Syrien-Prozess in Koblenz: Sexualisierte Gewalt muss als Verbrechen gegen die Menschlichkeit behandelt werden

Nebenklagevertreter fordern Neubewertung der Anklage

19.11.2020

Sexualisierte Gewalt ist in Syrien kein Einzelfall, sondern wird systematisch gegen die Opposition eingesetzt. Das muss auch im weltweit ersten Prozess zu syrischer Staatsfolter, der aktuell in Koblenz stattfindet, anerkannt werden. Rechtsanwälte Dr. Patrick Kroker und Sebastian Scharmer, Vertreter der Nebenklage im sogenannten Al-Khatib-Verfahren, haben darum heute beantragt, dass der systematische Einsatz von sexualisierter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Syrien als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt wird.

Derzeit werden dem Hauptangeklagten Anwar R. lediglich zwei Einzelfälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung nach dem deutschen Strafgesetz vorgeworfen. Doch im Laufe des Prozesses gaben Zeugen immer mehr Hinweise auf den systematischen Einsatz sexualisierter Gewalt – zuletzt mit der heutigen Aussage der Zeugin Rowaida Kanaan. Auf dieser Grundlage forderten die Anwälte der Nebenklage, sexualisierte Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, konkret nach § 7 Abs. 1 Nr. 6 Völkerstrafgesetzbuch, zu behandeln, um dem Ausmaß sexualisierter Gewalt in Syrien strafrechtlich gerecht zu werden.

Rowaida Kanaan, Nebenklägerin im Al-Khatib-Verfahren, Frauenrechtsaktivistin und Journalistin, erklärte anlässlich des Antrags: „Es geht hier nicht um Gelegenheitstaten: Vergewaltigungen, sexuelle Belästigung oder erzwungene Nacktheit werden in syrischen Haftanstalten gezielt eingesetzt – gegen Frauen und Männer – um die Bevölkerung in Angst zu versetzen. Betroffene sexualisierter Gewalt werden in der syrischen Gesellschaft oft diskriminiert, sogar von ihren Familien verstoßen. Das macht sich die Assad-Regierung zunutze, um die Opposition und die syrische Zivilgesellschaft als solche zu schwächen.“

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), das in dem Prozess 17 Folterüberlebende unterstützt, begrüßt den Antrag der Nebenklagevertreter: „Der Al-Khatib-Prozess zeigt, was schon lange bekannt ist: Sexualisierte Gewalt wird von der Assad-Regierung systematisch als Waffe eingesetzt. Darum muss die deutsche Justiz sexualisierte Gewalt endlich als das verfolgen, was sie ist: Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sagte Andreas Schüller, Leiter des Programms Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung des ECCHR.

Bereits im Juni 2020 hatte das ECCHR gemeinsam mit seinen syrischen Partnerorganisationen Urnammu und Syrian Women’s Network gefordert, dass die deutsche Justiz sexualisierte Gewalt der syrischen Geheimdienste als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt. Die Organisationen hatten gemeinsam mit sieben syrischen Folterüberlebenden Anzeige beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingereicht mit dem Ziel, dass sexualisierte Gewalt im bestehenden Haftbefehl gegen den ehemaligen Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes Jamil Hassan, aber auch in weiteren Ermittlungen oder Anklagen zur Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien als Völkerrechtsverbrechen anerkannt wird.

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