Kroatien: Brutale Pushbacks von Geflüchteten und sexuelle Übergriffe

Betroffene verlangen, Polizist*innen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen

Kroatien – Pushbacks – Sexualisierte Gewalt

Vier Geflüchtete, die bei einer Pushback-Operation durch kroatische Beamt*innen Ende 2020 Opfer brutaler Misshandlungen und sexueller Gewalt wurden, fordern Gerechtigkeit für das erlittene Unrecht. Mit Hilfe der kroatischen NGO CMS (Centre for Peace Studies) erstatteten sie eine Strafanzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Kroatien. Inzwischen leben sie in Deutschland und werden hier in dem laufenden Ermittlungsverfahren von Pro Asyl und dem ECCHR unterstützt.

Fall

Im Oktober 2020 überquerte eine Gruppe von fünf afghanischen Geflüchteten die bosnisch-kroatischen Grenze und wurde von der kroatischen Polizei aufgegriffen. Einem der jungen Männer, der zunächst versucht hatte zu entkommen, wurde wenige Zeit später verhaftet und beschuldigt, der Schlepper zu seinen und bei seiner Festnahme gewaltsam Widerstand geleistet zu haben. Die übrigen vier Mitglieder der Gruppe kamen zunächst ebenfalls in Haft und wurden nach zwei Tagen einem Richter vorgeführt, um gegen den mutmaßlichen Fluchthelfer auszusagen. In ihrer Vernehmung bestreiten sie die erhobenen Vorwürfe. Das Gericht folgte ihren Angaben und ordnete ihre Entlassung  an.

Die vier Männer wurden jedoch nicht auf freien Fuß gesetzt, sondern stattdessen vermummten, schwarz-uniformierten Polizisten*innen übergeben, die sie zur bosnisch-kroatischen Grenze verbrachten. Dort zwangen die Beamt*innen sie, sich auszuziehen und ihre Kleidung zu verbrennen. Anschließend wurden sie von den Beamt*innen brutal misshandelt. Dies umfasste Faustschläge und Tritte, Schläge mit einer peitschenartige Waffe sowie Vergewaltigung mittels eines Asts. Schwerverletzt und nahezu nackt wurde die Gruppe dann zurück über die Grenze nach Bosnien getrieben. Dort erfolgte eine medizinische Behandlung und ihre Schilderungen und Verletzungen konnten dokumentiert werden. Kroatische wie internationale Medien berichteten über den Vorfall hier und hier.

Mit der Unterstützung von Juristinnen der NGO CMS konnten die Betroffenen im Dezember 2020 in Kroatien gegen die unbekannten Täter*innen eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs, Misshandlung und Folter, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und Raub einreichen. In dem nach wie vor anhängigen Ermittlungsverfahren unterstützen das ECCHR und Pro Asyl sie darin, als Zeugen auszusagen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Kontext

Pushbacks sind in Kroatien Teil einer gezielten und systematischen staatlichen Politik, die bereits seit 2016 von Menschenrechtsinstitutionen, NGOs und den Medien umfassend dokumentiert worden ist. Der vorliegende Fall verdeutlicht die extreme Brutalität, der Schutzsuchende bei Pushback-Operationen ausgesetzt sind und knüpft zugleich an die bestehende Fallarbeit des ECCHR zu Menschenrechtsverletzungen an der bosnisch-kroatischen Grenze an. Der Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum am 1. Januar 2023 und das ausdrückliche Lob der EU für die herausragenden Leistungen Kroatiens beim „Schutz der Außengrenzen“ stehen in krassem Gegensatz zu der anhaltenden Straflosigkeit und dem Fehlen effektiver und unabhängiger Ermittlungen gegen Polizeibeamt*innen wegen schwersten Straftaten gegen Schutzsuchende.

Dokumente (4)

Partner

Glossar (2)

Definition

Pushback

Pushbacks sind staatliche Maßnahmen, bei denen flüchtende und migrierende Menschen – meist unmittelbar nach Grenzübertritt – zurückgeschoben werden, ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen oder deren Rechtmäßigkeit gerichtlich überprüfen zu lassen. Pushbacks verstoßen u.a. gegen das Verbot der Kollektivausweisung, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist.

Themen (1)

Einblick

Pushbacks

Kilometerlange und mit Stacheldraht gesicherte Grenzzäune, tausende hochtechnisierte Patrouillen zur See, zur Luft und zu Land; Rückschiebevereinbarungen mit den Anrainerstaaten: Die Europäische Union betreibt viel Aufwand, um Menschen, die versuchen, Krieg, Verfolgung und Elend in ihren Herkunftsländern zu entkommen, abzuwehren. Zur Rechtfertigung heißt es in Brüssel und den Mitgliedstaaten, die Rückschiebungen seien politisch notwendig und rechtlich zulässig.

Doch fast jede Woche kentern oder sinken Schiffe und Boote mit Geflüchteten vor Italien und Malta. Regelmäßig berichten Betroffene und Zeug*innen von Misshandlungen an den Grenzen Griechenlands zur Türkei. Immer wieder sterben Menschen, bei dem Versuch die spanisch-marokkanische Grenze zu überwinden. All dies belegt auf dramatische Weise das Versagen der Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU – und insbesondere der Abschiebepraxis.

Bei den illegalen Zurückweisungen und Zurückschiebungen, den so genannten Pushbacks, an den EU-Außengrenzen werden elementare Menschen- und Flüchtlingsrechte außer Kraft gesetzt. Doch die Betroffenen sind faktisch rechtlos gestellt und haben kaum Möglichkeiten gegen die Gewaltexzesse vorzugehen.

Das ECCHR setzt sich seit 2014 mit rechtlichen Interventionen gegen die Abschiebepraktiken in der EU ein und unterstützt die Betroffenen von Pushbacks bei der juristischen Aufarbeitung einzelner Aktionen.

Karte

Discover our Living Open Archive