Das Völkerrecht und die globale Ordnung

Brief an die Verhandlungsgruppe aus Union und SPD

27.03.2025

Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD  hinsichtlich des Schutzes der völkerrechtlichen Ordnung haben wir uns in einem Schreiben vom 20. März 2025 an die Arbeitsgruppe 12 gewendet. Wir müssen leider feststellen, dass die nunmehr öffentlich zugänglichen Entwürfe der Arbeitsgruppen (Stand 27.3.25) sehr weit hinter einem solchen Schutz der völkerrechtlichen Ordnung zurückbleiben.

Immer mehr Staaten setzen auf das Recht des Stärkeren, ignorieren völkerrechtliche Verpflichtungen und untergraben in Folge die Institutionen des Völkerrechts.

In einer sich polarisierenden Welt ist eine Stärkung des Völkerrechts erforderlich, um staatliche Machtdemonstrationen bis hin zu Angriffskriegen auch mit rechtlich-strukturellen Mitteln begegnen zu können. Notwendig sind stärkere völkerrechtliche Regeln sowie stabile, unabhängige Einrichtungen zur Durchsetzung des Rechts.

Insbesondere bei schwere Menschenrechtsverletzungen und schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht muss der Kampf gegen die Straflosigkeit fortgesetzt werden. Die Errungenschaften der letzten Jahre, gerade auch durch die Syrienverfahren vor deutschen Gerichten, im Rahmen eines komplementären internationalen Systems der Weltstrafrechtspflege gilt es zu bewahren und auszubauen. Umso fahrlässiger ist es daher, dass in dem bisher vorliegenden Entwurf die Notwendigkeit und Unterstützung eines Transitional Justice-Prozesses im neuen Syrien nach dem Sturz der Assad-Diktatur nicht einmal erwähnt wird.

Auch im Völkerrecht lassen sich durchaus positive Entwicklungen feststellen. So wird der Internationale Gerichtshof (IGH) zunehmend zur Streitbeilegung angerufen. Das trägt zur weltweiten Legitimität und Anerkennung des IGH bei.

Auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat im vergangenen Jahr eine Rekordzahl an Haftbefehlen ausgestellt. Die Verhaftung und Überstellung des ehemaligen philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte im März zeigt, dass die Arbeit des IStGH zunehmend Wirkung entfaltet. Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip in Deutschland, aber auch anderen Ländern der EU, nehmen stetig zu. Die Vereinten Nationen unterstützen Ermittlungen durch eigenen Mechanismen und durch das Hochkommissariat für Menschenrechte. Auf EU-Ebene spielen EUROJUST und EUROPOL eine wichtige Rolle in der Bekämpfung der Straflosigkeit.

Deutschland ist zur Mitwirkung an internationalen Institutionen auf Grundlage des Völkerrechts und des Grundgesetzes verpflichtet. Vertragsstaaten müssen Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs beachten und vollstrecken, unabhängig von der betroffenen Person. Dies betrifft sowohl den russischen Präsidenten Wladimir Putin als auch den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Eine Einladung Netanjahus nach Deutschland unter Zusicherung von Immunität wäre ein Verstoß gegen das Völkerrecht und deutsches Recht.

Gleichzeitig bestehen jedoch erhebliche Herausforderungen Dazu gehören Sanktionen gegen den IStGH, das fortwährende Fehlen wichtiger Ratifikationen des Römischen Statuts sowie die mangelhafte Kooperation einiger Mitgliedsstaaten.

Angesichts dieser Herausforderungen ist es umso notwendiger, das Völkerrecht und seine Institutionen nachhaltig zu stärken. Erforderlich sind:

  • Gegenmaßnahmen zur Abwehr der US-Sanktionen gegen den IStGH,
  • eine aktive Beteiligung Deutschlands an der Erarbeitung einer Konvention über Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
  • der Abbau von Immunitäten bei Völkerstraftaten sowie eine Harmonisierung des Römischen Statuts im Hinblick auf die Verfolgbarkeit des Verbrechens der Aggression (dieser Teil findet sich erfreulicherweise im Entwurfstext der AG 1 wieder),
  • eine verstärkte finanzielle Unterstützung der völkerrechtlichen Institutionen sowie der globalen Zivilgesellschaft, die zur Stärkung des Völkerrechts beiträgt,
  • die konsequente Fortführung strafrechtlicher Ermittlungen zu Völkerstraftaten durch den Generalbundesanwalt, auch zur Unterstützung der Verfahren des IStGH.

