Colonia Dignidad: Vertrauen der Betroffenen in deutsche Justiz erschüttert

Pressestatement

07.05.2019

Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat am 6. Mai 2019 die Ermittlungen gegen Hartmut Hopp, ehemals Führungsmitglied und Sektenarzt der Colonia Dignidad, eingestellt. Dazu erhalten Sie anbei ein gemeinsames Statement von Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, Jan Stehle (Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile Lateinamerika) und Andreas Schüller (European Center for Constitutional and Human Rights, ECCHR):

„Der Umgang Deutschlands mit den Verbrechen in der Colonia Dignidad ist und bleibt ein dunkles Kapitel deutscher Justizgeschichte. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Krefeld reiht sich ein in eine lange Kette des Nichthandelns. Die Betroffenen sind fassungslos, ihr Vertrauen in die deutsche Justiz ist erschüttert.

In Deutschland und in Chile leben etliche Betroffene und Zeugen der Verbrechen, die in der Colonia Dignidad begangen wurden. Sie sind bereit auszusagen, etwa zur Rolle von Hartmut Hopp bei Folter und Mord an Gegnern des Pinochet-Regimes auf dem Gelände der Sektensiedlung. Doch die Staatsanwaltschaft Krefeld hat diese Zeugen schlicht ignoriert.

Auch zur systematischen Misshandlung von Sektenmitgliedern mit Psychopharmaka hat die Staatsanwaltschaft nicht ausreichend ermittelt – obwohl darüber beispielsweise Anzeigeerstatterin Gudrun Müller Auskunft geben könnte. Doch auch sie wurde in den sieben Jahren des Ermittlungsverfahrens niemals vernommen.

Gemeinsam mit den Betroffenen werden wir nun besprechen, ob sie Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens einlegen.“

Auch auf UN-Ebene arbeitet das ECCHR zum Umgang Deutschlands mit den Verbrechen der Colonia Dignidad. Das Versagen der deutschen Justiz bei der Strafverfolgung der Verantwortlichen sei ein Verstoß gegen das UN-Antifolterabkommen, so das ECCHR im Februar 2019 in einem Brief an den UN-Antifolterausschuss. In der Anhörung Deutschlands vor dem Ausschuss vergangene Woche wurde die deutsche Delegation zum Umgang der deutschen Justiz mit den Verbrechen der Colonia Dignidad kritisch befragt – ausdrücklich auch zum Fall Hopp. Die Empfehlungen des Ausschusses stehen noch aus.

Das ECCHR und seine Kooperationsanwältin Petra Schlagenhauf hatten 2011 mit ehemaligen Bewohnern der Colonia Dignidad sowie chilenischen Hinterbliebenen bei der Staatsanwaltschaft Krefeld Strafanzeige gegen Hopp eingereicht. Begleitend zur Strafanzeige veröffentlichte das ECCHR ein Dossier über Hopp. Das Dossier dokumentiert Hopps Rolle in der Sektensiedlung sowie Hinweise auf seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Mittäter oder mittelbarer Täter.

Hartmut Hopp war Arzt der Colonia und „rechte Hand“ von Sektenführer Paul Schäfer. Außerdem vertrat er die Colonia in äußeren Angelegenheiten. Hopp wurde in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen in der Colonia Dignidad zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, floh jedoch 2011 nach Deutschland und entzog sich so der chilenischen Justiz. Einen Antrag Chiles, das chilenische Urteil gegen Hopp in Deutschland zu vollstrecken, lehnte die deutsche Justiz im September 2018 ab.

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Wer wir sind

Dem Unrecht das Recht entgegensetzen – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von Wolfgang Kaleck und weiteren internationalen Jurist*innen gegründet, um die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln durchzusetzen.

Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen weltweit nutzen wir juristische Mittel, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung und abgeschottete Grenzen nicht ungestraft davonkommen.

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