Unrechtmäßige Einreisesperre gegen Schriftsteller Mohamedou Ould Slahi aufgehoben

22.11.2023

Mit Urteil vom 22. November 2023 hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschieden, der Klage des ehemaligen Guantánamo-Gefangenen, und heute in den Niederlanden lebenden Schriftsteller Mohamedou Ould Slahi stattzugeben. Die Ausländerbehörde Duisburg wurde dazu verpflichtet, ein seit 2000 verhängtes Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen den Kläger auf den heutigen Tag der mündlichen Verhandlung zu befristen und damit auslaufen zu lassen. Würde das Urteil rechtskräftig werden, könnte Mohamedou Ould Slahi erstmals nach seiner Ausreise aus Deutschland im Jahr 2000 und nach seiner Entlassung aus Guantánamo im Jahre 2016 wieder nach Deutschland einreisen. Allerdings hat das Verwaltungsgericht sowohl die Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster als auch die Sprungrevision vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Die beklagte Ausländerbehörde Duisburg kann also eines von diesen Rechtsmitteln einlegen und damit die Wirkung des Urteils aufschieben.

Die Prozessgeschichte umfasst fast 25 Jahre, europäische und deutsche Gesetze haben sich in diesem Zeitraum mehrfach geändert und die Rechtslage ist kompliziert. Im Kern stellte das Gericht fest, dass das gegen den Kläger verhängte Einreise- und Aufenthaltsverbot wegen einer Bewährungsstrafe wegen Betruges aus dem Jahre 2000 heute keine Rechtswirkung mehr entfalten und insbesondere nicht nachträglich auf eine vermeintliche Gefährlichkeit von Slahi gestützt werden kann. Dazu erklärte Andreas Schüller, Programmdirektor beim des ECCHR: „In den USA hat bereits 2016 eine Sicherheitskommission, in der alle wichtigen Geheimdienste vertreten waren, entschieden, dass Mohamedou Ould Slahi keinerlei Gefahr mehr darstellt. Deswegen musste er seinerzeit aus der Guantánamo Haft entlassen werden. Umso unverständlicher war es aus unserer Sicht, dass die Ausländerbehörde Duisburg mit einem juristisch-fragwürdigen Konstrukt das Unrecht Guantánamo perpetuiert hat.“

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers Matthias Lehnert kommentierte die Entscheidung mit den Worten: „Mit seiner Entscheidung sorgt das Verwaltungsgericht für Klarheit: Behörden haben sich an geltendes Recht zu halten und dürfen nicht eigenmächtig Entscheidungen treffen, die auf Unterstellungen basieren. Mein Mandant musste in Guantánamo 14 Jahre unrechtmäßige Haft und Folter erdulden, deren körperliche und seelische Folgen ihn bis heute belasten. Und die unrechtmäßige Einreisesperre einer deutschen Behörde stellte eine weitere Schikane dar.“

Der Generalsekretär des ECCHR, Wolfgang Kaleck, führt dazu aus: „Guantánamo und das dort seit 2002 praktizierte Unrecht haben uns vor 15 Jahren motiviert, das ECCHR zu gründen. Mehr als 20 Jahre später existiert dieser rechtsfreie Raum nach wie vor und die Hauptverantwortlichen für Folter und andere Verbrechen wurden strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen. Auch in Demokratien meinen Politiker nur zu oft, dass der politische Zweck die juristischen Mittel heiligt, wie die aktuelle Diskussion um das Asylrecht auf europäischer und auf deutscher Ebene belegt. Das ECCHR streitet mit seiner Arbeit seit 15 Jahren gegen derartige Rechtsmissbräuche.“

Aufgrund der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, die sich vor allem auf rechtliche Argumente stützt, kam es bei der heutigen Verhandlung zu keiner tiefergehenden Diskussion um die von der Ausländerbehörde behauptete aktuelle Gefährlichkeit des Klägers. Diese Behauptung ist im Übrigen durch die Umstände der letzten Jahre widerlegt: Mohamedou Ould Slahi lebt seit Anfang 2022 beanstandungsfrei in den Niederlanden. Er ist an umfangreichen Theater- und Buchprojekten in vielen europäischen Ländern beteiligt und arbeitet mit jüdischen und israelischen wie niederländischen und deutschen Akteuren umfänglich zusammen. Für seine Aktivitäten wurde er mehrfach in den Niederlanden sowie in der Schweiz ausgezeichnet. Er reiste nach Österreich, nach Großbritannien, Frankreich und Belgien, um dort Preise entgegenzunehmen, auf Literaturfestivals zu sprechen oder vor dem britischen Parlament oder dem Europaparlament Bericht zu erstatten. Umso mehr ist es ihm ein Anliegen, auch in Deutschland, das er nach eigenem Bekunden liebt, wieder einreisen zu können. Nicht zuletzt, um den Premieren seiner Theaterstücke, die in mehreren deutschen Stadttheatern gezeigt wurden, beizuwohnen. Im heutigen Urteil stellt er fest: „Ich habe nicht zuletzt aufgrund meiner Erfahrung in Mauretanien und in Guantánamo den Wert des Rechtsstaats festgestellt. Deswegen nehme ich das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit Befriedigung zur Kenntnis und hoffe, dass ich bald nach Deutschland einreisen kann, um meine Familie und meine Freunde und meine Arbeitskollegen aus der Schriftsteller- und Theaterszene zu treffen.“

Wer wir sind

Dem Unrecht das Recht entgegensetzen – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von Wolfgang Kaleck und weiteren internationalen Jurist*innen gegründet, um die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln durchzusetzen.

Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen weltweit nutzen wir juristische Mittel, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung und abgeschottete Grenzen nicht ungestraft davonkommen.

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