Die künftige Bundesregierung sollte jegliche Doppelstandards im Bereich der Menschenrechte vermeiden, insbesondere bei Rüstungsexporten. Dies betrifft auch Waffenlieferungen an befreundete Staaten wie Israel, wenn ein völkerrechtswidriger Einsatz virulent ist. Besonders relevant ist dies im Kontext des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs von Juli 2024 zur Rechtswidrigkeit der israelischen Besatzung, auf das auch das Auswärtige Amt bereits affirmativ Bezug genommen hat.

Deutschland hat unter unterschiedlichen Bundesregierungen an der Ausarbeitung des Statuts des IStGH mitgewirkt und gehört zu den größten Befürwortern des IStGH; die Bundesrepublik hat den IStGH immer unterstützt und gefördert. Aus unserer Sicht ist es unerlässlich, dass sich CDU, CSU und SPD auch im aktuellen Koalitionsvertrag in aller Klarheit zum Völkerrecht und seinen Institutionen bekennen, den Kampf gegen die Straflosigkeit fortführen, eine weitere finanzielle Förderung garantieren und sich zu deren Stärkung aktiv verpflichten.

Die bisher vorliegende Vereinbarung einer künftigen schwarz-roten Regierung ist in ihrer inhaltlichen Dürftigkeit jedoch erschreckend. Wer sich zu einer „regelbasierten internationalen Ordnung“ bekennt, sollte sich auch ausdrücklich zum Schutz des Völkerrechts und zur nachhaltigen Stärkung seiner Institutionen verpflichten. In Zeiten, in denen selbst ausdrücklich befreundete Staaten die Vereinten Nationen und Organe wie den Internationalen Strafgerichtshof offen delegitimieren und sogar sanktionieren, reichen die berechtigten Warnungen vor „chinesischen und russischen Versuchen“, die Vereinten Nationen zu „untergraben“, bei weitem nicht aus. Hier halten wir angesichts der globalen Gewaltverhältnisse ein klares und universelles Bekenntnis zum Völkerrecht und seinen Institutionen für zwingend erforderlich.

Der jetzige Entwurf enthält jedoch nur Passagen, die in ihrer unverbindlichen Allgemeinheit politisch und juristisch so dehnbar sind, dass sie nur einen Schluss zulassen: Die kommende Regierung will offenbar möglichst freie Hand in Fragen menschenrechtlicher Kriterien, etwa bei Rüstungsexporten, aber auch bei völkerrechtlichen Fragen und Notwendigkeiten. Der Kampf gegen die Straflosigkeit wird nicht mehr erwähnt, ebenso wenig wie die die „regelbasierte Ordnung“ aufrecht erhaltenen und unter Druck stehenden internationalen Einrichtungen. Gleiches gilt für die Frage, inwieweit Menschenrechtsstandards in politischen Beziehungen noch relevant sind.

Union und SPD bekennen sich dazu, „eine in Sicherheit gegründete neue Zuversicht“ schaffen zu wollen. Dazu können wir nur sagen: „Zuversicht“ ohne die Garantie und Durchsetzung bestehender Rechte ist vielleicht Koalitions-Prosa, aber kein realistischer Plan in Zeiten einer geopolitischen Neuordnung der Welt. 

 

Wolfgang Kaleck, Generalsekretär ECCHR

Dr. Miriam Saage-Maaß, Legal Director ECCHR

Andreas Schüller, Programmdirektor ECCHR

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Dem Unrecht das Recht entgegensetzen – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von Wolfgang Kaleck und weiteren internationalen Jurist*innen gegründet, um die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln durchzusetzen.

Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen weltweit nutzen wir juristische Mittel, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung und abgeschottete Grenzen nicht ungestraft davonkommen.

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