KiK: Der Preis der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie Südasiens

Betroffene von Fabrikbrand in Pakistan verklagen KiK

Pakistan – Textilindustrie – KiK

Haftung statt Freiwilligkeit: Das fordern die Überlebenden und Hinterbliebenen des verheerenden Brandes in der Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi (Pakistan) bis heute. Am 11. September 2012 starben dort 258 Menschen, 32 wurden verletzt. Hauptkunde der Fabrik war nach eigenen Angaben der deutsche Textildiscounter KiK.

Deswegen reichten im März 2015 Muhammad Hanif, Muhammad Jabbir, Abdul Aziz Khan Yousuf Zai und Saeeda Khatoon, Überlebende und Hinterbliebene des Brands, beim Landgericht Dortmund Klage auf Schadensersatz gegen KiK ein. Im Januar 2019 wies das Gericht wegen Verjährung ab. KiK hatte zunächst einem Verjährungsverzicht zugestimmt, später aber darauf bestanden, dass dieser unwirksam sei. Nicht inhaltliche, sondern formale Gründe entschieden den Fall. Die entscheidenden Fragen zur Unternehmenshaftung blieben unbeantwortet.

Fall

Als Hauptkunde der Fabrik wäre es für KiK ein Leichtes gewesen, Brandschutzverbesserungen einzufordern. Das ist aber offenbar nicht geschehen. Damit ist KiK mitverantwortlich für die 258 Toten des Fabrikbrands. Deshalb forderten die Betroffenen je 30.000 Euro Schmerzensgeld von KiK. Das Verfahren gegen KiK sollte klar machen: Transnationale Unternehmen sind auch für die Arbeitsbedingungen in ihren Tochter- und Zulieferbetrieben im Ausland verantwortlich.

KiK gelang es, sich mit Verweis auf eine mögliche Verjährung im pakistanischen Recht seiner Sorgfaltspflicht und seiner Mitverantwortung für die 258 Toten in seiner Zulieferfabrik zu entziehen. Dem widersprachen das ECCHR und sein Partneranwalt Remo Klinger, der die pakistanischen Kläger*innen vor Gericht vertrat. Nach deutschem Recht sind die Ansprüche unstreitig nicht verjährt.

Die Klage, die das ECCHR mit der Betroffenenorganisation AEFFAA und der pakistanischen Gewerkschaft NTUF initiierte und die medico international unterstützte, war die erste dieser Art in Deutschland.

Kontext

Im Dezember 2020 endete zudem die letzte gerichtliche Auseinandersetzung in Europa um den Ali-Enterprises-Brand, als der italienische Zertifizierer RINA in einem OECD-Mediationsverfahren in Italien seine Unterschrift verweigerte.

Die Erfahrungen aus der transnationalen Kooperation zwischen den Betroffenen, der pakistanischen Gewerkschaft NTUF, dem ECCHR und weiteren deutschen und europäischen Partnern werden im Frühjahr 2021 in einem Sammelband veröffentlicht. Die Publikation lässt Akteure aus Pakistan und Deutschland zu Wort kommen. Sie analysiert zudem, welche Rolle juristische Interventionen bei der Verteidigung sozialer Menschenrechte in globalen Zulieferketten haben können.

Media

Saeeda Khatoon verlor ihren Sohn bei dem Fabrikbrand in Karatschi. © Foto: ECCHR
Saeeda Khatoon verlor ihren Sohn bei dem Fabrikbrand in Karatschi. © Foto: ECCHR

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Personen

Muhammad Hanif, Muhammad Jabbir, Abdul Aziz Khan Yousuf Zai und Saeeda Khatoon reichten zusammen mit dem ECCHR eine Schadensersatzklage gegen KiK ein.

Muhammad Hanif hat den Brand überlebt. Doch seit dem Fabrikbrand hat er starke gesundheitliche Probleme, vor allem Atembeschwerden und Schmerzen in der Lunge. Muhammad Hanif arbeitete seit seinem neunten Lebensjahr für Ali Enterprises. Die Schule hatte er aus finanziellen Gründen nach vier Jahren abbrechen müssen. Seitdem arbeitete er als Maschinenbediener in der Fabrik. Als Maschinenbediener verdiente Muhammad Hanif bei Ali Enterprises monatlich etwa 18.000-20.000 pakistanische Rupien (etwa 155-175 Euro). Mit seinem Lohn ernährte er sich und seine Ehefrau.

