eingereicht hat, betreffen u.a. das Verbrechen der systematischen Folter in Haftanstalten der syrischen Geheimdienste und der Militärpolizei. Systematische Folter ist nach dem Völkerstrafgesetzbuch als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu qualifizieren.

Die Anzeigen richten sich gegen zahlreiche namentlich bekannte und weitere unbekannte Mitarbeiter*innen des syrischen Militärgeheimdienstes und der syrischen Regierung, die aller Vermutung nach für die angezeigten Verbrechen die Verantwortung tragen.

Auch wenn hochrangige Angehörige des Regimes - zum Teil in Abwesenheit (Frankreich) - verurteilt wurden, leben zahlreiche weitere Verdächtige weiterhin unbehelligt. Dies wollen wir mit unserer erneuten Strafanzeige gemeinsam mit unserer Partnerorganisation Caesar Families Association (CFA) ändern.

Im Fall einer Strafverfolgung in einem Drittstaat ist eine Strafanzeige oft der erste Schritt auf dem Weg zu Ermittlungen. Eine Anzeige soll den GBA auf eine bestimmte Situation oder Tat aufmerksam machen, die aus der Sicht der Anzeigeerstatter*innen einen Straftatbestand erfüllt, sprich ein Verbrechen sein könnte.

Der GBA ermittelt bereits in verschiedenen Strukturverfahren zu Syrien, sammelt Beweise und sichert sie. In personenbezogenen Verfahren geht es jedoch zumeist um Täter*innen niederen Ranges, da diese öfter in Europa angetroffen werden und vor Gericht gestellt werden können. Mit den Strafanzeigen des ECCHR soll der GBA gezielt gegen Personen, die Führungspositionen bei den syrischen Geheimdiensten und der Militärpolizei bekleiden oder bekleideten, ermitteln und beim Bundesgerichtshof internationale Haftbefehle gegen sie erwirken.

Im Mai 2018 war es tatsächlich so weit: Der Bundesgerichtshof (BGH) erließ einen internationalen Haftbefehl gegen Jamil Hassan, der bis Juli 2019 Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdiensts war.

Was bringt ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofs gegen einen hochrangigen Amtsträger aus Syrien? Haftbefehle gegen die Verantwortlichen für die systematische Unterdrückung und Folter unter Assad sind ein wichtiges Signal für die Überlebenden, für die Angehörigen der Betroffenen und auch für diejenigen, die immer noch in den Gefängnissen der Assad-Regierung inhaftiert sind.

Die Tatsache, dass der GBA ein personenbezogenes Ermittlungsverfahren gegen einen verantwortlichen syrischen Amtsträger wegen Völkerrechtverbrechen in Syrien einleitete, und der Bundesgerichtshof (BGH) daraufhin einen internationalen Haftbefehl erließ, war ein erster konkreter Schritt, um der Straflosigkeit in Syrien ein Ende zu setzen.

Wie Jamil Hassan halten sich die meisten hochrangigen Verantwortlichen für Folter und andere Menschenrechtsverbrechen unter Assad zwar in Syrien auf, doch wenn ein internationaler Haftbefehl vorliegt und sie das Land verlassen, können sie verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert werden. Die deutsche Justiz ist dann in der Lage, Anklage zu erheben und ein Gerichtsverfahren zu eröffnen. Entsprechend hatte der Bundesgerichtshof im April 2019 einen Haftbefehl gegen den ehemaligen IS-Anhänger Taha al-J. erlassen. Dieser wurde im Mai 2019 in Griechenland festgenommen und aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Bundesanwaltschaft im Oktober 2019 an die Bundesrepublik Deutschland überstellt und hier vor Gericht gebracht.

Dass internationale Haftbefehle gegen hochrangige Politiker*innen oder Militärs durchaus möglich und wirksam sind, lehrt der Fall des chilenischen Diktators Augusto Pinochet. 1998 erließ der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón einen internationalen Haftbefehl wegen Völkermordes gegen Pinochet. Bei einem Aufenthalt in London verhaftete Scotland Yard den ehemaligen Diktator und der damalige britische Innenminister Jack Straw stimmte der Auslieferung an Spanien zu. Zwar erreichte die chilenische Regierung eine Freilassung aus humanitären Gründen, doch letzten Endes eröffnete die Verhaftung Pinochets die juristische Aufarbeitung der Diktaturverbrechen in Chile.

Als Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Arabischen Republik Syrien steht Baschar al-Assad an der Spitze der Pyramide des militärischen Berichts- und Befehlswesens. Er hat die Oberbefehlsmacht über die Handlungen aller Sicherheits- und Militärinstitutionen, d.h. auch der vier syrischen Geheimdienste, des Verteidigungsministeriums und des Nationalen Sicherheitsbüros. Damit trägt Präsident Assad unzweifelhaft die Verantwortung für deren Straftaten.

Als amtierendes Staatsoberhaupt ist Assad vor Strafverfolgung durch nationale Gerichte in Drittstaaten geschützt. In Deutschland steht ihm nach Paragraf 20 Abs. 2 GVG und Art. 25 GG die völkerrechtliche Immunität ratione personae zu. Das bedeutet, dass derzeit kein Strafverfahren gegen ihn geführt werden kann. Dennoch sammelt der GBA im Rahmen des Strukturermittlungsverfahrens auch Beweise für mögliche Straftaten Assads. Diese Erkenntnisse können genutzt werden, wenn er nicht mehr Präsident ist, oder wenn eines Tages der IStGH oder ein Sondertribunal zum Syrien-Konflikt Anklage gegen Assad erheben.

Ein Pariser Berufungsgericht hat im Mai 2024 jedoch entschieden, einen (französischen) Haftbefehl gegen Bashar al-Assad aufrechtzuerhalten. Im entsprechenden Verfahren soll Assad für den Chemiewaffeneinsatz gegen seine eigene Bevölkerung zur Verantwortung gezogen werden. Das Pariser Gericht sah eine solche Tat als nicht vom Aufgabenbereich eines Staatsoberhaupts umfasst und verneinte in diesem Fall eine Immunität.

Um die systematischen und flächendeckenden Menschenrechtsverbrechen in Syrien aufzuarbeiten, müssen weitere rechtliche Interventionen folgen – gegen die Assad-Regierung, gegen transnationale Unternehmen, gegen die Staaten, die in dem Konflikt militärisch intervenieren, und gegen bewaffnete Gruppen wie den IS.

Ohne Gerechtigkeit für die Betroffenen der Verbrechen in Syrien wird es auch keine politische Lösung für den Konflikt geben. Die juristische Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen ist für jeden Einzelnen unerlässlich. Sie hat aber auch eine nachhaltige Bedeutung für den Aufbau einer rechtstaatlichen und demokratischen Gesellschaft nach einem Ende des Kriegs in Syrien.

Themen für mögliche weitere rechtliche Schritte sind die Lieferung konventioneller Waffen, anderer Rüstungsgüter oder Überwachungstechnologie an die Konfliktparteien sowie die gezielte sexualisierte Gewalt gegen Frauen und der Einsatz von Chemiewaffen in Syrien.

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