Paris/Berlin, 7. November 2019 – Das Berufungsgericht (Chambre de l’instruction) in Paris hat heute im Verfahren gegen das Unternehmen Lafarge den Anklagevorwurf der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien und im Irak – insbesondere durch den „Islamischen Staat“ (IS) – zurückgewiesen. Die Richter werden aber weiter gegen das Unternehmen als solches ermitteln. Der Verdacht: Lafarge soll die syrische Belegschaft fahrlässig in Gefahr gebracht und durch Zahlungen in Millionenhöhe bewaffnete Gruppen wie den IS mitfinanziert haben. Auch die Vorwürfe gegen acht ehemalige führende Manager werden aufrechterhalten.
Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und seine Partnerorganisation Sherpa werden in der Frage der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit in die nächste Instanz gehen. Der Oberste Gerichtshof Frankreichs soll dann grundlegende Fragen zur Verantwortung transnationaler Unternehmen in bewaffneten Konflikten klären.
„Lafarge hat nicht bloß meine Kollegen und mich in Lebensgefahr gebracht. Durch seine Geschäfte mit bewaffneten Gruppen in der Region nahm das Unternehmen das Risiko in Kauf, möglicherweise zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit beizutragen. Das muss aufgeklärt werden. Aber ich bin zuversichtlich, dass die französische Justiz uns zu Gerechtigkeit verhelfen wird“, kommentierte ein ehemaliger Lafarge-Mitarbeiter aus Syrien und Nebenkläger in dem Fall die heutige Entscheidung.
Am 24. Oktober hatte das Gericht bereits die Zulässigkeit von ECCHR und Sherpa als Nebenkläger zurückgewiesen; auch dagegen werden die Organisationen Berufung einlegen. Als Folge der Entscheidung erklärte das Gericht heute alle juristischen Dokumente, die Sherpa und ECCHR eingereicht hatten, für unzulässig.
Gemeinsam mit elf ehemaligen Mitarbeitern der syrischen Tochtergesellschaft von Lafarge hatten das ECCHR und Sherpa im November 2016 Strafanzeige gegen Lafarge (heute LafargeHolcim) und sein Tochterunternehmen Lafarge Cement Syria eingereicht.
Das Ermittlungsverfahren gegen Lafarge bleibt ein Meilenstein für die Frage nach der strafrechtlichen Haftung von Unternehmen für ihre Aktivitäten im Ausland,“ betonte Sandra Cossart, Geschäftsführerin von Sherpa. „Doch dass das Gericht nicht die mögliche Beihilfe von Lafarge zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersuchen will, erschwert den Kampf der Betroffenen gegen die Straflosigkeit multinationaler Unternehmen, die in Gebieten bewaffneter Konflikte tätig sind“, sagte Marie-Laure Guislain, Leiterin der Prozessabteilung von Sherpa.
„In Syrien ging es nach unserer Erkenntnis um den Profit des Gesamtunternehmens Lafarge, nicht um finanzielle Interessen einzelner Manager. Deshalb sollte sich das Unternehmen als solches vor Gericht verantworten. Eine Anklage gegen einzelne Manager reicht nicht“, ergänzte Claire Tixeire vom ECCHR. „Lafarge ist kein Einzelfall: Die Verantwortung multinationaler Unternehmen endet nicht an den Grenzen des Landes, in dem sich deren Hauptsitz befindet.“
Im Nachgang zur Strafanzeige 2016, deren Kernstück der Vorwurf der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit war, hatten das ECCHR und Sherpa im Mai 2018 den Ermittlungsrichtern explizit dargelegt, dass die Verbrechen des IS von 2013 bis 2015 im Nordosten Syriens als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen sind. Lafarge habe sich durch Geschäfte mit dem IS an dessen Verbrechen möglicherweise mitschuldig gemacht.