Als das Feuer ausbrach, arbeitete Hanif gerade im ersten Stockwerk der Fabrik. Er erkannte die Gefahr und versuchte, das Gebäude sofort zu verlassen. Doch die Haupttreppe war versperrt, Notausgänge verschlossen. Überall waren Rauch und Feuer. Hanif wollte sich durch ein Fenster retten, doch das Eisengitter davor ließ sich nicht bewegen. Letztendlich gelang es ihm, einen Teil der Lüftungsanlage aus der Wand zu brechen und aus dem Gebäude zu springen. Einmal draußen, half er Kolleg*innen, das Gebäude ebenfalls durch das Loch der Lüftungsanlage zu verlassen.

Muhammad Hanif entkam dem Feuer. Doch er erlitt eine schwere Rauchvergiftung, lag drei Tage auf der Intensivstation. Zwei Monate lange hatte er solch akute Atemprobleme, dass er nicht einmal gehen konnte. Inzwischen kann er sich wieder selbstständig fortbewegen, doch wenn er längere Strecken zurücklegt, bekommt er schwere Atemnot und Lähmungserscheinungen an Händen und Füße. Die Schwierigkeiten beim Atmen und die Schmerzen in der Brust sind chronisch.

„Ich arbeite momentan in einer anderen Textilfabrik, die Ali Enterprises sehr ähnlich ist. Oft schaffe ich es jedoch nicht zur Arbeit, weil es mir schlecht geht. Auch meiner Leidenschaft – dem Tanzen – kann ich nicht mehr nachgehen. Vor dem Fabrikbrand bin ich oft als Tänzer im pakistanischen Fernsehen aufgetreten. Jetzt aber ist mein Gesundheitszustand so schlecht, dass ich nicht mehr tanzen kann. Es fehlt mir sehr“, sagte er im Gespräch mit ECCHR-Mitarbeiterinnen in Karatschi.

Saeeda Khatoon verlor am 11. September 2012 ihren einzigen 18-Jährigen Sohn M. Ejaz Ahmed. Er ging bis zur neunten Klasse in die Schule und arbeitete bereits seit vier Jahren – am Anfang noch neben der Schule – bei Ali Enterprises in der Schneiderei. Die 12.000 Rupien (entspricht etwa 100 Euro), die er verdiente, war die einzige Einkommensquelle der Familie.

Khatoon erfuhr etwa 15 Minuten nachdem das Feuer ausgebrochen war von dem Brand und rannte zur Fabrik: „Ich wollte nur noch wissen, wo mein Sohn ist. Alles brannte. Ich sah, dass Menschen in der Fabrik verbrannten. Sie waren in dem Gebäude gefangen. Nur ein paar Wenige schafften es, dem Feuer zu entkommen. Einige sprangen vom Dach, um ihr Leben zu retten. Die anderen verbrannten. Niemand konnte sie retten. Es war viel Sicherheitspersonal, Polizei und Paramilitär vor Ort. Aber keiner hat geholfen. Wir mussten mit ansehen, wie die Menschen vor unseren Augen starben. Am nächsten Mittag wurde der Zugang zur Fabrik freigegeben. Ich durfte die Fabrik nicht betreten. Die freiwilligen Helfer und andere Arbeiter, die meinen Sohn kannten, fanden ihn. Als sie die Leiche raustrugen, zeigten sie sie mir und sagten mir, sie hätten meinen Sohn auf der Treppe gefunden. Er arbeitete meist im Zwischengeschoss. Ich musste ihn dann im Krankenhaus identifizieren. Er hatte sein Gesicht er mit einem Teller schützen können, deswegen war es unversehrt. Der Rest des Körpers war komplett verbrannt.“

Nach Angaben von Khatoon kamen allein aus ihrer Nachbarschaft 17 junge Männer in der Fabrik um. „Es gibt fast keine Straße in Baldia, in der nicht eine Familie Opfer zu beklagen hat. Es war nicht nur mein Verlust, es war der Verlust unseres ganzen Viertels. Was kann es Schlimmeres geben, als das eigene Kind zu verlieren? Du hast ihm alles gegeben, Zeit, Geld, Liebe; in der Hoffnung, dass es irgendwann ein gutes Leben haben wird und dir vielleicht im Alter helfen kann. M. Ejaz Ahmed war mein einziger Sohn, ich weiß nicht, wie ich die letzten Jahre überstanden habe. Selbst alltägliche Arbeiten im Haushalt fielen mir anfange unendlich schwer. Es gab nichts in meinen Leben. Ich bekomme eine kleine Rente vom Staat, davon lebe ich“, berichtete Khatoon im Gespräch mit ECCHR-Mitarbeiterinnen.

