Vertreter der deutschen Wirtschaft wehren sich gegen das von den Bundesministern Gerd Müller und Hubertus Heil angekündigte Lieferkettengesetz. Insbesondere die Frage, ob deutsche Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen in Auslandsgeschäften zivilrechtlich haften müssen, ist umstritten. Darum hat die Initiative Lieferkettengesetz heute eine Analyse vorgestellt, die zeigt: Ein starkes Lieferkettengesetz braucht eine Haftungsklausel. Der Faktencheck stellt außerdem richtig: Die massiven negativen Konsequenzen einer Haftungsregelung, die Wirtschaftsverbände heraufbeschwören, sind übertrieben. Sie sollen vor allem dazu dienen, ein wirksames Gesetz zu verhindern.
„Wirtschaftsverbände behaupten wiederholt, dass Unternehmen aufgrund des Lieferkettengesetzes für das Verhalten von Dritten haften müssten“, erklärt Johanna Kusch, Sprecherin der Initiative Lieferkettengesetz. „Dadurch erwecken sie den Eindruck, dass man Unternehmen für Vorgänge verantwortlich machen will, auf die sie keinerlei Einfluss haben. Doch das ist falsch: Sie sollen lediglich ihre eigenen Sorgfaltspflichten einhalten – und das ist zweifelsfrei möglich.“
Die bisher bekannt gewordenen Vorschläge der Bundesminister Hubertus Heil und Gerd Müller zur Haftung sehen viele Ausnahmen vor. So müssen Unternehmen nicht für Schäden haften, wenn sie zuvor im Rahmen ihrer Möglichkeiten versucht haben, diese zu vermeiden. Zudem sind Unternehmen, die sich an die Vorgaben staatlich anerkannter Branchenstandards halten, in den Eckpunkten von einer möglichen Haftung für fahrlässiges Verhalten ausgenommen.
Maren Leifker, Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Brot für die Welt, verdeutlicht: „Die Hürden für zivilrechtliche Haftung sind in den Eckpunkten der Minister schon jetzt sehr hoch. Eine Haftung kommt damit praktisch nur noch in Betracht, wenn ein Unternehmen von einer Menschenrechtsverletzung bei einem Zulieferer wusste und gar nichts dagegen unternommen hat. Hier von unüberschaubaren Haftungsrisiken zu sprechen, ist bloße Stimmungsmache.“
Erfahrungen mit ähnlichen Gesetzen, etwa in Frankreich, zeigen zudem, dass keine Klagewelle droht. „Das Lieferkettengesetz soll in erster Linie präventiv wirken. Wenn Unternehmen wirksame Mechanismen einführen, um grundlegende Menschenrechte nicht zu verletzen, sind Klagen gar nicht erst nötig. Nur im Ausnahmefall soll es die Möglichkeit eröffnen, rechtlich gegen Unternehmen vorzugehen“, sagt Miriam Saage-Maaß, Anwältin und Leiterin des Programms für Wirtschaft und Menschenrechte beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).
Die für ein Lieferkettengesetz geforderte zivilrechtliche Haftung bei Verletzung von Sorgfaltspflichten ist zudem nicht ungewöhnlich: „Dass Unternehmen für Schäden haften, die durch ihre eigene Pflichtverletzung entstehen, ist hierzulande geltende Rechtsprechung – und eine Selbstverständlichkeit“, kommentiert Franziska Humbert, Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Oxfam. „Im globalen Geschäftsverkehr sind die Rechtslücken jedoch so groß, dass Unternehmen sich selbst aus dieser grundlegenden Verantwortung stehlen können. Das ist unhaltbar und muss mit dem Lieferkettengesetz dringend behoben werden.“