Verbrechen während der Unabhängigkeitskriege: Der Lumumba-Mord

Institut – Forschung & Wissenschaft – Lumumba

Er war erst wenige Monate im Amt, als Patrice Lumumba – ehemals Premierminister der Demokratischen Republik Kongo – am 17. Januar 1961 in der Region Katanga ermordet wurde. Daran waren viele internationale und nationale Akteur*innen beteiligt, doch vor allem die ehemalige Kolonialmacht Belgien – wie auch im bewaffneten Konflikt nach der Unabhängigkeit der DR Kongo.

2001 kam eine parlamentarische Untersuchung in Belgien zu dem Schluss, dass die Überführung Lumumbas in die feindliche Region Katanga mit Unterstützung belgischer Regierungsvertreter*innen organisiert worden war. Das Fazit war jedoch auch: Belgien trage nach heutigem Verständnis nur eine moralische aber keine rechtliche Verantwortung dafür.

Projekt

50 Jahre nach der Ermordung Lumumbas stellte sein Sohn gegen elf belgische Staatsbürger Strafanzeige wegen ihrer Beteiligung an dem Attentat. Dieses Strafverfahren ist anhängig. Das ECCHR unterstützte den Fall von Anfang an durch einen Amicus Curiae Brief im Jahr 2011 über die Anwendung von Verjährungsfristen.

Im Verfahren zur Ermordung Lumumbas gibt es seit mehreren Jahren kaum Fortschritte. Der Fall hat aber rechtlich und faktisch einen besonderen Kontext: Zum einen, weil er möglicherweise eine der letzten Gelegenheiten ist, koloniales Unrecht strafrechtlich zu ermitteln. Zum anderen können schwerwiegende Verstöße gegen die Genfer Konventionen, die während der Entkolonialisierung begangen wurden, als Kriegsverbrechen eingestuft werden. Sowohl Belgien als auch die DRK waren zum Zeitpunkt des Lumumba-Mords Vertragspartei der Konventionen. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts gab es Stimmen, die eine völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen in bewaffneten Konflikten befürworteten. Ein anderes Verständnis würde darauf hinauslaufen, dass viele in kolonialen Kontexten begangene Kriegsverbrechen straflos blieben.

Kontext

Die strafrechtliche Untersuchung der Ermordung Lumumbas steht im weiteren Kontext der strukturellen Straflosigkeit für Verbrechen der europäischen Kolonialmächte während der Dekolonisierung. Während die langfristigen Auswirkungen der Kolonialisierung fortbestehen, kann man die Verantwortlichen oft nicht mehr zur Rechenschaft ziehen.

Viele Länder, darunter auch Belgien, diskutieren derzeit über Wahrheitskommissionen und andere Mechanismen, um Kolonialverbrechen aufzuarbeiten. Das Verfahren um den Lumumba-Mord ist möglicherweise die letzte Chance, um direkt Beteiligte zur Verantwortung zu ziehen.

Glossar (5)

Definition

Amicus Curiae Brief

Ein Amicus Curiae Brief (dt. Freund des Gerichts) ist ein Schriftsatz an ein Gericht, in dem eine am Verfahren nicht selbst beteiligte Person oder Organisation rechtliche Argumente und eine Handlungsempfehlung für einen vor Gericht ausgetragenen Fall darlegen kann.

Themen (1)

Einblick

Kriegsverbrechen

Gezielte Angriffe auf Zivilpersonen; Folter von Gefangenen; sexuelle Sklaverei – wenn diese und weitere Verbrechen in bewaffneten Konflikten begangen werden, handelt es sich laut dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) um Kriegsverbrechen. Auch wenn die internationale Strafjustiz Möglichkeiten bietet, Kriegsverbrechen zu verfolgen, werden die Verantwortlichen dafür allzu oft nicht belangt.

Anspruch und Wirklichkeit des Völkerstrafrechts klaffen weit auseinander: zwar wurden Prozesse gegen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, Ruanda oder der Demokratischen Republik Kongo geführt. Dennoch – noch nie saß ein*e Politiker*in oder Militärangehörige*r eines westlichen Staates auf der Anklagebank des IStGH oder eines UN-Sondertribunals. Die Doppelstandards der internationalen Strafjustiz verhindern nicht selten die Durchsetzung universeller Menschenrechte.

Zur Aufarbeitung bewaffneter Konflikte und Kriege, in denen alle Parteien Kriegsverbrechen begehen, ist es essentiell, dass gleiches Recht für alle gilt. Das ECCHR setzt sich dafür ein, dass Kriegsverbrechen wie die Misshandlung irakischer Gefangener von britischen Truppen oder Folter in syrischen Geheimdienstgefängnissen strafrechtlich aufgearbeitet werden. Mithilfe juristischer Interventionen nach dem Weltrechtsprinzip, Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof oder auch vor nationalen Gerichten nutzt das ECCHR die verfügbaren Mittel und Wege, um der Straflosigkeit für Kriegsverbrechen ein Ende zu setzen.

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