„Entschädigungszahlungen waren für mich persönlich nicht das Hauptziel. Aber ich sehe, dass es anderen Familien finanziell sehr schlecht geht. Wir kämpfen im Rahmen der Organisation zusammen ebenfalls für die Probleme der anderen und wollen diese geklärt sehen. Ich möchte, dass keine Familie mehr solch einen Verlust durchstehen muss. Ich wollte sichergehen, dass das deutsche Unternehmen zur Verantwortung gezogen wird. Es sollte in Zukunft Regelungen für die Haftung von Unternehmen geben. So einen Vorfall darf es nie wieder geben. Ich bin froh, dass auch deutsche Anwält*innen uns unterstützten und unsere Klage in Deutschland einreichten. Gemeinsam kämpfen wir für bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Welt.“

Muhammad Jabbir verlor bei dem Fabrikbrand seinen Sohn Muhammad Jahanzab, 22 Jahr alt und seit 2008 als Maschinenbediener bei Ali Enterprises arbeitete. Der Verstorbene Muhammad Jahanzab verdiente bei Ali Enterprises 14.000-15.000 Rupien im Monat (etwa 120 Euro) und ernährte damit nicht nur sich und seinen Vater, sondern auch seinen Bruder, der nur 10.000 Rupien (etwa 85 Euro) verdiente. Am Tag des Fabrikbrands wartete der Vater auf den Lohn des Sohnes, um einige Grundnahrungsmittel für den Monat einkaufen zu können. Als der Vater von dem Brand erfuhr, eilte er zur Fabrik, doch die lag bereits in Schutt und Asche.

Der Tod des Sohnes hat Jabbir schwer getroffen – psychisch, gesundheitlich und finanziell. Die Beziehung zwischen ihm und seinen Söhnen war von jeher sehr eng. Da seine Frau vor 18 Jahren starb, sei er „Vater und Mutter zugleich“ gewesen, so Jabbir. Sein Gesundheitszustand hat sich seit dem Fabrikbrand massiv verschlechtert. Er leidet unter anderem an Bluthochdruck. Einer regelmäßigen Arbeit, die ihm die Existenz sichern könnte, kann er nicht nachgehen.

Jabbir ist Vorsitzender der Ali Enterprises Factory Fire Affectees Association (AEFFAA), der Organisation, in der sich Überlebende und Hinterbliebene des Fabrikbrands seit August 2014 organisiert haben.
„Nach dem Fabrikbrand haben zahlreiche NGOs angeboten, für unsere Rechte zu kämpfen. Letztendlich haben wir aber doch unsere eigene Organisation gegründet, die AEFFAA. Dank der Organisation haben fast 200 Familien der Opfer und die Überlebenden Kontakt miteinander. Wir trafen uns regelmäßig, um über den Stand der Verhandlungen zu diskutieren. Ich bin der Überzeugung, dass diese Vereinigung für uns sehr wichtig ist, wo doch so viele ihre Angehörigen sowie ihre finanzielle Sicherheit verloren haben“, sagte Jabbir in einem Gespräch mit ECCHR-Mitarbeiterinnen.

