Berlin – Anlässlich der Vereinbarung von Volkswagen mit der Bundesstaatsanwaltschaft São Paolo zur Zahlung von etwa 5,6 Miollionen Euro an Betroffene der Militärdiktatur (1964-85) in Brasilien lesen Sie hier ein Statement von Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des ECCHR.
Das ECCHR hat den Fall der verfolgten Gewerkschafter von VW do Brasil seit 2017 aktiv unterstützt. Wolfgang Kaleck war zudem Anwalt des früheren VW-Mitarbeiters und Gewerkschafters Lúcio Bellentani, der im Rahmen der Militärdikatur 1972 über Monate schwer gefoltert wurde und der Kaleck in seiner Funktion als Präsident der Arbeitervereinigung „Heinrich Plagge“ beauftragte.
„Dass nach über 40 Jahren die Aktivitäten von VW do Brasil und seine Verwicklungen in die Vergehen der brasilianischen Militärdiktatur überhaupt aufgearbeitet wurden, ist erst einmal positiv. Insbesondere angesichts der aktuellen politischen Situation in Brasilien nach der Machtübernahme des rechtpopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro ist die Vereinbarung zwischen der Staatsanwaltschaft und VW do Brasil – die Zahlung von etwas 5,6 Millionen Euro zur Unterstützung der Betroffenen, für eine Gedenkstätte und zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Militärdiktatur – ein Schritt in die richtige Richtung.
Dennoch hätten der brasilianische Staat und der Konzern von sich aus früher reagieren müssen: Einige der Betroffenen sind inzwischen verstorben und können diese späte Aufarbeitung nicht mehr erleben, so wie mein Mandant Lúcio Bellentani. Umso wichtiger ist es, dass sowohl VW als auch der brasilianische Staat schnellstmöglich alle Voraussetzungen dafür schaffen, die Entschädigungen zügig auszubezahlen.
Heute, mit einem weiterentwickelten Völkerstrafrecht, müssten sich die Verantwortlichen des brasilianischen VW-Konzerns für die ihre Aktivitäten wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. Beihilfe zur Folter vor Gericht behaupten. Der lange Zeitverlauf, die im Vergleich zu heute unterschiedliche Rechtslage und insbesondere die Amnestie der Militärs, die nach wie vor eine Strafverfolgung verhindert, hat den Handlungsspielraum eingeschränkt, aber immerhin zu dieser außergerichtlichen Einigung geführt.
Zwar kann all dies den großen Schaden, den die brasilianische Militärdiktatur gegen die Gesellschaft im Allgemeinen und gegen die individuell betroffenen Gewerkschafter begangen hat, keineswegs aufwiegen – dazu kommen die Sanktionen viel zu spät. Aber diese Vereinbarung zeigt: Es muss sich herumsprechen, dass die Verwicklung in schwerste Menschenrechtsverletzungen Reputationsschaden und finanziellen Schaden bewirken kann. Auch wirtschaftliche Akteure wie transnationale Unternehmen müssen sich straf- und zivilrechtlich für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantworten. Solche Verbrechen – auch jene, die schon lange zurückliegen – müssen aufgeklärt und sanktioniert werden. Das Beispiel Brasilien zeigt, dass es möglich ist. Und wir hoffen, dass dieses Beispiel Schule macht.
Andere Unternehmen, die sich in Lateinamerika an den Verbrechen der Militärdiktaturen mitschuldig gemacht haben, allen voran Mercedes Benz, leugnen bis heute ihre Mitverantwortung für schwerste Menschenrechtsverbrechen.Wir kämpfen weiter dafür, dass auch Mercedes Benz endlich zur Aufklärung der damaligen Geschehen und zur Entschädigung der Betroffenen beiträgt. Die Entwicklungen in Brasilien sind dafür hoffentlich ein gutes Vorbild.“
Das ECCHR arbeitet seit seiner Gründung zur Aufklärung der Mitverantwortung von transnationalen Unternehmen bei den Verbrechen von Militärdiktaturen wie in Brasilien oder Argentinien. Wolfgang Kaleck reichte bereits 1999 eine Strafanzeige gegen Manager von Mercedes Benz wegen des Verschwindens von Gewerkschaftern in Argentinien ein.