Sehr geehrte Herr Bundeskanzler Scholz,
Sehr geehrte Frau Ministerin Baerbock,
angesichts der jüngsten Sanktionen von US-Präsident Donald Trump ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in seiner Existenz und seinem Fortbestand gefährdet. Wir wenden uns mit diesem Schreiben an Sie, um unsere tiefe Besorgnis über die jüngsten Angriffe auf die Unabhängigkeit und die Arbeit des IStGH zum Ausdruck zu bringen. Wir möchten die Bundesregierung auffordern, sofort konkrete Maßnahmen zur Unterstützung und zum Schutz des Gerichtshofs und seines globalen Mandats zu ergreifen.
Der Internationale Strafgerichtshof steht als erstes ständiges und unabhängiges internationales Gericht für die zivilisatorische Errungenschaft des Völkerstrafrechts. Es ist zu begrüßen, dass der Strafgerichtshof im vergangenen Jahr so viele Haftbefehle wie nie zuvor erlassen hat, um mutmaßliche Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen, und wir möchten an dieser Stelle hinzufügen, dass dies durchaus auch mutige Entscheidungen waren. Deshalb steht der IStGH bereits jetzt unter starkem Druck: Dekrete und Anordnungen wie die aktuelle Verhängung von Sanktionen seitens der USA oder die russischen Haftbefehle gegen Richter*innen und den Chefankläger schwächen die Unabhängigkeit der Institution.
Statt auf Sanktionen ist der Gerichtshof auf die Kooperation der Staaten angewiesen, insbesondere bei der Festnahme und Überstellung von Angeklagten. Alle Vertragsstaaten stehen spätestens jetzt in der Pflicht, Lösungen zu finden, um den IStGH, seine Mitarbeitenden, zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) und Menschenrechtsverteidiger*innen (HRDs) zu schützen. Dies schließt den Schutz der Infrastruktur des Gerichtshofs ebenso ein wie alle Fragen im Zusammenhang mit möglichen Reise- und Finanzsanktionen.
Wir fordern Sie auf, alle Sanktionen, die darauf abzielen, den IStGH zu delegitimieren und zu zerstören, klar, öffentlich und unmissverständlich zu verurteilen. Ein starkes und uneingeschränktes Bekenntnis zum Gerichtshof und seiner wichtigen Rolle in der internationalen Strafgerichtsbarkeit ist heute mehr denn je unverzichtbar und Ausdruck einer verantwortungsvoll handelnden Bundesrepublik Deutschland. Wir erwarten daher, dass Deutschland die USA jetzt unmissverständlich auffordert, alle Bemühungen einzustellen, die die Unabhängigkeit und die substantielle Arbeit des IStGH gefährden.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich zu einer umfassenden Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof zu verpflichten, um die Arbeit des Gerichtshofs in allen Situationen, in denen er tätig wird, konsequent zu unterstützen. Dies umfasst vor allem auch die Umsetzung aller Entscheidungen und Ersuchen des Gerichtshofs, insbesondere ausstehender Haftbefehle.
Wir fordern die Verabschiedung und Umsetzung nationaler und regionaler Blocking-Verordnungen, wie sie beispielsweise von der Europäischen Union (EU) eingeführt wurden. Diese Gesetze sollen europäische Akteure vor den Auswirkungen extraterritorialer Sanktionen schützen. Blocking-Verordnungen können dem Gerichtshof und seinen Partnern einen wichtigen Schutz bieten und deutlich machen, dass Versuche, den IStGH zu untergraben, nicht toleriert werden.
Darüber hinaus sollten nationale, regionale und internationale Schutzmaßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass
- nationale und regionale Dienstleister weiterhin mit dem Gerichtshof zusammenarbeiten können;
- alle, die den Gerichtshof unterstützen, einschließlich Organisationen der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidiger*innen, wirksam geschützt werden.
Es ist unser aller gemeinsame Verantwortung, die Integrität und Unabhängigkeit des IStGH zu wahren. Die internationale Gemeinschaft darf nicht zulassen, dass der Gerichtshof durch Einmischung von außen geschwächt wird. Wir bitten Sie daher eindringlich, diese Maßnahmen umzusetzen und ein starkes Signal der Unterstützung für den IStGH und die internationale Gerichtsbarkeit auszusenden. Handeln Sie jetzt, schützen Sie das Völkerstrafrecht und seine Institutionen.
Für Rückfragen oder ein Gespräch stehen wir sehr gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Kaleck, Generalsekretär
Dr. Miriam Saage-Maaß, Legal Director
Andreas Schüller, Program Director International Crimes & Accountability