Am 23. April 2020 begann in Deutschland der weltweit erste Strafprozess zu Staatsfolter in Syrien. Hauptangeklagter vor dem Oberlandesgericht Koblenz ist Anwar R., ehemals Funktionär des Allgemeinen Geheimdienstdirektorats der Regierung unter Baschar al-Assad. Das ECCHR unterstützt in dem Verfahren 17 Frauen und Männer aus Syrien, von denen sieben als Nebenkläger in dem Verfahren auftreten, die anderen kommen als Zeugen in Betracht.
Ein Statement von ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck zum Prozessauftakt.
„Dieser Prozess ist weltweit von erheblicher Bedeutung. Die Machtverhältnisse im UN-Sicherheitsrat verhindern derzeit, dass der Internationale Strafgerichtshof oder ein Sondertribunal tätig werden. Damit bleiben vorerst nur Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip in mehreren europäischen Staaten wie das vor dem Oberlandesgericht Koblenz, unterstützt von den eigens dafür eingerichteten UN-Institutionen, UN CoI Syria und IIIM. Die Generalbundesanwaltschaft hat hier auf Grundlage eines sehr progressiven Gesetzes, dem Völkerstrafgesetzbuch, ihre Aufgabe durchaus ernst genommen.
Es ist ein Einstieg in die systematische Aufarbeitung der Verbrechen der Assad-Regierung, insbesondere der systematischen Folter. Es ist ein Beginn – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Die strafrechtliche Aufarbeitung ist zunächst wichtig für die Überlebenden, die an dem Prozess beteiligt sind. Sie können erstmals in der Öffentlichkeit, vor einem Gericht, aussprechen, was passiert ist. Aber ebenso für die Angehörigen der in Haft Verstorbenen und auch für die, die noch inhaftiert sind.
Es entsteht ein Gesamtbild der Verbrechen der syrischen Regierung. Auf diese Erkenntnisse können andere Instanzen für andere Prozesse zugreifen, in der arabischen Welt beispielsweise oder auch auf internationaler Ebene. Man muss den Tatbeitrag und die Schuld der beiden Angeklagten vor dem Hintergrund des gesamten verbrecherischen Apparats in Syrien einordnen. Anwar R. ist kein kleiner Fisch, der Vorwurf lautet: Mittäterschaft in mehr als 4000 Fällen von Folter.
Komplementär dazu braucht es weitere Haftbefehle gegen die hochrangigen Verantwortlichen, wie den gegen Jamil Hassan, den ehemaligen Chef des Luftwaffengeheimdienstes in Syrien, den der Bundesgerichtshof 2018 erließ und zu dem auch unsere Strafanzeigen beigetragen haben.
Ob in Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden oder Norwegen, das Ziel ist, hochrangige Funktionäre des Geheimdienstapparats von Assad vor Gericht zu bringen – denn sie sind verantwortlich für Folter, sexuelle Gewalt, Hinrichtungen und das „Verschwinden“ zehntausender Menschen in Syrien.“