Rechtswidrige Inhaftierung von Asylbewerbern in Litauen

Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Litauen – Haft – EGMR

Nach der Flucht aus seiner Heimat Irak reiste Sajjad M im Sommer 2021 als einer der ersten Asylsuchenden von Belarus aus in Litauen ein. Um Schutz in Europa zu finden, nutzten viele Migrant*innen aus dem Nahen Osten und Subsahara-Afrika die von Belarus angebotene Öffnung dieser Route. Daraufhin rief Litauen sofort den nationalen Notstand aus und begann an der Grenze mit Zwangsrückführungen. Der Zugang zu Asyl wurde verwehrt und tausende von Geflüchteten wurden in Gewahrsam genommen.

Sajjad M. war knapp ein Jahr in Litauen in Haft. Noch aus dem Gefängnis heraus klagte er am 8. Juni 2022, eigenständig beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen zahlreicher Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gegen Litauen. Bei seiner Ankunft in Deutschland stellte Sajjad M. einen Asylantrag. Das Verfahren vor dem EGMR führt er mit Hilfe von Equal Rights Beyond Borders, dem Roten Kreuz Litauen und ECCHR weiter.

 

 

Fall

Nachdem Sajjad im Sommer 2021 in Belarus angekommen war, reiste er weiter an die litauische Grenze und äußerte gegenüber einem litauischen Beamten seinen Wunsch nach Asyl. Sein Ersuchen wurde jedoch weder registriert, noch erhielt er Hilfe. Stattdessen legte man ihm Handschellen an und überstellte ihn in das improvisierte Haftlager von Druskinkinkai. Das folgende Jahr verbrachte er in Haft an drei verschiedenen Orten, immer hinter Zäunen und bewacht von Kameras und bewaffnetem Militärpersonal.

Als Sajjad versuchte, aus dem zweiten Lager zu fliehen, sprühte ein Beamter ihm Pfefferspray ins Gesicht und hetzte einen Hund auf ihn, der ihm Bisswunden an Armen, Schulter und Oberschenkel zufügte. Daraufhin wurde er mehrere Stunden in einem Kühlcontainer festgehalten, und anschließend geschlagen, bevor man ihn ins Lager zurückbrachte.

Dort, wie auch im ersten Lager, herrschten katastrophale Lebensbedingungen: Die Zelte waren überbelegt, die Waschräume standen unter Wasser, sauberes oder gar warmes Wasser gab es nicht. Anschließend hielten die litauischen Behörden Sajjad neun Monate hinter hohen Betonmauern und Stacheldraht in der umgewidmeten Haftanstalt Kybartai gefangen. Kurzzeitig wurde er sogar in eine Isolationszelle mit vergitterten Fenstern und extra gesicherten Stahltüren gesperrt.

Trotz mehrfacher Versuche, an Mitteilungen zu gelangen, hatte Sajjad enorme Schwierigkeiten, Informationen über seinen Asylantrag oder seine Haft zu erhalten – sei es von Behörden oder von seinem staatlich beigeordneten Rechtsanwalt. In der Klage vor dem EGMR argumentiert Sajjad M., dass Litauen ihn unrechtmäßig seiner Freiheit beraubt und damit gegen Artikel 5 EMRK verstoßen habe sowie gegen Artikel 3 durch die Bedingungen der Haft, gegen die es zusätzlich an Rechtsmitteln fehlte.

Kontext

Angesichts der wachsenden Zahl Geflüchteter, die 2021 von Belarus nach Litauen kamen, um Asyl zu beantragen, verkündete Litauen den Notstand und erließ entsprechende Gesetze. Diese Notstandsgesetze stellen angesichts der internationalen und EU-rechtlichen Verpflichtungen des Landes einen Rechtsbruch dar. Geflüchtete an den Grenzen wurden entweder Opfer von Massen-Pushbacks oder sie wurden automatisch und ohne Zugang zu Rechtsmitteln in Haft genommen.

NGOs berichteten Übergriffe und Verfolgung, Erniedrigung, unwürdige Behandlung und Gewaltanwendung durch die Beamten sowie mangelnde medizinische Versorgung in den provisorischen und schlecht ausgestatteten Haftanstalten und Lagern. Asylsuchenden wurde der Zugang zu Information, adäquater Übersetzung und Erläuterung oder effektiver juristsicher Unterstützung verweigert. Ihre Asylanträge wurden in Scheinverfahren abgelehnt.

2022 stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass das litauische System der Massenrückführung und automatischen Inhaftierung einen Verstoß gegen EU-Recht darstellte. Gleichwohl wurde die beschlossene EU-Krisenverordnung auch als Reaktion auf die Situation an der litauisch-belarussischen Grenze in den Jahren 2021 und 2022 verfasst. In dieser seio „irreguläre Migration zunehmend künstlich herbeigeführt und erleichtert wurden, … um die EU zu destabilisieren.“ In Situationen, in denen es zu einem „Massenzustrom von Drittstaatenangehörigen“ kommt, ermöglicht diese Verordnung es den EU-Mitgliedstaaten, die Registrierung und den Zugang zu Asylgesuchen zu verzögern und Grenzverfahren auszuweiten.

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Europäische Menschenrechtskonvention

Die Europäische Menschenrechtskonvention legt die geltenden Menschen- sowie Freiheitsrechte in Europa fest.

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