Definition
Pushback
Pushbacks sind völkerrechtswidrige Zurückweisungen, die an Grenzübergängen von Staaten mit harter Einwanderungspolitik vorgenommen werden.
Mehr AnzeigenDie Politik überbietet sich in Forderungen, die Rechte von flüchtenden und migrierenden Personen zu beschneiden. Ein Fokus liegt dabei auf drastischen Maßnahmen an den deutschen Grenzen. Die Bundesinnenministerin hat seit dem 16 September 2024 flächendeckende Grenzkontrollen eingeführt, vermeintlich im Einklang mit dem Europarecht. Dies geht einigen Politiker*innen nicht weit genug. Sie fordern, alle Schutzsuchenden an den Grenzen abzuweisen und sich ggf. auf eine „nationale Notlage“ zu berufen, um europarechtliche Vorgaben zu umgehen. Unser Q & A dient zur Versachlichung der Debatte.
Fragen und Antworten zu Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen
Bei einer Zurückweisung verweigert die Polizei einer Person an der Grenze die Einreise nach Deutschland und hält sie gegebenenfalls vom Grenzübertritt ab. Eine Zurückweisung kann also grundsätzlich nur stattfinden, wenn die betroffene Person die Grenze noch nicht überschritten hat – außer, die sogenannte Fiktion der Nichteinreise kommt zum Tragen. Nach dieser Konstruktion gilt die Person rechtlich als noch nicht eingereist, wenn sie die Grenzübergangsstelle vor oder während einer noch ausstehenden Entscheidung über eine Zurückweisung passiert hat. Rechtswissenschaftler*innen weisen seit langem darauf hin, dass eine Nichteinreisefiktion an Binnengrenzen der EU europarechtswidrig ist.
Wenn eine Person schon eingereist ist und danach von einer deutschen Behörde zwangsweise in ein anderes Staatsgebiet gebracht wird, handelt es sich entweder um eine Abschiebung oder um eine Zurückschiebung. Durch eine Abschiebung wird eine Ausreisepflicht vollstreckt, nachdem diese zuvor in einem förmlichen Verwaltungsverfahren festgestellt und eine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt wurde.
Zurückschiebungen sollen als Schnellverfahren diesen Ablauf beschleunigen. Sie kommen in der Regel nur in Betracht, wenn die Betroffenene nach unerlaubter Einreise in grenznaher Region aufgegriffen wurden. Außerdem dürfen sie, anders als Abschiebungen, nur in andere EU-Mitgliedstaaten oder sonstige sichere Drittstaaten stattfinden. Wenn ein Asylgesuch geäußert wird, ist eine direkte Zurückschiebung ausgeschlossen, da sowohl das deutsche Asylgesetz als auch das EU-Recht zu einer Prüfung verpflichten. Dazu gehört entsprechend der Regelungen der Dublin-III Verordnung ein Verfahren samt Rechtsmitteln, in dem zuerst geklärt wird, welcher Staat für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständig ist. Sollte dies nicht Deutschland sein, muss zunächst mit dem zuständigen Mitgliedstaat die Übernahme einvernehmlich geregelt sein, bevor die asylsuchende Person überstellt werden darf.
Der Begriff Pushback ist kein rechtlicher Begriff, sondern umfasst diverse staatliche Praktiken, bei denen Schutzsuchende informell „zurückgeschoben“ werden, also ohne Zugang zu einem rechtlichen Verfahren, ohne Möglichkeit, ein Asylgesuch zu stellen und ohne Möglichkeit, um Rechtsschutz nachzusuchen. Wie zahlreiche europäische und internationale Menschenrechtsinstitutionen bereits aufgezeigt haben, verstoßen Pushbacks gegen grundlegende menschenrechtliche Normen und Mindeststandards. Liegt den staatlichen Maßnahmen zwar ein Verfahren zugrunde, in dem jedoch Zugang zu Schutz verwehrt wurde, etwa durch Täuschung oder schlicht verweigerte Aufnahme eines Asylantrags, kann von „Paper-Pushbacks“ gesprochen werden.
Zurückweisungen sind in vielen Fällen unzulässig. Gegenüber Schutzsuchenden sind sie sowohl nach nationalem als auch nach EU-Recht eindeutig verboten. Im nationalen Recht ist dies im Aufenthaltsgesetz ausdrücklich geregelt (Artikel 15 Absatz 4 AufenthG). Das Asylgesetz enthält die Pflicht, bei Äußerung eines entsprechenden Gesuchs ein Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einzuleiten (Artikel 18 Absatz 1 AsylG).
