Die Bundesanwaltschaft hat heute mitgeteilt, dass sie Anklage nach dem Weltrechtsprinzip gegen Alaa M. erhoben hat, ein syrischer Arzt, der nach Deutschland geflohen ist. M. ist angeklagt in 18 Fällen Menschen gefoltert und einen dieser Menschen anschließend getötet haben. In vier der Fälle ist er angeklagt, einem Menschen schwere körperliche und seelische Schäden zugefügt zu haben. In zwei Fällen soll er versucht haben, einen anderen Menschen der Fortpflanzungsfähigkeit zu berauben. M. wurde bereits im Juni 2020 wegen des dringenden Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Er soll als Arzt und Mitarbeiter des Geheimdienstes in dem Militärkrankenhaus Mezzeh Nr. 601, das als "Human Slaughterhouse" bekannt ist und in dem die sogenannten Caesar-Fotos aufgenommen wurden, dem Militärkrankenhaus Nr. 608 sowie dem Gefängnis der Abteilung 261 des Militärischen Geheimdiensts in Homs an sexualisierter Gewalt, Folter und Tötung von syrischen Zivilisten beteiligt gewesen sein. Der Prozess könnte noch in diesem Jahr vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main beginnen.
„Die schweren Verbrechen an Syriens Zivilgesellschaft finden nicht nur in den Haftanstalten der Geheimdienste statt: Syriens staatliches Folter- und Vernichtungssystem ist komplex und besteht nur dank der Unterstützung ganz unterschiedlicher Akteure“, erklärt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). „Mit dem Prozess gegen Alaa M. könnte erstmals die Rolle von Militärkrankenhäusern und medizinischem Personal in diesem System aufgearbeitet werden. Es ist ein wichtiger Schritt der deutschen Justiz, fortzusetzen, was mit dem Verfahren gegen Anwar R. in Koblenz begonnen wurde“, so Kaleck weiter.
Besonders deutlich wurde die Rolle der Militärkrankenhäuser im Unrechtsapparat von Syriens Präsident Baschar al-Assad durch die sogenannten Caesar-Fotos: Die Bilder eines syrischen Militärfotografen, der desertierte und die Aufnahmen außer Landes brachte, zeigen tausende Leichen, oft mit offensichtlichen Spuren von Folter. Ein großer Teil der Fotos wurde nachweislich in Militärkrankenhäusern in und um Damaskus aufgenommen. Auch Zeugen im Al-Khatib-Verfahren, das seit April 2020 vor dem Oberlandesgericht Koblenz verhandelt wird, haben auf die Beteiligung von medizinischem Personal an den Verbrechen der syrischen Regierung – insbesondere unterlassene medizinische Versorgung – hingewiesen.
Bedeutung könnte dem Prozess zudem für die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in Syrien zukommen. Die Bundesanwaltschaft wirft Alaa M. unter anderem vor, die Genitalien eines Jungen verletzt zu haben. „Sexualisierte Gewalt wird in Syrien gezielt als Waffe gegen die Opposition eingesetzt. Die Betroffenen leiden nicht nur unter den körperlichen und psychischen Folgen, sondern werden in der Gesellschaft stigmatisiert und diskriminiert“, erläutert Kaleck. „Der Prozess gegen Alaa M. könnte sie endlich sichtbarer machen und so auch ein wichtiges Zeichen an die vielen Überlebenden senden, die bisher geschwiegen haben.“
Das ECCHR hat die Ermittlungen im Fall Alaa M. unterstützt und bereits 2017 eine Anzeige, unter anderem zu Straftaten des Militärgeheimdienstes in Homs, eingereicht. Im Verfahren betreut das ECCHR einen Betroffenen, der sich der Nebenklage anschließen will und von einem ECCHR-Partneranwalt vertreten wird.
Seit 2017 hat das ECCHR insgesamt sieben Strafanzeigen zu den Verbrechen der Assad-Regierung bei Ermittlungsbehörden in Deutschland, Schweden, Norwegen und Österreich eingereicht. Im Koblenzer Al-Khatib-Prozess unterstützt das ECCHR 29 Folterüberlebende, darunter 14 Nebenkläger*innen.