Am 23. September 2024 haben Hinterbliebene von Opfern des syrischen Geheimdienstes Strafanzeige beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe erstattet. Unterstützt wurden sie dabei von der Caesar Family Association (CFA) und dem ECCHR. Die Anzeige betrifft vier Fälle von Mord, willkürlicher Inhaftierung, Verschwindenlassen und Folter. Sie richtet sich gegen hochrangige Funktionäre des syrischen Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Unter ihnen sind: Jamil Hassan, Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, Ali Mamlouk, ehemaliger Geheimdienstchef und Assad-Berater, Abd al-Fatah Qudsiyah, ehemaliger Leiter des Militärgeheimdienstes und stellvertretender Leiter des Nationalen Sicherheitsbüros, Rafiq Shahadah, ehemaliger Leiter des Militärgeheimdienstes sowie Ghassan Jaoudat Ismail, ehemaliger stellvertretender Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes und seit 2019 dessen Leiter und damit Nachfolger von Jamil Hassan. Den Angehörigen gelang es, ihre getöteten Familienmitglieder anhand der so genannten Caesar-Fotos zu identifizieren. Erstmals schließt sich mit der Caesar Families Association eine Opferorganisation den bestehenden Bemühungen um Aufarbeitung an.
Die vier Ermordeten wurden in den Jahren 2012 und 2013 an verschiedenen Orten in Syrien durch Kräfte des syrischen Regimes festgenommen und in Foltergefängnissen des Geheimdiensts inhaftiert. Alle Versuche der Angehörigen, Informationen über den Verbleib der Verschwundenen zu erhalten und gegen die willkürliche Inhaftierung vorzugehen, blieben erfolglos. Erst die Caesar-Fotos brachten die Gewissheit, dass sie ermordet worden waren: Durch sie konnten die Hinterbliebenen die Leichen ihrer Verwandten identifizieren. Die vier Fälle stehen emblematisch für die Gräueltaten des syrischen Regimes, die bis heute andauern.
„Diese Anzeige ist nicht nur für unsere Angehörigen. Sie ist ein Schritt in Richtung Gerechtigkeit für alle Syrer und Syrerinnen und ein neuer Beitrag zur Aufdeckung der systematischen und grausamen Methoden des syrischen Regimes. Die Verbrechen gegen unsere Angehörigen sind Zehntausenden, wenn nicht Hunderttausenden in Syrien widerfahren und werden weiterhin begangen. Deshalb fordern wir die deutsche Bundesanwaltschaft auf, mit der Anzeige ihre Aufarbeitung systematischer Verbrechen des Assad-Regimes fortzuführen, wie es in den Prozessen in Koblenz und Frankfurt geschehen ist. Ich will Gerechtigkeit für meine Geschwister. Ich will Gerechtigkeit für alle Syrer und Syrerinnen,” sagt Yasmen Almashan, Gründungsmitglied der CFA und Anzeigeerstatterin.
Die Caesar Fotos umfassen 26.938 Bilddateien mit Fotografien von insgesamt 6.821 Leichen aus syrischen Gefängnissen, alle in hoher Auflösung. Unter großem persönlichem Risiko wurden die Fotos von einem ehemaligen syrischen Militärfotografen, der unter dem Decknamen „Caesar“ bekannt ist, aufgenommen und außer Landes gebracht. Seither dienen sie als wichtiges Beweismittel für die Ermittlung von Menschenrechtsverbrechen unter Syriens Präsident Bashar al-Assad, etwa im Al-Khatib-Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz, im laufenden Verfahren gegen den wegen Folter angeklagten syrischen Arzt Alaa M. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, im Zusammenhang mit dem vom Karlsruher Bundesgerichtshofs erlassenen Haftbefehl gegen den Geheimdienstchef Jamil Hassan oder bei den laufenden Ermittlungen in Schweden und Norwegen.
Mit der aktuellen Nachreichung erneuert das ECCHR seine Forderung an den Generalbundesanwalt, umfassende Ermittlungen gegen die Verantwortlichen des syrischen Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuleiten. Die Angehörigen der Getöteten verlangen und verdienen eine hervorgehobene Stellung in diesen Ermittlungen.
Vereinzelt schreitet die juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in Syrien international voran. So wurden im Mai 2024 in Paris Jamil Hassan, Ali Mamluk und Abdel Salam Mahmoud in einem Prozess in Abwesenheit der Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt. Dennoch bleiben fast alle Verbrechen bis heute ungesühnt.
“Die vier Anzeigeerstattenden haben bislang keine Gerechtigkeit für das Schicksal ihrer ermordeten Angehörigen erfahren. Die bisherigen Ermittlungen müssen deshalb weitergehen und weitere Haftbefehle gegen Täter erlassen werden. Mehr noch: Bis heute begeht das Assad-Regime systematisch schwere Menschenrechtsverbrechen. Deswegen verbieten sich Abschiebungen nach Syrien und jegliche Kooperation mit Assad - einem Regime, das Menschen systematisch verschwinden lässt, foltert und ermordet,” sagt Helena Krüger, Legal Advisor beim ECCHR.
Das ECCHR arbeitet seit 2012 intensiv an der völkerstrafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien. Mehr über den Fall und über die Arbeit des ECCHR und unserer Partner zur Folter und Verbrechen des syrischen Regimes erfahren sie hier.