Im EU-Recht verlangt die Dublin-III-Verordnung ein Verfahren samt Rechtsmittel, um festzustellen, welcher EU-Mitgliedstaat zuständig ist und ob dort auch tatsächlich ein rechtstaatliches Asylverfahren unter Wahrung der Menschenrechte gewährleistet ist. Die Asylverfahrensrichtlinie und auch die Unionsgrundrechte garantieren ein sorgfältiges Verfahren. Die asylsuchende Person hat währenddessen das Recht, sich im Land aufzuhalten, so steht es in der Dublin-III-Verordnung (Artikel 27 Absatz 3) wie auch in der Asylverfahrensrichtlinie (Artikel 9 Absatz 1). Das Vorhaben des ehemaligen Innenministers Seehofer, diese europarechtlichen Vorgaben durch Abkommen mit anderen EU-Staaten zu umgehen, wurde durch das Verwaltungsgericht München in einer Entscheidung vom 4. Mai 2021 explizit abgelehnt.
Darüber hinaus sind Zurückweisungen verboten, wenn dadurch schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, aber auch, wenn besondere Fürsorgepflichten bestehen, etwa gegenüber Minderjährigen. Schon für die notwendige Altersfeststellung fordert u.a. die UN-Kinderrechtskonvention besondere Verfahrensgarantien unter besonderer Beachtung des Kindeswohls.
Ja, an allen deutschen Grenzen finden bereits seit Jahren Zurückweisungen statt. Von 2018 bis Juni 2024 wurden laut Polizeilicher Eingangsstatistik 141.458 Personen an deutschen Grenzen zurückgewiesen. Die Zahlen stiegen in der letzten Zeit stark an: 2023 wurden 28% der Personen, die versuchten einzureisen (35.985 von 127.549), zurückgewiesen – in der ersten Jahreshälfte 2024 waren es dann 51% (21.661 von 42.307).
Vor allem an der Grenze zu Österreich sind seit 2016 und an der Grenze zur Schweiz seit 2022 in hohen Zahlen Zurückweisungen festzustellen. An den Grenzen zu Polen und Tschechien sind die Zurückweisungen seit der Einführung der Binnengrenzkontrollen im Oktober 2023 stark angestiegen. Die insgesamt am häufigsten betroffenen Staatsangehörigkeiten waren von August 2023 bis Juni 2024: syrisch mit 13%, türkisch mit 12%, afghanisch mit 13% und ukrainisch mit 14% der Zurückgewiesenen.
Parallel zum Anstieg der Zurückweisungen sind die registrierten Asylgesuche gesunken: 2023 wurden bei 45% der versuchten Einreisen ein Asylgesuch registriert, in der ersten Jahreshälfte 2024 waren es nur noch 23%. Darunter sind viele Personen aus Herkunftsländern, in denen Verfolgung droht und für die die Asylanerkennungsquoten entsprechend hoch sind. So wurden z.B. im Zeitraum August 2023 bis Juni 2024 nur bei 55% der Afghan*innen, die versuchten einzureisen, ein Asylgesuch registriert und 47% wurden zurückgewiesen. Daher steht die Vermutung im Raum, dass Asylgesuche „überhört“ oder vereitelt werden, um Zurückweisungen zu legitimieren, z.B. durch irreführende Fragebögen, in denen „Asyl“ nicht als Einreisegrund angegeben werden kann. (Für alle genannten Zahlen s.: BT-DS 18/9360, 18/7588, 20/5674, 20/8274, 20/12343)
In den grundlegenden Verträgen der EU ist festgeschrieben, dass an den Binnengrenzen grundsätzlich keine Kontrollen erfolgen sollen und innerhalb der EU Freizügigkeit herrscht. Dieser Gedanke eines freien Binnenraums wird durch das Schengenabkommen konkretisiert. Dort ist allerdings eine Ausnahme vorgesehen, nach der Grenzkontrollen zeitweise wiedereingeführt werden dürfen, wenn die „öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht“ ist (Artikel 25). Dies ist zunächst für sechs Monate erlaubt und kann mehrfach auf bis zu maximal drei Jahre verlängert werden.
Die Wiedereinführung von Kontrollen ist aber als letztes Mittel zu handhaben und unterliegt strengen Voraussetzungen, die im Herbst 2024 nicht erfüllt sind (s. z.B. hier, hier und hier). Insbesondere kann sie nicht mit der Anzahl von Schutzsuchenden in Deutschland begründet werden. Dies käme allenfalls bei einem plötzlichen und enormen Anstieg an schutzsuchenden Menschen in Frage. Tatsächlich ist die Anzahl der Asylanträge in diesem Jahr gesunken, sodass hiervon keine Rede sein kann.
Es gibt immer wieder zeitlich beschränkte Wiedereinführungen, wie etwa auf Grund der Covid-19-Pandemie oder bei internationalen Veranstaltungen wie den Olympischen Spielen und der Fußball Europameisterschaft im Jahr 2024. Daneben haben einige EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren allerdings faktisch auch dauerhafte Grenzkontrollen wieder eingeführt. Österreich kontrolliert bereits seit 2015 durchgehend die Grenzen zu Ungarn und Slowenien zur „Begrenzung von Migration“.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte im Jahr 2022 hierzu fest, dass diese Praxis gegen den Schengener Grenzkodex verstößt. Deutschland führte zum selben Zweck ebenfalls 2015 wiederum Kontrollen an der Grenze zu Österreich ein, die bis heute fortlaufend verlängert wurden. In einem Urteil vom Januar 2024 befand das Verwaltungsgericht München unter Berufung auf die EuGH-Rechtsprechung, dass auch diese Kontrollen nicht in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben aus dem Schengener Grenzkodex stehen und daher rechtswidrig sind.
Gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU können die Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit vom Unionsrecht abweichen (Artikel 72 AEUV). Auf diese Notklausel konnte sich bisher allerdings noch nie ein Mitgliedstaat erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof berufen.
In Bezug auf die Wiedereinführung von Grenzkontrollen hat der Europäische Gerichtshof bereits entschieden, dass mit Artikel 25 des Schengener Grenzkodex eine gegenüber Artikel 72 AEUV speziellere und daher vorrangige Regelung besteht. Daher dürfte die Notstandklausel in diesem Kontext für die Mitgliedstaaten kaum nutzbar sein, um die Höchstdauer für Binnengrenzkontrollen zu ignorieren (s. hier und hier).
Für Zurückweisungen gilt außerdem, dass durch Artikel 72 AEUV die Regelungen aus der EU-Grundrechtecharta nicht ausgehebelt werden können. Diese garantiert ein Recht auf Asyl, verbietet Kollektivausweisungen und enthält das Gebot der Nichtzurückweisung, falls schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Außerdem sichert die Charta einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz.
Hieraus folgt, dass selbst im Falle einer Notlage im Sinne des Artikel 72 AEUV nicht vollständig von einer Prüfung des Schutzbedarfs abgesehen werden darf. Andere Mitgliedstaaten wären außerdem nicht verpflichtet, Zurückweisungen auf Grund des Artikel 72 AEUV zu akzeptieren und könnten sie durch eigene Maßnahmen an der Grenze verhindern.
Der Begriff der Notlage im Sinne des Artikel 72 AEUV ist laut dem Europäischen Gerichtshof eng auszulegen. Demnach kommen nur außergewöhnliche Situationen in Betracht, in denen das Abweichen von EU-Recht zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der inneren Sicherheit unbedingt erforderlich ist (s. auch hier, hier und hier).
Eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung setzt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft voraus. Ein bloßes Risiko oder die Behauptung eines Unsicherheitsgefühls in Teilen der Bevölkerung genügt nicht. Vom Bundesinnenministerium wurden für die Einführung der Grenzkontrollen nur allgemeine, abstrakte Probleme benannt, welche eben nicht unter die gerichtlich geforderte enge Definition einer Notlage fallen.
Die innere Sicherheit umfasst eine grundsätzliche Bedrohung der Funktionsfähigkeit des Staates und das Überleben der Bevölkerung. Tatsachen, die belegen, dass der deutsche Staat derzeit vom Zusammenbruch bedroht ist oder das Überleben der deutschen Bevölkerung in Frage steht, liegen offenkundig nicht vor.
Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen kann vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) kontrolliert werden. Allerdings kann ein entsprechendes Verfahren nicht von einzelnen Personen oder Organisationen der Zivilgesellschaft beantragt werden. Dies wäre eigentlich die Aufgabe der EU-Kommission, die als sogenannte „Hüterin der Verträge“ eine Kontrollfunktion hat.
Die bisherige Praxis der Kommission hat jedoch gezeigt, dass sie aus politischen Gründen weitgehend davon absieht, im Bereich der Migration und Grenzkontrolle Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einzuleiten. Allerdings können neben der EU-Kommission auch andere EU-Mitgliedstaaten eine Kontrolle herbeiführen. Im Schengener Grenzkodex ist ein besonderes „Konsultationsverfahren“ geregelt (Artikel 27a).
Darüber hinaus können unmittelbar von einer Kontrolle betroffene Privatpersonen und Wirtschaftsunternehmen vor nationalen Gerichten Rechtschutz gegen einzelne Kontrollmaßnahmen suchen. Diese müssten ggf. die Frage nach der Vereinbarkeit mit EU-Recht dem EuGH vorlegen. So gelang es etwa auf Grund eines Strafverfahrens im Anschluss an eine Polizeikontrolle die Rechtswidrigkeit der Grenzkontrollen zwischen Österreich und Slowenien durch den EuGH feststellen zu lassen. Ob vor einem deutschen Verwaltungsgericht eine Klage gegen eine Grenzkontrolle ohne weitere eingreifende Maßnahmen möglich ist, wird derzeit vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof verhandelt. In der Vergangenheit haben sich Betroffene zudem erfolgreich gerichtlich gegen racial profiling in Zusammenhang mit grenzpolizeilichen Kontrollen zur Wehr gesetzt.
Pushbacks sind völkerrechtswidrige Zurückweisungen, die an Grenzübergängen von Staaten mit harter Einwanderungspolitik vorgenommen werden.
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