Beihilfe zu Kriegsverbrechen im Jemen

Strafanzeige gegen französische Rüstungsunternehmen erstattet

02.06.2022

Paris/Sana'a/Berlin – Trotz des andauernden Kriegs im Jemen exportieren französische Unternehmen wie Dassault Aviation, Thales und MBDA France weiterhin Waffen an Saudi-Arabien (SA) und die Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Darum reichten internationale Menschenrechtsorganisationen heute Strafanzeige gegen die Unternehmen beim Pariser Gerichtshof ein. Mwatana for Human Rights, das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Sherpa fordern in ihrer Strafanzeige, unterstützt von Amnesty International Frankreich, gegen die Unternehmen wegen der möglichen Beihilfe zu potentiellen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Jemen zu ermitteln.
 
Im März 2015 begann die von SA und den VAE angeführte Militärkoalition eine Bombardierungskampagne im Jemen gegen Houthis und Truppen des ehemaligen jemenitischen Machthabers Saleh. In den vergangenen sieben Jahren – bis zur jüngsten Waffenruhe im April dieses Jahres – litt vor allem die Zivilbevölkerung unter dem Luftkrieg. Die Vereinten Nationen bezeichnen den Konflikt und seine Folgen als die "größte humanitäre Katastrophe" unserer Zeit. Dokumentationen internationaler Organisationen deuten darauf hin, dass die Koalition immer wieder Zivilist*innen, Wohnhäuser, Märkte, Krankenhäuser und Schulen attackierte. Die Angriffe auf die Zivilbevölkerung könnten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.

„Die Luftangriffe der Koalition haben massive Zerstörung im Jemen angerichtet. Auch Waffen, die in Europa, insbesondere von Frankreich, produziert und exportiert werden, ermöglichen diese Verbrechen. Nach sieben Jahren Krieg verdienen die zahllosen jemenitischen Opfer eine ernsthafte Untersuchung der Täter*innen und möglicher Beihelfer*innen. Wir hoffen, französische Gerichte helfen, die derzeitige Rechenschaftslücke im Jemen zu schließen.“, betonte Abdulrasheed Alfaqih, Geschäftsführer der jemenitischen Organisation Mwatana for Human Rights.  

Trotz der überwältigenden Beweise für willkürliche Angriffe auf Zivilist*innen im Jemen, haben französische Unternehmen zwischen 2015 und 2020 Kriegsgerät, Munition und Wartungsdienste im Wert von über 8 Milliarden Euro an SA und die VAE geliefert. Es ist nachgewiesen, dass von Frankreich entwickelte Kampfjets sowie von Thales und MBDA produzierte Raketen und Leitsysteme im Jemen eingesetzt werden. Die heute eingereichte Strafanzeige argumentiert, französische Rüstungsunternehmen, die den Konflikt mit Waffenlieferungen befeuern, könnten gleichzeitig auch Beihilfe zu den vorgeworfenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Koalition leisten.

„Es ist von größter Bedeutung, diejenigen, die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und internationale Verbrechen unterstützen, zur Rechenschaft zu ziehen. Das gilt auch für westliche politische und wirtschaftliche Akteur*innen. Waffenhandel ist kein neutrales Geschäft: Unternehmen sind für die menschenrechtlichen Aspekte ihrer Exporte verantwortlich. Wenn sie Waffenexporte fortsetzen, trotz des Wissens, dass diese bei Verbrechen verwendet werden könnten, könnten Unternehmen als Komplizen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden“, sagte Cannelle Lavite, Co-Direktorin des Programmbereichs Wirtschaft und Menschenrechte beim ECCHR.

SA und die VAE gehören zu den größten Kunden der französischen Waffenindustrie. Der Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty) und andere internationale Normen verpflichten Staaten, Waffenexporte zu verbieten, wenn eindeutig das Risiko besteht, dass sie zu schwerwiegenden Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht beitragen. Dementsprechend sind die französischen Exporte wahrscheinlichen rechtswidrig. Darüber hinaus muss festgestellt werden, ob diese Exporte eine strafrechtliche Verantwortung der Akteur*innen nach sich ziehen können, die zu solchen Verstößen beitragen – einschließlich der Unternehmen.

