Systematische Arbeitsrechtsverstöße in pakistanischen Textilfabriken

Europäische Marken müssen Verantwortung übernehmen

Pakistan – Lieferketten – KiK

Arbeiter*innen in pakistanischen Textilfabriken sind systematisch Arbeitsrechtsverletzungen ausgesetzt. Die große Mehrheit erhält keine schriftlichen Verträge und es kommt häufig zu Verstößen gegen die Lohnvorschriften. Viele der Arbeiter*innen erhalten nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn, sind über Dritte beschäftigt, leisten Akkordarbeit und sind weder sozial- noch rentenversichert. Nach den Aussagen von Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen vor Ort lässt unter anderem auch der deutsche Textilkonzern KiK über seinen Zulieferer Mount Fuji unter solchen Bedingungen produzieren.

Fall

KiK präsentiert sich in der Öffentlichkeit gerne als Vorreiter in Fragen menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten. Das Unternehmen habe nach dem tödlichen Brand 2012 in der Textilfabrik Ali Enterprises, deren Kläger*innen wir im Prozess gegen KiK unterstützt haben, seine Lektion gelernt. Nur - die Übernahme echter Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in seiner Lieferkette verweigert das Unternehmen nach Berichten von vor Ort bis heute.

Die jetzt eingereichte Beschwerde nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) der pakistanischen Gewerkschaft NTUF sowie betroffener pakistanischer Textilarbeiter*innen gegen KiK umfasst folgende Vorwürfe:

  • Umgehung von Arbeits- und Gewerkschaftsrechten: Der pakistanische Zulieferer Mount Fuji verstößt systematisch gegen das Arbeitsrecht, insb. durch die Vorenthaltung angemessener Löhne und die Unterdrückung gewerkschaftlicher Organisierung. Kurz nach Unterzeichnung einer Vereinbarung mit der NTUF über die Einhaltung des lokalen Arbeitsrechts organisierte Mount Fuji die Scheinwahl einer vermeintlichen Arbeiter*innenvertretung.144 Arbeiter*innen wurden zudem unter Missachtung des lokalen Arbeitsrechts entlassen, darunter auch gewerkschaftlich aktive Personen.
  • Missachtung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten: KiK unternahm keine wirksamen Schritte gegen die dokumentierten Verstöße seines Zulieferers, sondern verließ sich erneut auf dessen Zusicherungen und zweifelhafte Audits durch in Sozialfragen wenig erfahrene Consultingunternehmen - trotz klarer Hinweise auf ihre Ungeeignetheit.
  • Unkritischer Umgang mit eigenen Einkaufspraktiken: Der Konzern verweigerte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seiner eigenen Rolle und möglichen zu den Verletzungen beitragenden Faktoren wie Preisdruck und kurzfristigen Stornierungen von Aufträgen.

Der Beschwerde vorausgegangen war eine 2023 gemeinsam vom ECCHR, FEMNET und der NTUF durchgeführte Umfrage unter 350 Arbeiter*innen aus 20 Textilfabriken in Karatschi, dem pakistanischen Zentrum der Textilproduktion. Die Untersuchung bestätigte die strukturelle Natur der Arbeitsrechtsverletzungen in Fabriken, die für große europäische Marken produzieren.

Im September 2023 reichten NTUF, FEMNET und ECCHR als Reaktion auf diese Zustände eine unternehmensinterne Beschwerde bei KiK und weiteren großen Textilkonzernen ein - eine Möglichkeit, die seit Einführung des deutschen Lieferkettengesetzes besteht.

KiK zeigte sich zunächst dialogbereit und forderte Mount Fuji zur Unterzeichnung einer Vereinbarung über die Einhaltung des Arbeitsrechts auf. Gleichzeitig weigerte sich KiK aber, selbst Teil der Vereinbarung zu werden und damit Verantwortung für ihre Um- und Durchsetzung in der Praxis zu übernehmen. Wenig überraschend, zeigte der Zulieferer in der Folge wenig Interesse, die Vereinbarung auch tatsächlich einzuhalten: Bereits kurz nach Unterzeichnung der Vereinbarung im Februar 2024 versuchte der Zulieferer zunächst durch eine vorgetäuschte Wahl eine vermeintliche Arbeiter*innenvertretung in der Fabrik zu installieren. Kurz darauf wurden 144 Arbeiter*innen fristlos entlassen, darunter auch diejenigen, die gegen die Scheinwahl protestiert hatten. Proteste seitens der NTUF hiergegen tat Mount Fuji als ungebührliche Einmischung ab. Im Ergebnis dauern die unzumutbaren Zustände vor Ort bis heute an.

Mit der jetzt eingereichten Beschwerde fordern die Beschwerdeführer*innen das BAFA, die für die Durchsetzung des LkSG zuständige Behörde, auf, KiK endlich zur Einhaltung ihrer gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu bewegen und wirksame Maßnahmen zur Abhilfe und Prävention zukünftiger Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette zu ergreifen.

Die Beschwerde beinhaltet dabei auch erstmals einen Drittwiderspruch von Betroffenen gegen eine Entscheidung des BAFA auf Basis des Lieferkettengesetzes. Im September 2024 war bekannt geworden, dass die Behörde auf eigene Initiative tätig geworden war und KiK im Ergebnis bescheinigte, keine Verstöße gegen das LkSG mit Blick auf die Vorgänge in Pakistan feststellen zu können – ohne vorab die NTUF oder sonstige Betroffene anzuhören. Diese Entscheidung verletzt die NTUF und die betroffenen Arbeiter*innen in ihren durch das LkSG geschützten Rechten.

Kontext

Die Beschwerde gegen KiK unterstreicht, warum es ein starkes Lieferkettengesetz braucht. Um Mensch und Umwelt zu schützen, hilft es nicht, auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen zu setzen. Vielmehr braucht es klare gesetzliche Pflichten und spürbare Sanktionen im Fall von Verstößen. Gemeinsam mit unseren Partnern setzen wir das LkSG zur Bekämpfung von Arbeitsrechtsverletzungen ein und halten Unternehmen zur wirksamen Umsetzung ihrer Sorgfaltspflicht an.

Politisch steht das LkSG seit seinem Bestehen unter massivem Druck: Die neue Bundesregierung hat angekündigt, die Berichtspflichten des LkSG abzuschaffen und Sanktionen auf „massive Menschenrechtsverletzungen“ zu begrenzen. Mit Blick auf die vor einem Jahr in Kraft getretene EU-Lieferkettenrichtlinie CSDDD will sie angeblich „überbordende Regulierungen“ verhindern. Statt einer Abschwächung braucht es aber eine effektivere Umsetzung im Sinne der Betroffenen und eine ambitionierte Novellierung des Gesetzes nach Maßgabe der EU CSDDD und ohne Rückschritte gegenüber dem bisherigen LkSG.

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Sorgfaltspflicht

Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten besagen, dass ein Unternehmen durchgehende Risikountersuchungen durchführen sollte, um sicherzustellen, dass keine menschenrechtlichen Standards verletzt werden.

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