Paris/Berlin – Heute entschied Frankreichs Oberster Gerichtshof (Cour de Cassation), dass die Anklage gegen den französischen Zementkonzern Lafarge wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu Unrecht vom Pariser Berufungsgericht aufgehoben wurde. Der Konzern zahlte offenbar von 2012 bis 2014 mehrere Millionen an den IS und andere bewaffnete Gruppen in Syrien, um den Betrieb seiner syrischen Fabrik aufrecht zu erhalten. Der Oberste Gerichtshof stellte heute fest, dass die bewusste Überweisung von Millionenbeträgen an Organisationen, deren einziger Zweck eindeutig kriminell ist, ausreicht, um Mittäterschaft zu begründen. Das Berufungsgericht muss sich nun erneut mit dem Tatvorwurf beschäftigen.
Die Entscheidung ist ein Meilenstein für die Unternehmensverantwortung. Sie folgt auf eine Strafanzeige, die elf ehemalige syrische Mitarbeitern von Lafarge zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen Sherpa und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) 2016 eingereicht hatten.
„Lafarge hat nicht einfach nur Geschäfte gemacht, sondern hat rücksichtslos mein und das Leben meiner Kollegen gefährdet – nur für finanziellen Profit“, so Mohammad, ein früherer Lafarge-Angestellter und Kläger in dem Verfahren. Ermittlungen zeigten, dass das Unternehmen über seine syrische Tochtergesellschaft Lafarge Cement Syria zwischen 2012 und 2014 offenbar bis zu 13 Millionen Euro an verschiedene bewaffnete Gruppen, darunter den IS, gezahlt hat – und das ungeachtet des anhaltenden Krieges, der Entführungen und der Gefährdung seiner Mitarbeiter.
„Die heutige Entscheidung sendet eine wichtige Botschaft an alle Unternehmen, die von bewaffneten Konflikten profitieren oder sie anheizen und trotzdem behaupten, ihre Geschäfte seien neutral“, erklärt Cannelle Lavite, Legal Advisor beim ECCHR. „Durch die Zahlung von Hunderttausenden von Euro an den IS, eine Gruppe, die wissentlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, war sich Lafarge sehr wohl bewusst, dass dieses Geld für kriminelle Zwecke der schlimmsten Art verwendet werden könnte – und machte sich damit möglicherweise mitschuldig."
„Mit dieser historischen Entscheidung wird es für Unternehmen schwierig, sich der Verantwortung zu entziehen und die Schuld für ihr Fehlverhalten oder Entscheidungen, die zu Menschenrechtsverletzungen führen, auf ihre ausländischen Tochtergesellschaften zu schieben", sagt Franceline Lepany, Präsidentin von Sherpa.
Das Gericht hält die Anklage wegen Terrorismusfinanzierung gegen Lafarge aufrecht. Die Entscheidung über die Gefährdung des Lebens anderer wurde zur Überprüfung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Acht ehemalige Manager von Lafarge bleiben mit verschiedenen Vorwürfen angeklagt.
Der Oberste Gerichtshof entschied, dass das ECCHR als Nebenkläger in Bezug auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit zugelassen ist – Sherpa jedoch nicht. Außerdem können beide NGOs nicht als Nebenkläger in anderen Punkten auftreten.
„Ohne Sherpa und das ECCHR hätten wir niemals Zugang zur Justiz gehabt. Dieser Aspekt der Entscheidung ist schockierend“, erklärt Mohammad, einer der Kläger in diesem Fall.
Die Entscheidung, Sherpas Zulässigkeit in diesem Fall abzulehnen, ist Teil einer besorgniserregenden Praxis, zivilrechtliche Interventionen von NGOs einzuschränken. „Unsere Möglichkeiten, juristisch zu agieren, werden eingeschränkt, obwohl wir im Kampf gegen die Straflosigkeit multinationaler Unternehmen eine essentielle Rolle spielen. Betroffene und Behörden können aus materiellen oder politischen Gründen nicht immer vor Gericht auftreten. Wir müssen diesen Trend umzukehren, wenn nötig durch Reformen“, sagt Sandra Cossart, Geschäftsführerin von Sherpa. Sherpa und das ECCHR unterstützten in den letzten Jahren viele ehemalige syrische Mitarbeiter von Lafarge in dem laufenden Prozess.