Beschwerde gegen Griechenland vor dem UN-Menschenrechtsausschuss

Geflüchtete klagt gegen brutale Pushbacks an der griechisch-türkischen Grenze

Griechenland – Pushbacks – Parvin A.

Schwer misshandelt, irregulär inhaftiert und mehrfach gewaltsam aus Griechenland in die Türkei zurückgeschoben – die detaillierten Schilderungen von Parvin A. sowie vielfältiges weiteres Beweismaterial legen die verdeckte und systematische Pushback-Praxis Griechenlands offen. Mit Unterstützung des ECCHR und Forensic Architecture reichte Parvin A. hierzu im Februar 2022 beim UN-Menschenrechtsausschuss eine Beschwerde gegen Griechenland wegen diverser Verstöße gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR, den sogenannten UN-Zivilpakt) ein.

Fall

Die zum Zeitpunkt der Pushbacks 28-jährige Parvin A. war 2017 wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung aus dem Iran geflohen und zunächst vom UNHCR in der Türkei als Geflüchtete anerkannt worden. Nachdem die türkischen Behörden ihren Status aberkannten und sie abschieben wollten, suchte Parvin A. Schutz in der EU. Im Jahr 2020 wurde sie insgesamt sechsmal aus Griechenland über den Grenzfluss Evros in die Türkei zurückgeschoben oder auf dem Meer abgedrängt – ohne die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Im Zuge dieser Pushbacks wurde sie mehrfach ohne Verfahren in Containern oder Polizeistationen unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert, bedroht und körperlich misshandelt.

In ihrer Beschwerde rügt Parvin A. zuvorderst eine Verletzung von Artikel 16 IPbpR, der das grundlegende Recht auf Anerkennung als Person vor dem Gesetz, mit anderen Worten das „Recht, Rechte zu haben“, garantiert. Daneben macht sie Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und wegen Misshandlungen im Rahmen der Pushbacks (Artikel 7) sowie wegen ihrer Inhaftierungen unter unmenschlichen Haftbedingungen (Artikel 9 und 10) geltend. Da zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit bestand, die Maßnahmen gerichtlich überprüfen zu lassen, verweist sie außerdem auf Verletzungen ihres Rechts auf eine wirksame Beschwerde nach Artikel 2 Absatz 3 IPbpR.

Kontext

Menschenrechtsinstitutionen, NGOs und internationale Medien haben seit mehr als zwei Jahrzehnen dokumentiert, dass Pushbacks in Griechenland koordiniert, systematisch und weit verbreitet sind. Dennoch leugnet die griechische Regierung beharrlich deren Existenz.

Parvin A.s Fall ist Teil einer Reihe von rechtlichen Interventionen, mit denen das ECCHR gegen systematische Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen vorgeht. Unsere Einreichungen betonen: Geflüchtete und Migrant*innen haben ein Menschenrecht auf Rechte. Da europäische Institutionen es bisher versäumt haben, den massenhaften Rechtsverstößen ein Ende zu setzen und Griechenland zur Rechenschaft zu ziehen, muss sich nun der UN-Menschenrechtsausschuss hiermit befassen.

Media

Pushbacks über den Evros/Meriç: Filmstill der Analyse von Parvins Fall © Forensic Architecture
Pushbacks über den Evros/Meriç: Filmstill der Analyse von Parvins Fall © Forensic Architecture

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Definition

Pushback

Pushbacks sind staatliche Maßnahmen, bei denen flüchtende und migrierende Menschen – meist unmittelbar nach Grenzübertritt – zurückgeschoben werden, ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen oder deren Rechtmäßigkeit gerichtlich überprüfen zu lassen. Pushbacks verstoßen u.a. gegen das Verbot der Kollektivausweisung, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist.

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Einblick

Sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt

Vergewaltigung, aber auch sexuelle Übergriffe, erzwungene Schwangerschaften oder sexuelle Versklavung: Alle diese Verbrechen sind sexualisierte Gewalt. In bewaffneten Konflikten und repressiven Regimen nutzen Militär, Geheimdienste und Polizei häufig diese und ähnliche Methoden als Teil ihrer militärisch-staatlichen Strategie, um die Zivilbevölkerung zu unterdrücken. Dabei richtet sich sexualisierte, geschlechtsbezogene Gewalt sowohl gegen Frauen und Mädchen als auch gegen Männer und Jungen – und missbraucht dabei die Rolle, die den Betroffenen in der Gesellschaft zugeschrieben wird (insbesondere auch in Bezug auf LGBTIQ-Personen). Sexualisierte Gewalt greift die Würde und sexuelle Integrität einer Person an. Gesellschaftliche Normen verhindern zudem, dass die Betroffenen über ihre Erfahrungen sprechen, geschweige denn, dass diese strafrechtlich oder gesellschaftlich aufgearbeitet werden. Die seelischen, körperlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen betreffen nicht nur die Überlebenden, sondern auch ihre Familien und Gemeinschaften.

Das internationale Strafrecht bietet Möglichkeiten, sexualisierte und geschlechtsbezogene Verbrechen als Einzeltaten eines Genozids, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu verfolgen. Doch diese Praxis – Ermittlungen, Prozesse oder Gerichtsurteile – spiegelt das Ausmaß und die Systematik dieser Verbrechen selten wider. Der Grund: Geschlechtsbezogene Diskriminierung ist nicht nur die Ursache für sexualisierte Gewalt, sondern oft auch der Grund für die mangelnde juristische Aufarbeitung. Die immer wiederkehrende Darstellung und juristische Einordung sexualisierter Gewalt als „Einzelfall“ verleugnet die politische Dimension dieser Verbrechen.

Seit 2010 kämpft das ECCHR gegen das Verschweigen, die Verharmlosung und die Straflosigkeit von sexualisierter und geschlechtsbezogener Gewalt weltweit.

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