„Gemeinsam können wir besser für unsere Rechte kämpfen. Vorher hatte jede und jeder Einzelne versucht, mit den Behörden oder den Fabrikbesitzern zu verhandeln. Nun haben wir eine Plattform: Gemeinsam protestieren und demonstrieren wir. Gemeinsam haben wir uns an verschiedene Behörden gewandt und Entschädigungszahlungen verlangt.“

Entschädigungszahlungen sind aber nicht Hauptziel der Organisation, betont Jabbir. „Wir wollen erreichen, dass der Fabrikbrand nicht in Vergessenheit gerät. Vor allem aber wollen wir, dass es nie wieder einen Vorfall wie in Karatschi gibt. Wir sind auch nicht dagegen, dass deutsche Unternehmen hier produzieren. Im Gegenteil, wir wollen, dass mehr deutsche Unternehmen nach Pakistan kommen und bilaterale Verträge abschließen. Aber es muss Regelungen zu Sicherheitsvorkehrungen geben. Die Sicherheit der Arbeitnehmer muss gewährleistet sein.“

Abdul Aziz Khan Yousuf Zai versuchte, seinen Sohn Attaullah Nabeel Yousuf Zai aus dem brennenden Fabrikgebäude zu retten. Er fand nur noch die Leiche. Attaullah Nabeel Yousuf Zai war 17 Jahre alt und arbeitete seit drei Jahren bei Ali Enterprises, wo er als Maschinenbediener ausgebildet wurde und in dieser Position auch arbeitete. Auch der jüngere Bruder des Verstorbenen arbeitete bei Ali Enterprises, war am Unglückstag aber nicht in der Fabrik. Die beiden lebten bei den Eltern und hatten ein sehr enges Verhältnis zu ihnen. So kam Attaullah Nabeel Yousuf Zai regelmäßig mittags zum Essen nach Hause, da die Familie in der Nähe der Fabrik von Ali Enterprises wohnte. Sein Lohn von 15.000 Rupien (etwa 130 Euro) im Monat war unverzichtbar für die Familie.

Abdul Aziz Khan Yousuf Zai erfuhr über einem Nachbarn von dem Feuer. „Wir rannten zur Fabrik und sahen überall nur noch Feuer und Rauch. Niemand war da, um die Menschen aus dem Gebäude zu retten. Irgendwann kam dann die Feuerwehr, aber sie hatte nicht genug Wasser, um das Feuer zu löschen. Wir sahen Menschen bei lebendigem Leib verbrennen und sie schrien um Hilfe. Niemand konnte sie retten.“

Seit dem Tod des Sohnes hat sich Zais Gesundheit massiv verschlechtert. Die psychische Belastung und die finanziellen Sorgen haben zudem zu Diabetes und infolgedessen zu Sehstörungen geführt.

„Wir möchten, dass KiK nach Pakistan kommt und sieht, wie schwer es für uns ist. Wir möchten, dass das Unternehmen versteht, was passiert wenn es keine Sicherheitsvorkehrungen gibt.“

Grundlagen

Dieses Q&A informiert über die rechtlichen Grundlagen der Klage gegen KiK.

Ein paar Ausgangstüren mehr, gut zugängliche Treppen und deutlich gekennzeichnete Fluchtwege: Einige wenige Mittel hätten gereicht, um vielen Menschen das Leben zu retten. Der mangelhafte Brandschutz aber führte dazu, dass 258 Arbeiter*innen qualvoll starben. Das belegt die Computersimulation des Forensic-Architecture-Projekts der Universität London, die dem Landgericht Dortmund im Verfahren gegen KiK vorgelegt wurde.

Das knapp 18-minütige Video zeichnet detailliert nach, wie wenig Treppen, Notausgänge, Feuerlöscher und Alarmsirenen es in der Fabrik gab. Dazu rekonstruierten die Wissenschaftler*innen anhand von Fotos, Filmen und Zeug*innenaussagen die exakten Maße, Architektur, Einrichtung und Ereignisse der Brandnacht. Zusätzlich konsultierten sie internationale Brandschutz-Expert*innen und simulierten einen Verlauf der Brandnacht unter besseren Brandschutzvorkehrungen. Basierend auf diesen Informationen und Analysen steht für die Expert*innen von Forensic Architecture fest: Kleine Veränderungen beim Brandschutz hätten die Auswirkungen des Brandes drastisch verringert.

KiK kannte die baulichen Details oder hätte sie kennen müssen, wenn seine Mitarbeitenden, wie behauptet, die Fabrik mehrmals besucht haben. Als Hauptkunde von Ali Enterprises wäre es für KiK ein Leichtes gewesen, Brandschutz-Verbesserungen einzufordern. Das wurde aber offenbar nicht getan. Damit ist KiK mitverantwortlich für die 258 Toten und weitere Folgen des Fabrikbrands – unabhängig von der bisher ungeklärten Brandursache.