„Waffenexporte befeuern den Konflikt und das Leiden der jemenitischen Zivilbevölkerung. Durch die Untersuchung der möglichen Mitverantwortung von Wirtschaftsakteuren für Verbrechen im Jemen könnte die französische Justiz eine wichtige Rolle spielen im Kampf gegen Straflosigkeit und für den Zugang zu Recht für Betroffene von internationalen Verbrechen“, fügte Sandra Cossart, Geschäftsführerin von Sherpa, hinzu.

Amnesty International Frankreich unterstützte die Ausarbeitung der Klage mit juristischem Fachwissen und Recherchen, die zeigen, dass die an SA und die VAE gelieferten Waffen möglicherweise wiederholt bei schweren Verstöße gegen das Völkerrecht eingesetzt wurden. Zudem fordert die Organisation mehr Transparenz und die parlamentarische Kontrolle von Waffenexporten. „Die derzeitige Intransparenz bei der Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen macht es praktisch unmöglich, die Rechtmäßigkeit der Genehmigungen zu kontrollieren und den Staat zu konfrontieren. Zwar verstecken sich Waffenhersteller hinter Ausfuhrlizenzen, doch diese entbinden sie nicht von ihrer Verantwortung für die menschenrechtlichen Konsequenzen ihrer Geschäfte“, sagte Aymeric Elluin von Amnesty International Frankreich.

Die Organisationen begrüßen das entschlossene Engagement der internationalen Gemeinschaft, um potentielle Kriegsverbrechen in der Ukraine zu untersuchen. Kriegsverbrechen in allen Konflikten, egal wo sie begangen werden, sollten mit der gleichen Entschlossenheit und Dringlichkeit behandelt werden, um Rechenschaft zu gewährleisten.

Im Dezember 2019 haben Mwatana, das ECCHR und eine Gruppe von NGOs eine Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingereicht. In dieser wurden 26 einzelne Luftangriffe der Militärkoalition, die als Kriegsverbrechen zu bewerten sind, beschrieben. Mit der heutigen Strafanzeige erneuern die Organisationen ihre Forderung nach strafrechtlicher Verantwortung für Waffenexporte, die internationale Verträge verletzten und Konflikte befeuern. Die nationalen Rechtssysteme müssen einen Beitrag leisten, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.  

Hier finden sie die Pressemitteilung auf Arabisch.

Weitere Informationen:

Um zu illustrieren, wie die europäische Rüstungsindustrie und Regierungen durch Waffenlieferungen an SA und die VAE  am Krieg im Jemen profitieren, hat Forensic Architecture in Kooperation mit dem ECCHR, dem Yemeni Archive und Bellingcat die interaktive kartographische Plattform European arms in the bombing of Yemen entwickelt. Diese demonstriert, wie europäische Unternehmen und Staaten sich – trotz der umfangreichen Dokumentation von Verbrechen - durch Waffenlieferungen mitschuldig machen an potentiellen Kriegsverbrechen.

Mit der Rolle europäischer Rüstungsunternehmen und Regierungen im Jemen-Krieg befasst sich das ECCHR bereits seit vielen Jahren. Darüber hinaus hat das ECCHR zahlreiche Strafanzeigen gegen europäische Unternehmen eingereicht wegen ihrer mutmaßlichen Mitverantwortung bei Verbrechen repressiver Regime oder in Kriegs- und Krisenregionen.

 

Wer wir sind

Dem Unrecht das Recht entgegensetzen – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von Wolfgang Kaleck und weiteren internationalen Jurist*innen gegründet, um die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln durchzusetzen.

Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen weltweit nutzen wir juristische Mittel, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung und abgeschottete Grenzen nicht ungestraft davonkommen.

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