Völkerrechtswidrige Zurückweisungen - sogenannte Push-Backs - Gewalt, unmenschliche Behandlungen gehören mittlerweile zur Realität an den Grenzen Europas. Schutzsuchende geraten durch sie in Lebensgefahr, wie auch die Todesfälle an der polnisch-belarussischen Grenze zeigen. Geflüchtete werden entmenschlicht, indem sie von führenden Politiker*innen als „politische Waffe“ oder „eine Form der hybriden Bedrohung“ bezeichnet werden.
Wir, die unterzeichnenden Organisationen, unterstützen seit Jahren Menschen, die von dieser Grenzgewalt betroffen sind. Wir stellen fest, dass die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention an Europas Grenzen systematisch verletzt werden. EU-Mitgliedstaaten missachten den Grundsatz der Nichtzurückweisung, eine einzigartige humanitäre und rechtliche Errungenschaft, die Schutzsuchenden grundlegende individuelle Rechte zusichert.
Dies stellt nicht nur einen Angriff auf das Asylrecht und die Menschenrechte dar. Wenn rechtsfreie Zonen hingenommen werden, wenn Rechtsstaatlichkeit erodiert, dann gefährdet diese Entwicklung auch die Demokratie in Europa.
Ein journalistisches Recherchekollektiv hat am 6. Oktober weitere Beweise für gewaltvolle Push-Backs an den EU-Außengrenzen in Griechenland und Kroatien veröffentlicht. Auf Videos und Fotos ist die Brutalität der polizeilichen Spezialeinheiten zu sehen. Push-Backs und die Gewalt gegen Schutzsuchende sind Ausdruck einer Politik, die auf Abschottung statt Schutz setzt – um jeden Preis.
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind finanziell, logistisch und zum Teil durch Einsatzkräfte unter dem Mandat der EU-Grenzschutzagentur Frontex an dieser Form des rechtwidrigen Grenzschutzes beteiligt. Die deutsche Regierung unterstützt den kroatischen Grenzschutz mit technischer und logistischer Ausrüstung, Polen wurde solche Unterstützung angeboten. Deutsche Einsatzkräfte sind Teil des Frontex-Einsatzes in Griechenland.
Berlin: Für einen Neuanfang in der europäischen Flüchtlingspolitik!
Die drei Koalitionsparteien, die seit dem 27.Oktober in Arbeitsgruppen verhandeln, haben in ihrem Sondierungspapier klar gestellt: „Wir bekennen uns zur humanitären Verantwortung, die sich aus dem Grundgesetz, aus der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt. Daraus leiten wir die Aufgabe ab, mit den europäischen Partnern Anstrengungen zu unternehmen, das Sterben auf dem Mittelmeer genauso wie das Leid an den europäischen Außengrenzen zu beenden.“
Wir begrüßen diese Absichtserklärung. Um diese in politisches Handeln umzusetzen, muss sie im Koalitionsvertrag konkretisiert werden. Nur die konsequente Durchsetzung von Völkerrecht an Europas Grenzen, sichere und reguläre Wege, eine europäische Seenotrettung und die solidarische Aufnahme von Schutzsuchenden innerhalb der EU können das Leid und Sterben an Europas Grenzen beenden.
Wir fordern von der künftigen Bundesregierung:
● das Asylrecht in Europa zu verteidigen: den Zugang zum Asylverfahren, den Zugang zum Rechtssystem und menschenwürdige Unterbringung. Nein zu einem Europa der Haft- und Flüchtlingslager und Grenzverfahren!
● die Verteidigung der Menschenwürde, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte – genau die Werte, auf die sich die Europäische Union – EU Vertrag Artikel 2 - gründet.
● die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Kroatien und Griechenland durch die Europäische Kommission. Wir fordern zudem, dass die EU bei der Einleitung von Rechtsstaatsverfahren im Falle von schwerwiegenden Verletzungen der in Artikel 2 EUV genannten Werte auch Menschenrechtsverletzungen der Mitgliedstaaten im Bereich Asyl und Migration einbezieht.
● die Einrichtung eines unabhängigen, transparenten und effektiven Menschenrechtskontrollmechanismus, der unangekündigte Besuche an Grenzen sowie die Strafverfolgung von Täter*innen ermöglicht. Die Menschenrechtsbeobachter* innen müssen das Mandat zur Sicherstellung von Beweismitteln haben. Ziel muss sein, dass diese finanziell und personell gut ausgestattete Institution künftig Menschenrechtsverletzungen verhindert.
● die Einstellung jeglicher Unterstützung des Grenzregimes in Polen, Kroatien, Griechenland und anderer Staaten, die an ihren Grenzen Völkerrecht missachten.
● entschlossene Reaktionen auf Menschenrechtsverletzungen in Frontex-Operationen: Aussetzung der Finanzierung und des Einsatzes von EU-Grenzschutzbeamten in Ländern, die internationale Menschenrechtsstandards verletzen.
● ein ziviles EU- Seenotrettungsprogramm, um das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden. Den Bootsflüchtlingen muss nach Anlandung in einem sicheren europäischen Hafen eine menschenwürdige Aufnahme und Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt werden. Es müssen sichere und reguläre Fluchtwege nach Europa geschaffen werden.
● die Zusammenarbeit mit der „libyschen Küstenwache“ und der damit verbundene fortlaufende Völkerrechtsbruch im Mittelmeer muss sofort gestoppt werden.