258 Tote und 32 zum Teil schwer Verletzte: Die Arbeiter*innen der Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi (Pakistan) haben bei dem Großbrand am 11. September 2012 mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit für die Kleidung von KiK bezahlt. Zuvor hatten sie zu schlechtem Lohn und unter menschenunwürdigen Bedingungen gearbeitet.

Die Betroffenen forderten, dass KiK – nach eigenen Angaben Hauptauftraggeber der Fabrik – für seine Mitverantwortung haftbar gemacht wird. Deswegen reichten im März 2015 Muhammad Hanif, Muhammad Jabbir, Abdul Aziz Khan Yousuf Zai und Saeeda Khatoon beim Landgericht in Dortmund Klage auf Schadensersatz gegen KiK ein. Die vier Kläger*innen – ein Überlebender und drei Hinterbliebene – gehören zur Selbstorganisation der Betroffenen, der Ali Enterprises Factory Fire Affectees Association (AEFFAA), und forderten je 30.000 Euro Schmerzensgeld von KiK. Sie wurden vor Gericht von ECCHR-Partneranwalt Remo Klinger vertreten.

Die Kläger*innen wollten nicht hinnehmen, dass Unternehmen von der Ausbeutung der Arbeiter*innen in Südasien profitieren, aber letztendlich keinerlei Verantwortung für deren Sicherheit tragen. Die Klage gegen KiK in Deutschland war damit auch ein Signal an andere Unternehmen weltweit: Transnationale Unternehmen sind auch für die Arbeitsbedingungen in ihren Tochter- und Zulieferbetrieben im Ausland verantwortlich.

Im Januar 2019 wies das Gericht die Klage der vier Betroffenen gegen KiK wegen Verjährung ab. KiK hatte zunächst einem Verjährungsverzicht zugestimmt, später aber darauf bestanden, dass der Verzicht unwirksam sei. Nicht inhaltliche, sondern formale Gründe beendeten den Fall. Die entscheidenden Fragen zur Unternehmenshaftung blieben unbeantwortet. Im Februar 2019 reichten die Kläger*innen beim Oberlandesgericht Hamm Antrag auf Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz ein. Das Gericht lehnte den Antrag im Mai 2019 ab.

Die Klage, die das ECCHR initiierte und medico international unterstützte, war die erste dieser Art in Deutschland.

Kurz nach dem Brand zahlte KiK eine Million US-Dollar als Soforthilfe für die Überlebenden und Hinterbliebenen.  Ab Dezember 2012 gab es dann Verhandlungen zwischen KiK, der pakistanischen Organisation Pakistan Institute of Labour Education and Research (PILER) und der Clean Clothes Campaign über nachhaltige Entschädigungen. Es ging um ein langfristiges Wiedergutmachungs-Paket für alle Betroffenen. Ziel waren Entschädigungen für den Ausfall des Einkommens des Haupternährers vieler Familien. Außerdem sollte KiK seine Mitverantwortung für die Feuerschutzmängel in der Fabrik anerkennen.

KiK hielt die Überlebenden und Hinterbliebenen erst über ein Jahr lang hin und machte dann im Dezember 2014 ein inakzeptables Angebot. Das Unternehmen gab darin zu verstehen: Es wird kein Schmerzensgeld geben. Unterm Strich sollten die Betroffenen eine Zahlung von zunächst ca. 1.000 US-Dollar pro Verletzten oder Verstorbenen erhalten, was ungefähr dem Jahresmindestlohn eines pakistanischen Textilarbeiters entspricht.

Das Unternehmen war aber nicht bereit zu erklären, wer die Organisation eines umfangreichen Entschädigungsprozesses auf Grundlage der Standards (Konvention 121 über Leistungen bei Arbeitsunfällen) der International Labour Organization (ILO) organisieren sollte. Auch ließ sich KiK auf keinen konkreten Prozentsatz zur Beteiligung an Entschädigungen ein. Das Unternehmen war nicht einmal bereit, sich auf einen einstelligen Prozentsatz festzulegen.

