Zwangsarbeit von Uighuren: Deutsche Textilmarken und Händler womöglich mitschuldig an Verbrechen gegen die Menschlichkeit

05.09.2021

Berlin – Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) stellte heute Strafanzeige gegen mehrere bekannte deutsche Textilmarken und Händler. Die Nichtregierungsorganisation wirft Hugo Boss, Lidl und anderen Unternehmen vor, dass diese direkt oder indirekt die mutmaßliche Zwangsarbeit der uighurischen Minderheit in der westchinesischen Xinjiang Uyghur Autonomous Region (XUAR) begünstigen und von ihr profitieren – und somit in Verbrechen gegen die Menschlichkeit involviert sein könnten.

Ernstzunehmende Berichte beispielsweise von Amnesty International legen nahe, dass die chinesische Regierung Uighuren systematisch verfolgt und unter anderem zur Arbeit in der Textilindustrie, der Baumwollernte oder im Konfektionsbereich zwingt. Internationale Experten stuften die systematische Verfolgung der Uighuren als Völkerstraftaten, u.a. als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein. Die angezeigten Unternehmen lassen oder ließen bis vor kurzem in Xinjiang produzieren, so steht es zumindest in den von ihnen veröffentlichten Zuliefererlisten. Aus Sicht des ECCHR halten sie so ein Geschäftsmodell aufrecht, das mutmaßlich auch auf Zwangsarbeit basiert – obwohl ihnen das Risiko des Einsatzes von Zwangsarbeitern bekannt sein müsste. Mit der in Deutschland eingereichten Strafanzeige fordert das ECCHR die Generalbundesanwaltschaft auf, die mutmaßliche Zwangsarbeit und die mögliche rechtliche Verantwortung der Unternehmen zu untersuchen.

„Die Strafanzeige verdeutlicht die möglicherweise systematische Beteiligung europäischer und deutscher Unternehmen an mutmaßlicher, staatlich geförderter Zwangsarbeit in Xinjiang“, sagt Miriam Saage-Maaß, Leiterin des ECCHR-Programms Wirtschaft und Menschenrechte. „Es ist inakzeptabel, dass europäische Regierungen China für Menschenrechtsverletzungen kritisieren, während die Unternehmen womöglich von der Ausbeutung der uighurischen Bevölkerung profitieren. Es ist höchste Zeit, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, falls sich der Verdacht der Zwangsarbeit bestätigen sollte.“

Der Fall veranschaulicht, dass Unternehmen völkerstrafrechtliche Standards einhalten müssen, wenn sie Geschäftsbeziehungen in repressive Länder unterhalten. Firmen müssen verhindern, dass sie möglicherweise Beihilfe zu Völkerrechtsverbrechen und anderen Menschenrechtsverletzungen leisten.

Hugo Boss betont, dass das Unternehmen keinerlei Zwangs- oder Pflichtarbeit oder Formen moderner Sklaverei toleriere und alle Partner entlang der Lieferkette verpflichte, für die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen und keine Verstöße zu dulden. Hugo Boss habe die Berichte und Vorwürfe im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen in der Region sehr ernst genommen und bereits vor vielen Monaten seine direkten Lieferanten aufgefordert, zu bestätigen, dass die Fertigung der Waren in der Lieferkette entsprechend der Werte und Standards von Hugo Boss erfolge und dabei insbesondere die Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette beachtet würden. In Reaktion auf die Berichte zu einem Lieferanten habe Hugo Boss zusätzlich eigene Audits in den Produktionsbetrieben durchgeführt, die keine Anhaltspunkte für den Einsatz von Zwangsarbeitern ergeben hätten.

Lidl betont, dass das Unternehmen die Grundrechte aller Beteiligten in den verschiedenen Stufen der Lieferketten schütze. Die „Null Toleranz“-Position gegenüber Zwangs- und Kinderarbeit sei Teil des schriftlichen „Code of Conduct“, der Lidls Vertragspartner zur Einhaltung und Umsetzung sozialer und ökologischer Standards verpflichte. Sollten Lidl konkrete Sachverhalte bezüglich Verstößen dagegen vorliegen, gehe Lidl dem nach und leite entsprechende Schritte ein. In diesem Zusammenhang sei es auch zu Sperrungen von Produktionsstätten gekommen. Mit dem Produzenten, der auf der Zuliefererliste von März 2021 genannt wird, arbeite Lidl seit über einem Jahr nicht mehr zusammen. Das gleiche gelte für den Produzenten, der auf den Zuliefererlisten von Dezember 2019 und März 2020 genannt wird. Der Produzent, der auf allen drei Zuliefererlisten genannt wird, arbeite seit Ende Juni nicht mehr für Lidl und Lidl planen keine weiteren Auftragsvergaben an die Firma. Lidl überprüfe fortlaufend und systematisch potenzielle Risiken wie Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten seiner Eigenmarkenprodukte und treffe bei Bedarf Abhilfemaßnahmen. Alle Produktionsstätten der Lidl-Non-Food-Eigenmarken würden regelmäßig durch unabhängige und lokale Experten nach dem anerkannten BSCI- oder SA 8000-Standard geprüft.

Die Fallarbeit zu China begann im April 2021, als das ECCHR eine ähnliche Anzeige der Organisation Sherpa in Frankreich unterstützte. Dort haben die Behörden bereits Ermittlungen aufgenommen. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden sollten diesem Beispiel folgen und Untersuchungen einleiten.

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