Rückgabe von Human Remains: Angehörige fordern Gerechtigkeit

Institut – (Post-)Koloniale Verbrechen – Human Remains/Ancestors

Während der Kolonialzeit raubten die Deutschen den Menschen in den Kolonien nicht nur ihr Land, ihre Kulturgüter, ihr Leben, sondern auch ihre Angehörigen – in Form von Gebeinen und anderen Körperteilen – und brachten sie für rassistische Forschungszwecke nach Europa. Zehntausende sogenannte Human Remains/Ancestors liegen in den Depots deutscher Museen, in Universitäten und privaten Sammlungen – so wird ihnen ihr Recht auf menschliche Würde versagt und den Nachfahren ein tatsächliches Trauern unmöglich gemacht. Doch warum verwehrt es Deutschland den Nachkommen der Getöteten noch mehr als hundert Jahre später, diese würdevoll zu bestatten? Und was bedeutet das für die (Nicht-)Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit?

In einem zivilgesellschaftlichen Bündnis mit Berlin Postkolonial, Decolonize Berlin und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland will das ECCHR den Rassismus und die Fortdauer kolonialistischer Diskriminierungsmuster sichtbar machen, die bis heute hinter diesem Umgang steht. Dafür reichen wir einen Alternativbericht beim UN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination, CERD) ein.

Projekt

Deutschland ist nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich verpflichtet, den Angehörigen die Human Remains/Ancestors zu repatriieren. Human Remains/Ancestors werden in Deutschland allzu oft noch als „Objekte“ verstanden und nicht als das, was sie sind – Menschen, mit lebenden Nachkommen und Rechteinhaber*innen unter dem deutschen Grundgesetz. Auch als verstorbene Person hat man in Deutschland das Recht auf eine würdevolle Behandlung und auf Totenruhe. Das kann von den betroffenen Familien auch konkret eingefordert werden. Diese haben zudem den verfassungsrechtlichen Anspruch, ihrer Angehörigen würdig gedenken zu dürfen oder auch entsprechend ihrer eigenen Kultur beizusetzen.

Mit der Weigerung, Human Remains/Ancestors zurückzugeben, ignoriert Deutschland seine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Rechte Aller zu schützen. Es verweigert systematisch Schwarzen Menschen und Menschen afrikanischer Herkunft systematisch ihre Rechte, wie unser Alternativbericht betont. Deutschland ist zudem Unterzeichnerstaat des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung und muss deswegen auch mit Hinblick auf Human Remains/Ancestors alle Menschen gleich behandeln und Diskriminierung aktiv bekämpfen.

Kontext

Mit dem Alternativbericht möchten wir zeigen, wie die koloniale Vergangenheit und die Gegenwart rassistischer Diskriminierungen miteinander verknüpft sind. Denn in Deutschland scheint immer noch eine „koloniale Amnesie“ oder vielmehr Verdrängung vorzuherrschen, die weitreichende Auswirkungen für das Leben Schwarzer Menschen und Menschen afrikanischer Herkunft hat.

Die deutschen Kolonialverbrechen müssen offiziell anerkannt und aufgearbeitet werden, denn sonst werden der bereits omnipräsente Rassismus, die systematische Diskriminierung und Ausgrenzung immer weiter reproduziert – wie im Fall der Human Remains/Ancestors. Deren Repatriierung würde zudem dazu beitragen, die Menschlichkeit der Getöteten und Geraubten endlich anzuerkennen.

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Partner

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Definition

Postkoloniale Rechtskritik

Das Forschungsfeld der postkolonialen Rechtskritik beschäftigt sich mit dem Erbe des Kolonialismus und Imperialismus in der heutigen Zeit. Das Recht wird als ein soziales und kulturelles Konstrukt betrachtet, das sich im Lauf der Zeit verändert. Während der europäischen Kolonialisierung entwickelten sich das nationale und das internationale Recht in einer Art und Weise, die es ermöglichte, beispielsweise Sklaverei oder Völkermord zu legitimieren. Das in Europa konzipierte Recht mit seinen rassistischen Zuschreibungen wurde im Laufe der Kolonialisierung in vielen Teilen der Welt verankert. 

Postkoloniale Theoretiker*innen zeigen, wie durch das damalige Recht koloniale Gewalt verschleiert und Unrecht zu geltendem Recht wurde. So wurde den indigenen Bevölkerungen der Kolonien meist im ersten Schritt schon die Rechtssubjektivität abgesprochen. Auch die Entwicklung des Völkerrechts ist eng mit der Kolonialisierung verwoben. Die postkoloniale Rechtskritik versucht heute, die Kontinuitäten dieser kolonialen Vergangenheit des Rechts (national und international) aufzudecken und zu beenden.

Themen (1)

Einblick

Koloniale Raubkunst

Sie stehen in Vitrinen, verstauben in Archivkisten oder werden von Wissenschaftler*innen inspiziert: Kulturgegenstände, in der Kolonialzeit geraubt und nach Deutschland verschifft. Die deutschen Kolonisatoren brachten unzählige Statuen, Masken und Körperschmuck aus den Kolonien zu Ausstellungs- und Forschungszwecken in ihre Heimat. Und dort befinden sie noch immer, fernab ihrer Herkunftsländer. Und das, obwohl es die Kolonien nicht mehr gibt und die ehemals Kolonisierten ihre Kunst – Teil ihrer kulturellen Identität und ihres kulturellen Erbes – zurückverlangen.

Deutschland hat nicht nur die moralische, sondern auch die rechtliche Pflicht, die geraubten Objekte und Kunstschätze zu restituieren. Denn oftmals haben die Gegenstände über ihren künstlerischen Wert hinaus eine große spirituelle Bedeutung für die betroffenen Gemeinschaften. Die Rückgabe der Objekte hat deshalb eine grund- und menschenrechtliche Dimension, die weit über die einfache Klärung von Eigentumsrechten hinausgeht. Wir unterstützen unsere Partner*innen dabei, ihre individuellen und kollektiven Rechte auf die eigene kulturelle Identität gegenüber dem deutschen Staat durchzusetzen.

Das ECCHR arbeitet schon seit mehreren Jahren zur Aufarbeitung kolonialen Unrechts und der Verantwortung Deutschlands für seine Kolonialverbrechen. Zusammen mit unseren Anstrengungen zur Repatriierung von Human Remains/Ancestors stellt die wissenschaftliche und praktische Arbeit zu Raubkunst einen wichtigen Teil unseres Projekts zur dekolonialen Rechtskritik und Reparationen dar – eine dekoloniale Rechtspraxis.

Umfassende Reparationen als einzig richtige Antwort auf koloniales Unrecht kann es nur mit einer Restitutionspraxis geben, die über ein reines Lippenbekenntnis oder willkürliche Einzelfallentscheidungen hinausgeht. Wir wollen nicht nur einzelnen Betroffenen helfen, geraubte Gegenstände in einer ihrer Bedeutung würdigen Weise zurückzuführen. Wir möchten mit unserer Arbeit zu Raubkunst vor allem deutlich machen: Das Recht ist immer noch von kolonialen Denkmustern durchzogen. Diese gilt es zu brechen.

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