Die tödliche Normalität von Rüstungsgeschäften

Jemeniten verklagen die deutsche Genehmigungsbehörde

Jemen – Waffenexporte – Deutschland

Eurofighter, Tornados und  Bomben der Serie MK 80 sind nur einige der in Europa produzierten Waffen, die nachweislich im Jemenkrieg eingesetzt wurden. Dass die Militärkoalition um Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bei ihren Angriffen im Jemen weder Privathäuser noch Schulen, Märkte oder Krankenhäuser verschonte, ist ebenfalls gut dokumentiert. Trotz dieser offensichtlichen Kriegsverbrechen und überwältigender Beweise für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht haben europäische Behörden diese Waffenexporte genehmigt. In vielen Fällen, wie bei von Saudi Arabien eingesetzten Kampfflugzeugen, kamen und kommen wichtige Waffenbestandteile auch aus Deutschland.
 

Fall

Im Oktober 2021 haben drei jemenitische Staatsbürger bei der für die Ausfuhrgenehmigungen zuständigen deutschen Behörde (BAFA) Widerspruch gegen Genehmigungen für den Export von Rüstungsgütern mit Endverbleib in Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten eingelegt. Dabei ging es explizit um Genehmigungen, die zu diesem Zeitpunkt zwar schon erteilt, aber noch nicht ausgeschöpft waren. Mit Unterstützung des ECCHR und der jemenitischen Menschenrechtsorganisation Mwatana for Human Rights beantragten die in Sanaa ansässigen Antragsteller außerdem die Beteiligung an entsprechenden noch nicht endgültig abgeschlossenen Genehmigungsverfahren. Dabei konzentrierten sie sich auf solche Rüstungsgüter, die für den Luftkrieg geeignet sind, zum Beispiel Ersatzteile für Flugzeuge, Bomben und Raketen, die von Flugzeugen aus eingesetzt werden oder Bombenzielrechner. Ziel der Antragsteller war es, die weitere Lieferung solcher Rüstungsgüter aus Deutschland zu stoppen. Denn gerade der Luftkrieg ging mit zahlreichen, gut dokumentierten Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht einher und gefährdete die drei Kläger in ihrem grundgesetzlich geschützten Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Nachdem die Behörde die Antragsteller mit Verweis auf ministerielle Abstimmungsprozesse über zwei Jahre hingehalten hatte, lehnte sie die Anträge Ende April 2024 als unzulässig ab. Gegen diese Entscheidung haben die Betroffenen Ende Mai 2024 Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt eingereicht. 

Der Fall verweist auch auf die grundsätzliche Frage nach den Menschenrechten von Zivilist*innen in militärischen Konflikten. Ihr Schutz ist im humanitären Völkerrecht zwar festgelegt, praktisch zeigt sich allerdings immer wieder, dass es für zivile Opfer in militärischen Konflikten extrem schwer ist, die Verursacher dieser Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. In diesem Zusammenhang spielen auch Behörden wie das BAFA eine wichtige Rolle: Genehmigungsverfahren für Waffen und sonstige Rüstungsgüter sollten nicht nur wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Erwägungen Rechnung tragen, sondern müssen die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik und dabei insbesondere die Menschenrechte von gefährdeten Zivilist*innen im Blick behalten. 

Um dies effektiv sicherzustellen, müssen Genehmigungsentscheidungen gerichtlich überprüfbar sein. Zumindest betroffene Zivilist*innen müssen in der Lage sein, effektiven Rechtsschutz gegen Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter erlangen zu können, deren völkerrechtswidriger Gebrauch sie in ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bedroht. Eines der größten Hindernisse stellt hier bisher die weitgehende Intransparenz der Rüstungsexport- und Genehmigungspraxis dar. 

Kontext

Seit 2015 wurden zigtausende Zivilist*innen im Jemenkrieg durch Angriffe der kriegführenden Parteien getötet oder starben in Folge des Kriegs durch Hunger und Krankheiten. Für die Menschenrechtsverletzungen im Jemen sind alle Konfliktparteien verantwortlich. Eine Hauptursache für die Opfer unter der Zivilbevölkerung sind die Luftangriffe des von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführten Militärbündnisses, das im März 2015 im Jemen eingriff. Nach Angaben des Yemen Data Project wurden bei insgesamt über 25 000 registrierten Luftangriffen der Koalition über 7 000 identifizierbare nichtmilitärische Ziele getroffen. Schulen, Krankenhäuser und zivile Häuser wurden zerstört, Tausende von Menschen wurden getötet, verletzt oder vertrieben. Auch wenn die Luftangriffe seit dem Waffenstillstand im Frühjahr 2022 endlich aufgehört haben, leiden die Jemenit*innen weiterhin unter den lang anhaltenden Folgen dieses seit Jahren andauernden Krieges. Noch immer sind mehr als 21 Millionen Jemenit*innen - über zwei Drittel der Bevölkerung - auf humanitäre Hilfe zur Minimalversorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln angewiesen. Konfliktbedingte Schäden sowie gezielte Angriffe der Kriegsparteien haben dazu geführt, dass zivile Infrastruktur wie das Bildungs- und Gesundheitswesen kaum noch funktioniert.  Die jüngste militärische Eskalation im Jemen - nach den Luftangriffen der USA und Großbritanniens Anfang des Jahres 2024 auf Ziele der Houthi - birgt die Gefahr, dass sich die ohnehin schon ernste Lage für die Zivilbevölkerung weiter verschlechtert. Da es bis heute keinen formellen Friedensvertrag zwischen den Konfliktparteien gibt, droht der Konflikt jederzeit erneut aufzuflammen - mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung.

In Europa ansässige Waffenhersteller ebenso wie europäische Staaten spielten und spielen eine zentrale Rolle im Jemen-Konflikt: Bereits im April 2018 reichten das ECCHR und seine Partner eine Strafanzeige wegen italienischer Waffenlieferungen an Saudi Arabien bei der Staatsanwaltschaft in Rom ein. Darauf folgte, zusammen mit Mwatana for Human Rights (Jemen), Amnesty International (Frankreich), the Campaign Against Arms Trade (Großbritannien), Centre Delàs (Spanien) und Rete Disarmo (Italien), im Dezember 2019 eine Einreichung an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mit der Aufforderung, Ermittlungen zu mehreren europäischen Waffenherstellern wie Leonardo oder Rheinmetall einzuleiten, sowie zu den Behörden, die deren Lieferungen offiziell absegneten. Im Juni 2022 reichte das ECCHR zusammen mit Mwatana for Human Rights (Jemen) und Sherpa (Frankreich) darüber hinaus eine Strafanzeige beim Pariser Gerichtshof wegen französischer Waffenlieferungen an Saudi Arabien und die VAE ein. 

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Kriegsverbrechen

Kriegsverbrechen sind schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die in bewaffneten Konflikten begangen werden.

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Für die Menschenrechtsverletzungen im Jemen sind alle Konfliktparteien verantwortlich. In zahlreichen Berichten dokumentieren die UN sowie internationale NGOs immer wieder Angriffe auf zivile Ziele wie Krankenhäuser, Marktplätze, Schulen und Wohnhäuser, mit zahllosen Opfern.

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