Erster Deutscher stellt Strafanzeige gegen syrischen Geheimdienst

10.11.2020

Seit Jahrzehnten lässt die Regierung von Präsident Baschar al-Assad in Syrien systematisch Tausende verschwinden, foltern oder töten. Die wenigstens können berichten, was sie in den Haftanstalten der Geheimdienste erlebt haben. Martin Lautwein wurde 2018 vom syrischen Militärgeheimdienst inhaftiert, 48 Tage war er im Gefängnis. Jetzt hat er sich mit Unterstützung des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) einer Strafanzeige von syrischen Folterüberlebenden in Deutschland angeschlossen, um einen Beitrag zur Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien zu leisten.

„Nur wegen meines deutschen Passes konnte ich nach Hause. Tausende Menschen sind in Syrien verschwunden, mit mir gefangen waren Minderjährige, Mütter und Väter. In der Haft wurde ich vermutlich besser behandelt als sie alle. Zurück in Deutschland wartete auf mich ein warmes Bett, Ärzte, ein funktionierendes Sozialsystem“, sagt Lautwein. „Jetzt will ich mein Privileg dafür nutzen, Menschen in Deutschland darauf aufmerksam zu machen, was in Syrien jeden Tag passiert.“

Lautwein kam im Juni 2018 nach Syrien, um dort technische und humanitäre Hilfe zu leisten. Er wurde gemeinsam mit einem Freund auf offener Straße in Qamischli inhaftiert und nach Damaskus in die Abteilung 235 gebracht. Dank diplomatischer Intervention wurden beide entlassen. Weil Lautwein keine Augenbinde tragen musste, kann er detaillierte Angaben zu den schweren Menschenrechtsverbrechen im Gefängnis wie Folter, sexualisierte Gewaltund menschenunwürdigen Lebensverhältnissen machen.

Patrick Kroker, Leiter des Syrienteams des ECCHR, erläutert: „Lautweins Aussage ist für die Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien wichtig. Bisher konnten Zeugen vor allem von Taten bis zum Jahr 2015 berichten, doch sein Fall belegt: Auch 2018 herrschten dieselben Zustände – vermutlich ist es bis heute so. Deutschland muss diese Beweise ernst nehmen und handeln: Der Haftbefehl gegen Jamil Hassan und das Al-Khatib-Verfahren in Koblenz sind erste Schritte, aber weitere müssen folgen, etwa Haftbefehle gegen hochrangige Mitglieder der syrischen Geheimdienste. Außerdem sollte sich Deutschland jetzt erst Recht dem Verfahren der Niederlande gegen Syrien vor dem Internationalen Gerichtshof anschließen.“

Die Strafanzeige, der Lautwein beigetreten ist, erstatteten 13 Folterüberlebende aus Syrien gemeinsam mit Rechtsanwalt Anwar al-Bunni (Syrian Center for Legal Studies and Research), Journalist Mazen Darwish (Syrian Center for Media and Freedom of Speech) und dem ECCHR im März 2017 beim Generalbundesanwalt. Die Anzeige richtet sich gegen hochrangige Funktionäre syrischer Militärgeheimdienste. Die Ermittlungen in Deutschland führten zum weltweit ersten Prozess zu Staatsfolter in Syrien, der im April 2020 in Koblenz eröffnet wurde.

„Ich hoffe, dass auch meine Aussage dazu beitragen kann, dass die deutsche Justiz die Menschenrechtsverbrechen vor Gericht bringt. Wir müssen jeden möglichen Weg gehen, diese Verbrechen zu stoppen, jeden einzelnen Verantwortlichen untersuchen und in einem fairen Prozess – mit allen Rechten, die sie ihren Opfern vorenthalten haben – zur Verantwortung zu ziehen“, so Lautwein.

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Dem Unrecht das Recht entgegensetzen – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von Wolfgang Kaleck und weiteren internationalen Jurist*innen gegründet, um die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln durchzusetzen.

Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen weltweit nutzen wir juristische Mittel, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung und abgeschottete Grenzen nicht ungestraft davonkommen.

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