Da KiK den Forderungen der Betroffenen nicht nachkam, lehnte  die AEFFAA, die Selbstorganisation der Betroffenen, in einer Vollversammlung im Februar 2015 das Angebot von KiK ab. Bei dem Treffen in Karatschi bestimmte die Organisation auch die vier Personen – ein Überlebender und drei Angehörige – die später im März 2015 vor dem Landgericht in Dortmund die Zivilklage gegen KiK wegen Verletzung der Menschenrechte in der Zulieferkette einreichten.

Im September 2016 erklärte sich KiK bei einem von der ILO moderierten Dialog schließlich dazu bereit, den Betroffenen 5,15 Millionen US-Dollar Hinterbliebenen- und Unfallentschädigung zu zahlen. Im Mai 2018 erhielten die Betroffenen die ersten Auszahlungen.

Bei Ansprüchen auf Schadensersatz, die sich nicht aus einem Vertrag ableiten, bestimmt bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten die Rom-II- Verordnung, welches Recht anzuwenden ist. Wenn beispielsweise eine Deutsche in Frankreich einen Autounfall verursacht und die geschädigte Französin am Wohnsitz der Deutschen in Deutschland auf Schadensersatz klagt, dann regelt diese Verordnung, welches Recht anzuwenden ist. Im Regelfall ist das Recht des Landes, wo der Schaden entstanden ist, anwendbar – in diesem Beispiel wäre das Frankreich. Zuständig für solche Klagen sind die Gerichte am Wohnort der Beklagten, in diesem Fall also Deutschland. D.h., die geschädigte Französin könnte die Deutsche wegen der Schäden des Autounfalles an ihrem Wohnsitz in Deutschland verklagen. Das deutsche Gericht würde französisches Recht anwenden.

Rom II diente im Fall KiK als „Einfallstor“ in deutsches Recht: Bei dem Brand von Ali Enterprises war pakistanisches Recht anwendbar. Das pakistanische Rechtssystem gehört zum Common-Law-Rechtssystem – ein in vielen englischsprachigen Ländern und ehemaligen britischen Kolonien vorherrschender Rechtskreis, der sich nicht nur auf Gesetze, sondern auf maßgebliche richterliche Urteile der Vergangenheit – sogenannte Präzedenzfälle – stützt und auch durch richterliche Auslegung weitergebildet wird. Pakistanische Gerichte sehen sich in der Regel an die Rechtsprechung indischer und britischer Gerichte gebunden. Daher ist die Anwendung von Common-Law-Ansprüchen angebracht. Diese Ansprüche sind vergleichbar mit den deutschen Schadensersatznormen des Bundesgesetzbuchs (Paragrafen 823, 831). Auch hier ist eine Haftung für untergeordnete Mitarbeitende (in diesem Fall die Arbeiter*innen) oder Scheinselbstständige (in diesem Fall Ali Enterprises) vorgesehen. Im Common Law sind diese Haftungstatbestände aber deutlich weiter gefasst als in Deutschland.

Die Klage in Deutschland stützte sich auf aktuelle Entwicklungen im Common Law, die insbesondere durch pakistanische, indische und britische Gerichte gefestigt wurden. Die Urteile dieser Gerichte tragen modernen Wirtschaftsstrukturen zunehmend Rechnung: Die Gerichte sehen eine Haftung von auftraggebenden Unternehmen für zuliefernde Unternehmen dann als gegeben an, wenn eine hinreichend nahe Beziehung zwischen den Unternehmen besteht. Da die pakistanische Fabrik fast ausschließlich für KiK produziert hat und KiK mehrfach versicherte, all seine Zulieferbetriebe regelmäßig zu besuchen und zu kontrollieren, ist die Geschäftsbeziehung zwischen KiK und der pakistanischen Fabrik als eng und „nahe“ anzusehen, so dass KiK eine Mitverantwortung für den Brandschutz zukommt.

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Ein Amicus Curiae Brief ist ein Schriftsatz an ein Gericht, mit dem man eine rechtliche Stellungnahme einreicht.

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Löhne unter dem Existenzminimum, extreme Überstunden, Misshandlungen und Diskriminierungen am Arbeitsplatz, und immer wieder schwere Arbeitsunfälle und Brandkatastrophen – das ist traurige Realität von Millionen von Arbeiter*innen in Süd- und Ostasien. Dem setzt das ECCHR gezielte juristische Interventionen entgegen.

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