Argentinisches Gericht folgt internationaler Rechtsprechung zu sexualisierter Gewalt

Argentinien – Militärdiktatur – Sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt

In seinem Urteil zu Folter und anderen Verbrechen in den Geheimgefängnissen Club Atlético, Banco und Olimpo vom 23. März berücksichtigt der Strafgerichtshof Nr. 2 in Buenos Aires (Tribunal Oral Federal N. 2 Buenos Aires) die Begehung sexualisierter Gewalt. Das zuständige Gericht folgt dem Bericht des ermittelnden Richters Daniel Rafecas und erklärt in seinem Urteil sexualisierte Gewalt als eine Form der Folter und beruft sich dabei direkt auf das vom ECCHR gemeinsam mit Theo van Boven vorgelegte Gutachten (Amicus Curiae Brief).

Mit dem Urteil erkennt Argentinien an, dass sexualisierte Gewalt in den Gefangenenlagern Atlético, Banco und Olimpo systematisch und somit unter anderem als eine Foltermethode angewandt wurde. Argentinien folgt damit internationaler Rechtsprechung, und trägt einen wesentlichen Schritt zum Kampf gegen Straflosigkeit geschlechtsbezogener Gewalt während der Militärdiktatur bei.

Fall

Im Oktober 2010 hatte das ECCHR hat zusammen mit Theo van Boven, dem früheren UN-Sonderberichterstatter für Folter, als Amicus Curiae zwei Gutachten bei argentinischen Bundesgerichten eingereicht. Die Gutachten unterstützen vier verschiedene Fälle in den Verfahren zur Militärdiktatur. Sie behandeln Fragen des internationalen Rechts: „Sexualisierte Gewalt als Foltermethode“ sowie „Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei militärischer Unterdrückung“.

Von den sechzehn Verurteilten, Bundespolizisten und Angehörigen des Militärs, wurden zwölf zu lebenslanger Freiheitsstrafe und vier zu einer Haftstrafe in Höhe von 25 Jahren verurteilt. Ihnen werden in 184 Fällen unter anderem Folter, Totschlag und Freiheitsberaubung vorgeworfen, welche nach internationalem Recht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden.

Kontext

In dem ersten Gutachten unterstreichen die Rechtsexperten, dass in geheimen Gefangengenlagern sexualisierte Gewalt, speziell gegen Frauen unter anderem als Foltermethode eingesetzt wurde. Inhaftierte Frauen in den Gefangenenlagern Atlético, Banco und Olimpo wurden durch angestelltes Wachpersonal und in Kenntnis von höherrangigen Bediensteten systematisch brutal vergewaltigt und sexuell missbraucht. Im Gefangenenlager ESMA hielten sich die Militärfunktionäre Gefangene als Sexsklavinnen. Das zweite Gutachten widmet sich den massiven Verstößen gegen die Menschenrechte während der Militärdiktatur in Argentinien und zeigt, dass diese einen Verstoß gegen internationales Recht darstellen. Die Verstöße haben nicht nur Auswirkungen auf die Opfer direkt, sondern auch auf die gesamte internationale Gemeinschaft.

Glossar (3)

Definition

Amicus Curiae Brief

Ein Amicus Curiae Brief (dt. Freund des Gerichts) ist ein Schriftsatz an ein Gericht, in dem eine am Verfahren nicht selbst beteiligte Person oder Organisation rechtliche Argumente und eine Handlungsempfehlung für einen vor Gericht ausgetragenen Fall darlegen kann.

Themen (1)

Einblick

Argentinien

Von 1976 bis 1983 verschleppte, folterte und tötete die Militärdiktatur in Argentinien zehntausende Menschen. Anfang der 2000er Jahre wurden zahlreiche unmittelbare Täter*innen und hochrangige Verantwortliche für diese Verbrechen vor Gericht gebracht. Vieles muss jedoch noch juristisch aufgearbeitet werden – dies gilt insbesondere für die Frage nach der Verantwortung von Unternehmen für Verbrechen der Militärdiktatur. Das ECCHR unterstützt seit seiner Gründung Fälle zu Unternehmensverantwortung und hochrangingen Militärangehörigen in Argentinien.

Die Verfahren gegen Manager*innen von Mercedes Benz Argentinien, das Zuckerunternehmen Ledesma und das Bergbauunternehmen Minera Aguilar S.A. zeigen, dass Diktaturverbrechen immer auch eine ökonomische Dimension haben. In diesen Fällen unterstützten Mitarbeiter*innen der Unternehmen argentinische Sicherheitskräfte dabei, Gewerkschafter*innen und weitere Mitarbeiter*innen festzunehmen und zu verschleppen. Damit leisteten sie mutmaßlich Beihilfe zu den Verbrechen der Militärdiktatur, um wirtschaftliche Interessen voranzubringen.

Das ECCHR hat in den laufenden Verfahren zur Rolle von Mercedes Benz, Ledesma und Minera Aguilar jeweils Rechtgutachten eingereicht, die belegen, dass die Regierung und Justiz in Argentinien verpflichtet sind, auch privatwirtschaftliche Akteure für Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur zur Verantwortung zu ziehen.

Neben diesen Fällen war Wolfgang Kaleck, Gründer und Generalsekretär des ECCHR, jahrelang im Fall der Deutschen Elisabeth Käsemann juristisch aktiv. Käsemann hatte sich gegen die Militärdiktatur in Argentinien politische engagiert und wurde 1977 verschleppt und gefoltert. Die genauen Umstände ihres Todes sind bis heute nicht umfassend juristisch aufgearbeitet.

Karte

Discover our Living Open Archive