Gericht verurteilt syrischen Militärarzt Alaa M. zu lebenslanger Haft wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

16.06.2025

Frankfurt a.M., 16. Juni 2025. Nach dreieinhalb Jahren intensiver Beweisaufnahme verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt heute den ehemaligen syrischen Arzt Alaa M. wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und verhängte zudem eine anschließende Sicherungsverwahrung - wegen der besonderen Schwere der Schuld. Zwischen 2011 und 2012 hat er in einem Militärkrankenhaus in Homs sowie in einem Gefängnis des Militärgeheimdienstes Inhaftierte gefoltert, sexuell misshandelt und in zwei Fällen getötet. Damit endet das bislang umfangreichste Verfahren in Deutschland zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes in Syrien.

“Nach vierzehn Jahren unter der Geißel von Tyrannei, Unterdrückung und Ungerechtigkeit, können wir Syrerinnen und Syrer heute wieder von Freiheit und Gerechtigkeit träumen. Dieses Urteil gibt Hoffnung, dass Gerechtigkeit möglich ist, nicht nur für mich, sondern für alle Überlebenden”, sagt ein Nebenkläger, vertreten durch ECCHR-Partneranwalt René Bahns.

Alaa M. wurde im Juni 2020 wegen des dringenden Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit festgenommen. Als Arzt und Mitarbeiter des Geheimdienstes soll er in mehreren Einrichtungen an sexualisierter Gewalt, Folter und Tötungen von Zivilisten beteiligt gewesen sein – darunter das berüchtigte Militärkrankenhaus Mezzeh Nr. 601, bekannt als ‚Human Slaughterhouse‘, in dem auch die sogenannten Caesar-Fotos entstanden, das Militärkrankenhaus Nr. 608 sowie das Gefängnis der Abteilung 261 des Militärgeheimdienstes in Homs.

In 186 Verhandlungstagen wurden über 50 Zeug*innen und zahlreiche Sachverständige angehört. Ihre Aussagen vermittelten ein umfassendes Bild über die Rolle syrischer Militärkrankenhäuser im Foltersystem des Assad-Regimes, dem systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung sowie der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste in Homs, insbesondere im Stadtteil Baba Amr. 

Das Verfahren schloss unmittelbar an den weltweit ersten Prozess zur Staatsfolter in Syrien vor dem Oberlandesgericht Koblenz an, bei dem der ehemalige syrische Offizier Anwar Raslan wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Das ECCHR unterstützte dort und in weiteren Verfahren in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen Folterüberlebende und ihre Angehörigen bei der juristischen Aufarbeitung.

Derzeit laufen weitere Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien: Eines davon befasst sich mit der gewaltsamen Niederschlagung einer friedlichen Demonstration gegen das syrische Regime und der wiederholten Misshandlung von Zivilist*innen durch eine lokale Miliz im palästinensischen Viertel Yarmouk in Damaskus. Zudem wurde im Mai 2025 ein mutmaßlicher Mitarbeiter der Al Khatib-Abteilung des syrischen Geheimdienstes festgenommen.

Das Urteil gegen Alaa M. macht deutlich: Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip sind inzwischen fester Bestandteil der Rechtsprechung in Deutschland. Das Urteil ist ein bedeutender Schritt im Kampf gegen Straflosigkeit und ein klares Signal an die Täter des syrischen Regimes. Mein Wunsch ist, dass solche Urteile eines Tages auch in Syrien selbst als Grundlage dienen, um die Hauptverantwortlichen  für eines der grausamsten  Verbrechen unserer Zeit vor Gericht zu bringen. Bis dahin schließen sie eine entscheidende Lücke in der strafrechtlichen Aufarbeitung und sind ein unverzichtbarer Bestandteil internationaler Bemühungen um Gerechtigkeit”, sagt Patrick Kroker, Senior Legal Advisor beim ECCHR. 

Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip – wie das gegen Alaa M. – waren lange Zeit der einzige Weg, wie Betroffene der Verbrechen des syrischen Regimes Gerechtigkeit erlangen konnten. Mit dem Sturz des Assad-Regimes eröffnet sich die bislang undenkbare Möglichkeit, dass die Aufarbeitung künftig von den Syrer*innen selbst im eigenen Land vorangetrieben wird: 

„Dieses Urteil markiert einen Wendepunkt in der Geschichte Syriens – es zieht eine klare Linie zwischen einer von Blut und Unrecht gezeichneten Vergangenheit und einer Zukunft, die mehr Gerechtigkeit und Fairness verspricht. Es würdigt das Leid der unzähligen Menschen, die in den Gefängnissen des Assad-Regimes unter Folter zerbrochen wurden. Mit dem Sturz des Regimes ist eine umfassende Neustrukturierung der staatlichen Institutionen – insbesondere der Sicherheits-, Militär- und Justizapparate – unerlässlich, um deren Unabhängigkeit, Transparenz und uneingeschränkte Ausrichtung an internationalen Menschenrechtsstandards sicherzustellen”, sagt Fadel Abdulghany, Gründer und Direktor des Syrian Network for Human Rights (SNHR).

Das ECCHR arbeitet seit 2012 intensiv an der völkerstrafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien. Mehr über die Arbeit des ECCHR und unserer Partner zur Folter und Verbrechen des syrischen Regimes erfahren sie hier und hier

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Dem Unrecht das Recht entgegensetzen – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von Wolfgang Kaleck und weiteren internationalen Jurist*innen gegründet, um die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln durchzusetzen.

Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen weltweit nutzen wir juristische Mittel, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung und abgeschottete Grenzen nicht ungestraft davonkommen.

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