Berlin, den 08.11.2021
An die Teilnehmer*innen der Koalitionsverhandlungen,
Sie sind mit der Forderung zur Wahl angetreten, deutsche Rüstungsexporte in Kriegsgebiete zu verhindern. Der bevorstehende Export von deutschen Fregatten an die ägyptische Marine durch ThyssenKrupp Marine Systems (Thyssen Krupp) wirft erneut ein Schlaglicht auf fragwürdige deutsche Rüstungsexporte. Transparenz und ein wirksamer Kontrollmechanismus für Rüstungsexporte sind längst überfällig. Deutschland braucht ein Rüstungsexportkontrollgesetz!
Menschenrechtsverletzungen durch ägyptische Sicherheitskräfte
Die ägyptischen Sicherheitskräfte bekämpfen seit 2013 in der Region Nord-Sinai den lokalen Ableger des islamischen Staats. Nach Berichten von Human Rights Watch begehen sie dabei schwere Menschenrechts- verletzungen und Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Zahlreiche Menschen wurden aus ihren Häusern zwangsvertrieben, Häuser und Felder wurden zerstört. Eine Entschädigung oder ein faires Verfahren erhielten die Betroffenen nicht. Die ägyptische Marine ist im Rahmen der Küstensicherung mindestens seit 2018 in den Konflikt involviert. Laut Zeitungsberichten hat sich der Konflikt zuletzt wieder verschärft.
Klage in den Niederlanden gegen Zulieferer von Thyssen Krupp
In den Niederlanden überprüfen derzeit Gerichte den Export von Rüstungsgütern nach Ägypten. Die niederländische NGO PILP hat heute bekanntgemacht, einen Eilantrag gegen Exportgenehmigungen nach Ägypten bei Gericht eingereicht zu haben. Eine dieser Exportgenehmigungen erlaubt dem niederländischen Zulieferbetrieb Thales Netherlands die Lieferung von Radarsystemen an Thyssen Krupp. Thyssen Krupp baut diese Radarsysteme in die für die ägyptische Marine bestimmten Fregatten ein. In Deutschland ist ein rechtliches Vorgehen gegen den direkten Exporteur Thyssen Krupp so nicht möglich. Es fehlen einklagbare Menschenrechtsstandards und ein Verbandsklagerecht.
Wir brauchen ein wirksames deutsches Rüstungsexportkontrollgesetz
Ein deutsches Rüstungsexportkontrollgesetz bietet die Chance, einen menschenrechtswidrigen Einsatz von deutschen Rüstungsgütern endlich ein Ende zu setzen. Echte Restriktionen bei der Waffenausfuhr sind bei einer Auslagerung auf die europäische Ebene nicht zu erwarten. Vielmehr kann ein inhaltlich starkes deutsches Instrument als ein Orientierungsmaßstab für zukünftige europäische Reformen dienen. Für eine wirksame Rüstungsexportkontrolle sind folgende Elemente zentral:
- eine einheitliche, verbindliche und abschließende Regelung für alle Rüstungstransfers (Kriegswaffen, sonstige Rüstungsgüter, militärisch/polizeilich nutzbare dual use-Güter und Güter der Antifolter-Verordnung) in einem nationalen Rüstungsexportkontrollgesetz
- ein Exportverbot von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in Staaten außerhalb der Europäischen Union und EU-gleichgestellter Staaten
- ein Exportverbot von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten sowie in Krisenregionen
- ein Exportverbot von Kleinen und Leichten Waffen und der dazugehörigen Munition nach UN-Definition
- Schließung von Regelungslücken bei der technischen Unterstützung sowie rüstungsbezogenen Investitionen im Ausland
- eine verbindliche und einklagbare Menschenrechtsklausel für die ausnahmsweise zulässige Genehmigung von Rüstungsexporten, die mindestens die menschenrechtlichen Mindeststandards des internationalen Waffenhandelsvertrags (ATT) und des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944/GASP des Rates zu Waffenausfuhren verbindlich verankert und konkrete gesetzliche Anforderungen an die von der Genehmigungsbehörde vorzunehmende Risikoabschätzung formuliert
- umfassende Transparenzpflichten über alle Exportgenehmigungen und tatsächlichen Lieferungen sowie eine Berichtspflicht der Bundesregierung über die Anwendung der Menschenrechtsklausel
- wirksame und transparente Vor-Ort-Endverbleibskontrollen mit nachhaltigen Sanktionen bei Verstößen
- ein Verbandsklagerecht sowie Beteiligungsrechte für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen begangen mit deutschen Rüstungsgütern, insbesondere durch ein Nebenklagerecht im Strafprozess
- eine verbindliche und einklagbare Sorgfaltspflicht der Rüstungsunternehmen zur Einhaltung der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts
Vor diesem Hintergrund, fordern wir Sie auf, die Koalitionsverhandlungen für einen echten Aufbruch in der Rüstungsexportkontrolle zu nutzen und einen starken Vorschlag für ein Rüstungsexportkontrollgesetz im Koalitionsvertrag zu verankern, welcher die obigen Elemente aufnimmt.
Für Rückfragen oder ein vertiefendes Gespräch stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christian Schliemann-Radbruch
Senior Legal Advisor
European Center for Constitutional and Human Rights