Berlin – Mindestens 150 LGBTQ* wurden in Tschetschenien durch Regierungs- und Sicherheitskräfte gewaltsam verfolgt, gefoltert oder sexuell misshandelt. Jetzt soll Deutschland gegen die Täter ermitteln: Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und das Russian LGBT Network/Sphere Foundation reichten beim Generalbundesanwalt eine Strafanzeige gegen fünf Tatverdächtige wegen Völkerrechtsverbrechen ein. Weil die Angezeigten enge Verbindungen in die EU – und auch nach Deutschland – haben, fordern die Anzeigeerstatter Haftbefehle.
„Die Beweise zeigen: Die Verfolgung von LGBTQ* in Tschetschenien ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Deutschland ist in der Pflicht, Ermittlungen aufzunehmen, damit solche schweren Verbrechen nicht länger straflos bleiben – unabhängig davon, wo auf der Welt sie geschehen“, erklärte Wolfgang Kaleck, Rechtsanwalt und ECCHR-Generalsekretär.
Die Strafanzeige vom Februar umfasst zahlreiche Straftaten, die tschetschenische Regierungskräfte zwischen 2017 und 2019 begingen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Einzelfälle, sondern einen systematischen und ausgedehnten Angriff gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Als Völkerstraftaten können die Angriffe in Deutschland nach dem Weltrechtsprinzip verfolgt werden – auch, um ein eindeutiges Signal nach Russland zu senden. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) unterstützt die Anzeige.
„Die Betroffenen und ihre Familien leben in Todesangst. Menschen, die nicht den propagierten Geschlechternormen entsprechen, werden gedemütigt, willkürlich inhaftiert und gefoltert. Und wer überlebt, muss oft die Heimat verlassen. Doch Russland weigert sich, die Verbrechen aufzuklären und lässt den Tätern freie Hand. Darum haben wir Strafanzeige in Deutschland gestellt“, erklärt Veronika Lapina vom Russian LGBT Network/Sphere Foundation.
Das Regime in der russischen Teilrepublik Tschetschenien beruft sich auf streng konservative und patriarchale Werte. Homo- und Bisexualität gelten dort als Verstoß gegen die Norm, der unterbunden und bekämpft werden muss; LGBTQ* beschrieb der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow unter anderem als „Unmenschen“.
Die Strafanzeige steht in einer Reihe mit anderen rechtlichen Schritten des ECCHR, um Verantwortliche für Völkerrechtsverbrechen nach dem Weltrechtsprinzip vor Gericht zu bringen. Ähnliche Anzeigen zu Menschenrechtsverbrechen in Syrien führten bereits zu einem Haftbefehl und trugen zum ersten Verfahren weltweit zu syrischer Staatsfolter bei, das derzeit in Koblenz stattfindet.