Iuventa-Vorverfahren in Italien eröffnet

Kriminalisierung der Zivilgesellschaft ist besorgniserregend

21.05.2022

Heute hat das Gericht von Trapani, Sizilien, das Vorverfahren gegen vier Crew-Mitglieder des zivilen Seenotrettungsschiffs Iuventa eröffnet. Der Richter wird im Verfahren entscheiden, ob die Beschuldigten wegen Beihilfe zur illegalen Einreise von Migrant*innen nach Italien vor Gericht gestellt werden. Dafür, dass sie tausende Menschenleben im Mittelmeer gerettet haben, drohen den insgesamt 21 Angeklagten, darunter auch Mitglieder von Ärzte ohne Grenzen (MSF) und Save the Children, bis zu 20 Jahre Haft dafür. Das European Center for Constitutional and Human Rights und andere Organisationen planen, den Prozess zu beobachten, doch die Staatsanwaltschaft blockierte heute alle Anträge, das Vorverfahren der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 

„Italien versucht, zivile Seenotrettung und Beihilfe zum Menschenschmuggel gleichzusetzen. Damit werden Gesetze zum Schutz von Menschen auf der Flucht als Waffe gegen jene eingesetzt, die sich mit ihnen solidarisieren. Die Zivilgesellschaft musste einschreiten, weil die nationalen und europäischen Behörden ihren internationalen Verpflichtungen im Mittelmeer nicht nachkommen. Dieser Fall ist ein Beispiel für den alarmierenden Trend, die Verteidigung der Grund- und Menschenrechte zu kriminalisieren“, erklärt Allison West, Senior Legal Advisor beim ECCHR.Viele jener, die aus Libyen über das Mittelmeer fliehen, versuchen Verbrechen zu entkommen, die nach Erkenntnissen des ECCHR Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.

ECCHR, DJS, Giuristi Democratici, European Democratic Lawyers und die European Association of Lawyers for Democracy & World Human Rights stellten Anträge auf Zugang zum Vorverfahren, das in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Während die Angeklagten die Aussicht auf eine öffentliche Beobachtung begrüßten und auch der Richter keine Einwände signalisierte, bestand die Staatsanwaltschaft darauf, für die heutige Sitzung internationale Beobachter aus dem Gerichtssaal fernzuhalten. 

„Der Prozess in Trapani könnte dafür sorgen, dass der Raum für die Verteidigung der Menschenrechte immer kleiner wird – und damit ist er nicht nur für die Angeklagten, sondern für die gesamte Zivilgesellschaft von größter Bedeutung. Deshalb darf er nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Wir brauchen eine öffentliche Debatte und hoffen, dass die Staatsanwaltschaft ihre Position überdenkt“, sagt Annina Mullis von Demokratischen Jurist*innen der Schweiz (DJS). Das ECCHR und die anderen Organisationen werden die Vorverhandlungen weiter beobachten und die Berichte online veröffentlichen. Die heutige erste Sitzung endete nach rund drei Stunden.

Internationales See- und Menschenrecht verpflichtet Schiffe, Menschen in Seenot zu retten. Die Iuventa rettete in den Jahren 2016 und 2017 mehr als 14.000 Menschen. Im August 2017 ordnete die Staatsanwaltschaft von Trapani an, das Schiff zu beschlagnahmen und eröffnete Ermittlungen gegen die Crew, bei denen auch Anwälte und Journalisten abgehört wurden. Außerdem wurde gegen die Besatzungsmitglieder ein Klima politischer Hetze geschürt, mit dem sie und ihre Arbeit in Italien öffentlich diskreditiert werden sollten.

2020 verurteilte die UN-Sonderberichterstatterin für die Situation von Menschenrechtsverteidigern öffentlich die Ermittlungen und forderte, die Anklage fallenzulassen. Bereits 2019 hatte das ECCHR eine Beschwerde bei der UN-Sonderberichterstatterin eingereicht und darauf hingewiesen, dass die Ermittlungen gegen die UN-Erklärung über Menschenrechtsverteidiger und den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte verstoßen. Trotzdem beschloss der Staatsanwalt, 2022 Anklage zu erheben.

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