Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Münchener Firmen wegen möglichem illegalen Verkauf von Überwachungssoftware an die Türkei

05.09.2019

Berlin, 5. September 2019 – Ein paar Klicks und die türkische Polizei kann mithören, dank möglicherweise illegal exportierter Überwachungssoftware aus Deutschland: So lautet der Vorwurf der  Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), von Reporter ohne Grenzen (ROG), des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und von netzpolitik.org. Die Organisationen haben am 5. Juli 2019 gegen mehrere Geschäftsführer der Unternehmen FinFisher GmbH, Finfisher Labs GmbH und Elaman GmbH Strafanzeige erstattet. Das Münchener Firmenkonglomerat soll die Spionagesoftware FinSpy ohne Genehmigung der Bundesregierung an die türkische Regierung verkauft haben.

Die Staatsanwaltschaft München hat ein Ermittlungsverfahren wegen Verdacht auf Verstoß des Außenwirtschaftsgesetzes eingeleitet. Dies könnte mit bis zu fünf Jahren Haft oder einer Geldstrafe geahndet werden.

FinFisher GmbH, Finfisher Labs GmbH und Elaman GmbH produzieren und vertreiben gemeinsam Überwachungssoftware wie FinSpy. Erst einmal auf den Handys der Zielpersonen installiert, verleiht FinSpy den Überwachungsorganen wie Polizei und Geheimdiensten absolute Kontrolle. FinSpy tauchte im Sommer 2017 auf einer türkischen Webseite auf, die als Mobilisierungswebseite der türkischen Oppositionsbewegung getarnt war.

„Seit Jahren unterstützt Reporter ohne Grenzen türkische Journalisten durch Nothilfe, für sie hat die staatliche Überwachung ihrer Kommunikation schwerste Folgen“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer bei ROG. „Dass hier deutsche Spionagesoftware von der türkischen Regierung genutzt wurde, um gegen Oppositionelle und Medienschaffende vorzugehen, ist ein Skandal.“

Um Exporte an repressive Regime wie die Türkei zu verhindern, wurden 2015 europaweit Genehmigungspflichten für Exporte von Überwachungssoftware an Länder außerhalb der EU eingeführt. „Verstöße gegen die Exportbestimmungen sind strafbar. Bei deutschen Exporten schaut die Bundesregierung jedoch offensichtlich nicht so genau hin“, so Sarah Lincoln von der GFF. „FinFisher und Elaman betreiben ihre Geschäfte weiter, als wäre nichts gewesen. Dem muss die Justiz endlich Einhalt gebieten und ein Strafverfahren eröffnen.“

Welche Folgen der Einsatz von Überwachungssoftware haben kann, zeigt die Erfahrung aus Fällen in Syrien und Bahrain: „Auf die digitale Überwachung folgen in repressiven Staaten oft Haft und Folter. Doch die Softwarehersteller weisen jede Verantwortung dafür von sich“, sagt Miriam Saage-Maaß vom ECCHR. „Die aktuelle Rechtslage in Deutschland und Europa macht eine effiziente Strafverfolgung nahezu unmöglich, hier braucht es dringend Gesetzesänderungen.“

Auf parlamentarische Anfragen hin, zuletzt noch am 19. Juni 2019, bestätigte die Bundesregierung, dass sie seit Einführung der Genehmigungspflichten im Januar 2015 keine Exportgenehmigung für Intrusionsoftware wie FinSpy erteilt hat. „IT-Analysen bestätigen, dass es sich bei den in der Türkei im Sommer 2017 gefundenen Softwaresamples um die deutsche Spionagesoftware FinSpy handelt und dass diese FinSpy-Version nach Einführung der Genehmigungspflicht produziert wurde“, sagt Andre Meister von netzpolitik.org. „Dieselbe Software wird auch vom Bundeskriminalamt als Staatstrojaner eingesetzt, damit subventioniert Deutschland eine Firma, die anderswo zu Menschenrechtsverletzungen beiträgt.“

Der Export von Überwachungssoftware an die türkische Regierung ist angesichts der anhaltenden Repressionen gegen Journalisten und Oppositionelle besonders brisant. Nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 wurden mehr als 50.000 Menschen verhaftet; mehr als 140.000 Menschen wurden aus ihren Berufen entfernt, mehr als hundert Zeitungen und andere Medienorgane wurden geschlossen.

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