Der 26. März markiert die Eskalation im Jemen-Krieg. An diesem Tag startete im Jahr 2015 die Militärkoalition unter Führung von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine massive Luftoffensive im Jemen.
Alle Konfliktparteien im Jemen-Krieg sind verantwortlich für schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Doch insbesondere die zahlreichen wahllosen und unverhältnismäßigen Angriffe der Militärkoalition unter von Saudi-Arabien und den VAE haben tausende Zivilisten verletzt und getötet sowie wichtige Infrastruktur zerstört. Immer wieder greift die Koalition zivile Ziele und Einrichtungen, darunter Häuser, Schulen und auch Krankenhäuser, an. Damit hat die Koalition auch maßgeblich dazu beigetragen, die humanitäre Krise im Jemen kontinuierlich zu verschärfen. Auch Europa spielt eine Rolle in diesem Krieg: Einige Länder und Unternehmen profitieren davon, indem sie Waffen herstellen und liefern, die im Jemen zum Einsatz kommen.
Am 8. Oktober 2016 beispielsweise kam bei einem Luftangriff in Deir Al-Hajari im Nordwest-Jemen eine sechsköpfige Familie, darunter vier Kinder, ums Leben. In den Trümmern des Hauses der Familie fand sich eine Aufhängeöse von RWM Italia S.p.A., einer italienischen Tochterfirma des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall AG. Das heißt: Es kamen offenbar Waffenteile aus Europa zum Einsatz. Zwischen 2015 und 2018 exportierte RWM Italia eine Vielzahl von Lenkbomben der Serie MK80 nach Saudi-Arabien und in die VAE – ungeachtet vieler Berichte über systematische Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte durch die Luftangriffe der Koalition. Kein Einzelfall: Auch an anderen Tatorten im Jemen wurden Überreste solcher Bomben gefunden.
Die jemenitische Organisation Mwatana for Human Rights, Rete Disarmo aus Italien und das ECCHR aus Berlin fordern von der italienischen Justiz umfassende Ermittlungen zur möglichen Mitverantwortung von RWM Italia sowie der nationalen Waffenexportbehörde UAMA (Unita' per le autorizzazioni dei materiali d'armamento). Es muss untersucht werden, ob die Exporte unrechtmäßige Luftangriffe im Jemen ermöglichten, die als Kriegsverbrechen gewertet werden können.
Im April 2018 stellten die Organisationen bei der Staatsanwaltschaft in Rom Strafanzeige gegen Geschäftsführer von RWM Italia und ranghohe Beamte der UAMA. Nach anderthalb Jahren beantragte die Staatsanwaltschaft, das Verfahren abzuweisen, anstatt die Fakten vollständige zu untersuchen. Doch: Die Menschen im Jemen verdienen eine angemessene Untersuchung der Verantwortung Italiens. Mwatana, Rete und das ECCHR legten im Oktober 2019 Berufung ein. Nun muss das zuständige Gericht in Rom entscheiden, ob die Ermittlungen fortgesetzt werden.
Nicht nur das italienische Gesetz 185/1990 verbietet Waffenexporte an Parteien bewaffneter Konflikte – der Gemeinsame Standpunkt der EU zu Waffenexporten und das internationale Waffenhandelsabkommen tun dies ebenso. Auch das internationale Strafrecht ist relevant für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Rüstungsexporten in Konfliktsituationen. Zumal im Jemen nicht nur italienische Rüstungsgüter eingesetzt werden: Auch Unternehmen aus Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien lieferten Waffen, Munition oder logistische Unterstützung an die Militärkoalition unter Saudi-Arabien und die VAE. Europäischen Unternehmen profitieren auf Kosten von Millionen leidender Menschen im Jemen.
Mwatana, Rete und das ECCHR fordern nicht nur Ermittlungen in Italien. Gemeinsam mit weiteren Partnerorganisationen reichten sie im Dezember 2019 eine Anzeige (Communication) beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag ein. In der ersten Anzeige dieser Art überhaupt fordern die Organisationen den IStGH auf, die Verantwortung von Rüstungsunternehmen wie RWM Italia, Rheinmetall AG, Airbus Defence and Space GmbH, BAE Systems Plc. und Leonardo S.p.A. strafrechtlich zu untersuchen.
5 Jahre Jemen-Krieg: Die Mitverantwortung europäischer Unternehmen
Waffenexporte an Saudi-Arabien
24.03.2020
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Wer wir sind
Dem Unrecht das Recht entgegensetzen – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).
Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von Wolfgang Kaleck und weiteren internationalen Jurist*innen gegründet, um die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln durchzusetzen.
Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen weltweit nutzen wir juristische Mittel, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung und abgeschottete Grenzen nicht ungestraft davonkommen.
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