Zurückweisungen von Schutzsuchenden sind rechtswidrig bestätigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

„Seehofer-Deal“ verweigert Zugang zu Asylverfahren und Rechtsschutz

Deutschland – Pushbacks – „Seehofer-Deal“

Deutschland und Griechenland vereinbarten 2018 den sogenannten Seehofer-Deal. Das Abkommen, benannt nach Innenminister Horst Seehofer, legt fest: Geflüchtete und Migrant*innen, die bereits in Griechenland Asyl beantragt haben und dann über Österreich nach Deutschland gelangen, sollen an der Grenze zurückgewiesen innerhalb von 48 Stunden nach Griechenland gebracht werden.

Genau das passierte im Fall des Syrers H.T., als er im September 2018 nach Deutschland kam: Er wurde festgenommen und am selben Tag nach Griechenland zurückgebracht. Dabei hatte er keinen Zugang zu einem Asylverfahren und keine Möglichkeit, in Deutschland Rechtsschutz gegen die Zurückweisung zu beantragen. In Griechenland wurde er umgehend zum Zwecke einer Abschiebung in die Türkei inhaftiert. 

In seinem Urteil vom 15. Oktober 2024 stellt der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) klar: Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Grenzen sind unrechtmässig. Damit erteilt er Verwaltungsabkommen wie dem Seehofer-Deal zwischen Deutschland und Griechenland eine klare Absage und stärkt den Zugang zum Rechtsschutz von Asylsuchenden an der Grenze.

Fall

Im März 2019 reichte H.T. eine Individualbeschwerde gegen Deutschland und Griechenland beim EGMR mit Unterstützung vom Greek Council for Refugees ein. Der Syrer argumentierte, dass seine Zurückweisung durch Deutschland und seine spätere Haft in Griechenland mehrere Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzen: Artikel 3 (Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung), Artikel 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und Artikel 13 (Recht auf effektiven Rechtsschutz).

Das ECCHR und seine Partner PRO ASYL und Refugee Support Aegean reichten in diesem Verfahren im Oktober 2020 eine Stellungnahme („Drittintervention“) ein, in der sie die rechtlichen Folgen von automatischen Zurückweisungen in Bezug auf die EMRK und EU-Recht analysierten. In der Einreichung betonten das ECCHR und seine Partner, dass Deutschland Geflüchteten und Migrant*innen Zugang zu einem Verfahren garantieren muss, das die verschiedenen Risiken im Zielland, in diesem Fall Griechenland, abwägt. Das umfasst: unmenschliche Haftbedingungen, generelle Missstände im Asylsystem, das Risiko einer Kettenabschiebung in die Türkei sowie die entwürdigenden Lebensverhältnisse für Geflüchtete und Migrant*innen.

Deutschland wurde vom EGMR unter anderem für eine Verletzung der Verpflichtungen aus Artikel 3 EMRK, dem Verbot der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung, verurteilt. Dem Antragsteller wurden falsche Informationen über das Zielland und die rechtliche Grundlage der Zurückweisung gegeben, ihm wurde nicht erklärt, wie er rechtlich gegen sie vorgehen kann und er hatte keinen Zugang zu anwaltlicher Beratung und Sprachmittlung. 

Mit dem Verwaltungsabkommen wurden auch die erforderlichen rechtlichen Garantien nicht sichergestellt, betonte das Gericht. Vor allem hätte Deutschland prüfen müssen, ob H.T. in Griechenland effektiven Zugang zu einem Asylverfahren haben würde und dass er dort keinen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein würde. Tatsächlich wurde dann in Griechenland aufgrund der Bedingungen, unter denen H.T. inhaftiert war, gegen Art. 3 EMRK verstoßen. 

Kontext

Der Seehofer-Deal, beschlossen vom deutschen Innenministerium und Griechenlands Migrationsministerium, zielt darauf ab, rechtliche Garantien für Geflüchtete und Migrant*innen aus der Dublin-III-Verordnung zu umgehen. Um sein Vorgehen zu verteidigen, argumentiert Deutschland mit Paragraf 18 des Asylgesetzes: Demnach dürften Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn sie über ein „sicheres Drittland“ kommen oder wenn ein anderes europäisches Land für ihr Asylverfahren zuständig ist. Dies entspricht jedoch nicht EU-Recht und internationalem Recht.

Da EU-Recht über nationalem Recht steht, können Staaten es nicht umgehen, indem sie bilaterale Abkommen mit anderen EU-Ländern schließen. Dublin III gibt vor, welches europäische Land für einen jeweiligen Asylantrag zuständig ist. Zudem verpflichtet die Asylverfahrensrichtlinie die EU-Staaten, zumindest die Zulässigkeit jedes Asylantrages zu prüfen, der im Land gestellt wird, einschließlich an der Grenze. Wenn ein anderes EU-Land für das Asylverfahren zuständig sein sollte, darf die Person dahin überführt werden – aber nur, wenn dort keine Menschenrechtsverletzungen drohen. Dies kann im Fall von Griechenland nicht gewährleistet werden. Deswegen muss jede Entscheidung über eine Zurückweisung von Asylsuchenden umfassend und unabhängig geprüft werden, bevor sie umgesetzt wird.

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Die Europäische Menschenrechtskonvention legt die geltenden Menschen- sowie Freiheitsrechte in Europa fest.

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Bei den illegalen Zurückweisungen und Zurückschiebungen, den so genannten Pushbacks, an den EU-Außengrenzen werden elementare Menschen- und Flüchtlingsrechte außer Kraft gesetzt. Doch die Betroffenen sind faktisch rechtlos gestellt und haben kaum Möglichkeiten gegen die Gewaltexzesse vorzugehen. Das ECCHR setzt sich seit 2014 mit rechtlichen Interventionen gegen die Abschiebepraktiken in der EU ein.

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