Offener Brief: Genozid an den Herero und Nama

02.04.2019

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Dr. Merkel

Sehr geehrter Herr Bundesminister des Äußeren, lieber Herr Maas

Sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Frau Müntefering,

wir wenden uns heute mit diesem Schreiben an Sie, da wir gerade mit großer Sorge aus Namibia
zurückgekehrt sind. Das Goethe-Institut, die Akademie der Künste Berlin und das European Center
for Consitutional and Human Rights (ECCHR) haben dort zusammen mit lokalen Partnern wie der
Ovaherereo Genocide Foundation (OGF), der Nama Traditional Leaders Association (NTLA) und dem
Nama Genocide Technical Committee (NGTC) eine Woche zu Colonial (In)Justice durchgeführt.

Diese transnationale Veranstaltungsreihe war uns wichtig, da aus unserer Sicht die Frage wie
Deutschland mit dem Genozid an den Herero und Nama und anderen Gruppen in Namibia heute
umgeht, nicht alleine eine Angelegenheit staatlichen Handelns und Verhandelns ist und sein kann,
sondern ebenso die Verantwortung der Zivilgesellschaft und ihrer Akteure betrifft und wir die
Forderung nach Anerkennung des Völkermords, Entschuldigung und Reparationen unterstützen.

Die Veranstaltungen brachte Akteure aus allen Bereichen, Historiker, Sozialwissenschaftler, Künstler,
Rechtsanwälte, Mediatoren und die Stakeholder in einem intensiven Austausch zusammen. Der Komplexität des
Themas „Genozid an den Herero und Nama“ kann man sich nur annähern, in dem die Perspektiven
möglichst aller Betroffenen und Beteiligten gehört und in einen Dialog mit einander gebracht
werden. Dies ist in dem Symposium beim Goethe-Institut in Windhoek und danach in Swakopmund
(ohne Beteiligung des Goethe-Instituts) gelungen.

Unsere Gespräche vor Ort haben deutlich gemacht, dass es vielfältige positive Anknüpfungspunkte
gibt und diese die Möglichkeit einer Verständigung über die bisherigen staatlichen Kanäle hinaus
versprechen. Gleichzeitig beobachten wir jedoch auch Tendenzen, die zu großer Sorge Anlass geben.
Eine Verständigung, die für die Betroffenen akzeptabel ist, wird nur unter Beteiligung der Vertreter
der Opfergruppen gelingen. Die bereits jetzt bestehenden Frustrationen unter Teilen der Vertreter
der Opfergruppen verstärken sich und werden verbal mit zunehmender Schärfe artikuliert. Damit
drohen mögliche Lösungsräume immer weiter eingeschränkt zu werden. Vielmehr wird ein Raum
geschaffen, der zu unkalkulierbaren Friktionen führen kann.

Koloniales Unrecht wird nicht (nur) durch einen Verhandlungsprozess und einen möglichen Vertrag
zwischen den Staaten (selbst wenn man beste Absichten unterstellt) beendet und es wird auch nicht
zu einer gerechten und von allen akzeptierbaren Lösung führen, wenn die Betroffenen diesen
Prozess als Wiederholung kolonialer Traumata erleben. Dass Teile der Betroffenen den juristischen
Weg eingeschlagen haben, kann als Ausdruck ihrer Not verstanden werden, als gleichberechtigte
Gesprächs- und Verhandlungspartner akzeptiert zu werden. Dies haben wir letzte Woche vor Ort in
den Gesprächen mit den Betroffenen von den Herero und Nama aus Namibia, aber auch aus der
Diaspora u.a. Botswana, Südafrika und den USA in aller Deutlichkeit erlebt.

Wir sind uns bewusst, dass sich auch der Diskurs in Namibia zu diesen Themen verändern muss. Wir
wissen auch, dass die Bundesregierung keine direkten Einwirkungsmöglichkeiten darauf hat, wie die
Regierung von Namibia diesen Prozess gestaltet.

Wir sind jedoch der festen Überzeugung, dass die Bundesrepublik Deutschland in dieser Situation
mehr tun muss, als auf staatliche Verhandlungen zu setzen, oder gerichtliche Verfahren und deren
Ausgang abzuwarten. Transparenz und Partizipation sind dabei entscheidende Faktoren, um der
Gravität des Themas gerecht zu werden. Dafür gilt es, auch kulturelle, wissenschaftliche und soziale
Strukturen zu nutzen oder zu entwickeln, in denen die aktuellen Verwerfungen verhandelbar bleiben.
Dazu kann beispielsweise ein „Lebendiges Archiv“ als Kulturinstitution in Namibia gehören, über das
wir bereits nachdenken.

Ziel muss es sein, den Raum für nachhaltige und von allen Beteiligten akzeptable Lösungen zu
schaffen. Nach 115 Jahren der Tatenlosigkeit müssen wir es besser wissen und besser handeln
können.

Wir alle wissen, dass sich Gerechtigkeit nicht nur vom Ergebnis der Verhandlungen her ergibt,
sondern auch von der Art und Weise, wie es zu diesem Ergebnis kommt. Es ist daher nicht
überraschend, dass die bisherigen Bemühungen, von Staat zu Staat zu verhandeln, das Risiko der
Nicht-Akzeptanz zu verstärken drohen. Eine Verhandlungslösung zwischen den Staaten, sollte sie
denn gefunden werden, die dann aber nicht von den Betroffenen akzeptiert wird, birgt gravierende
Risiken für alle.

Was daher jetzt dringend gebraucht wird, ist ein dialogischer, transparenter und partizipativer
Prozess, der die Betroffenen zu Beteiligten macht. Dazu können auch Interventionen gehören, die die
zivilgesellschaftlichen Kräfte in Namibia selbst stärken.

Wir wissen, dass Sie von der Kraft dialogischer Prozesse und Lösungsfindungen überzeugt sind. Die
Fragen, die hier verhandelt werden, betreffen uns in unserer Menschlichkeit und müssen daher
entsprechend behandelt werden. Das Unrecht von damals kann nicht wieder gut gemacht werden,
aber wir heutigen stehen vor der Entscheidung wie wir uns verhalten. Bei allen Zwängen gibt es eine
Wahl sich so zu verhalten, dass die Humanität wiederhergestellt wird.

Bitte nehmen Sie unsere tiefe Sorge über die Brisanz der derzeitigen Situation zur Kenntnis. Noch
gibt es die Möglichkeit für eine Verständigung. Der von Ihnen und damit von der Bundesrepublik
Deutschland betriebene Ansatz wird das Problem weiter verschärfen und Handlungsoptionen
zunehmend einschränken. Es braucht einen neuen Ansatz, der jede Möglichkeit zur Verständigung
und zum Dialog nutzt. Selbstverständlich stehen wir dafür für Gespräche bereit. Es geht darum, einen
Prozess zu initiieren, den die Betroffenen als gerecht wahrnehmen, da er sie als Gleiche akzeptiert und sie an der Findung einer Lösung beteiligt.

 

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Jürgen Zimmerer (Professor für Globalgeschichte, Leiter Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“, Universität Hamburg)

Dr. Johannes Odenthal (Programmdirektor der Akademie der Künste Berlin)

Dr. Thomas R. Henschel (Mediator)

Wolfgang Kaleck (Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights, ECCHR)

Wer wir sind

Dem Unrecht das Recht entgegensetzen – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von Wolfgang Kaleck und weiteren internationalen Jurist*innen gegründet, um die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln durchzusetzen.

Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen weltweit nutzen wir juristische Mittel, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung und abgeschottete Grenzen nicht ungestraft davonkommen.

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