Appell an die Bundesregierung zu ihrer Position zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems: Keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes

Gemeinsames Statement von über 50 Organisationen

17.05.2023

Europaweit arbeiten politische und gesellschaftliche Strömungen auf die weitgehende Abschaffung des Flüchtlingsschutzes hin. Sie stellen die Allgemeingültigkeit von Menschenrechten, rechtsstaatlichen Grundsätzen und europäischen Werten infrage. Gleichzeitig beobachten wir einen massiven Anstieg und die billigende Inkaufnahme von gewaltsamen und menschenunwürdigen Handlungen gegenüber Schutzsuchenden, insbesondere an den Außengrenzen der Europäischen Union. Verstöße gegen geltendes Recht werden teils gar nicht mehr oder nur unzureichend verfolgt.

Die unterzeichnenden Organisationen sind enttäuscht über die am 28. April 2023 öffentlich gewordene deutsche Position der Bundesregierung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Anstatt sich dem Trend der Entwertung europäischer Grund- und Menschenrechte und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze entschieden entgegenzustellen, signalisiert die Regierung mit ihrer Position die Bereitschaft, diesen Weg um jeden Preis mitzugehen. Damit gerät sie in eklatanten Widerspruch zu zentralen Versprechen des Koalitionsvertrags.

Durch die beabsichtigte Zustimmung der Regierung zu verpflichtenden Grenzverfahren ist zu erwarten, dass Standards bei der Prüfung von Schutzgesuchen in der EU so stark abgesenkt werden, dass keine fairen Verfahren mehr zu erwarten sind – zumal diese in Kombination mit der Anwendung des Konzepts der “Fiktion der Nicht-Einreise" absehbar unter Haft oder haftähnlichen Bedingungen erfolgen werden. Unterstützt die Ampel-Koalition die Absenkung der Anforderungen an sogenannte „sichere Drittstaaten”, bricht sie ihr Versprechen, jedes Asylgesuch inhaltlich zu prüfen. Asylanträge könnten so pauschal als unzulässig abgelehnt und Schutzsuchende ohne inhaltliche Prüfung ihres Schutzbegehrens in einen Drittstaat abgeschoben werden. Das bedeutet einen Rückzug aus dem Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union, vergleichbar mit dem deutschen Asylkompromiss vor dreißig Jahren.

Die aktuellen Reformvorschläge rütteln nicht nur an den Grundfesten des Rechtsstaates, sondern werden auch bereits existierende Probleme des europäischen Asylsystems noch verschärfen. Die Verantwortung für die Durchführung von Asylverfahren bliebe weitgehend bei den Außengrenzstaaten, was schon jetzt zu ihrer Überlastung und der Nichtanwendung von bestehenden Regelungen, zu starken Verzögerungen beim Zugang zum Schutz sowie zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen führt. Lediglich geringfügige Veränderungen an einem dysfunktionalen System können daran nichts ändern. Stattdessen sollte lieber durch Deutschland mit Nachdruck an einer solidarischen Aufnahme von Ankommenden in der EU gearbeitet werden, welche die Rechte und Bedürfnisse der Schutzsuchenden stärker in den Mittelpunkt stellt.

Im Vorfeld des kommenden Treffens der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 appellieren wir an die Bundesregierung, ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden und ihren eigenen Koalitionsvertrag ernst zu nehmen:

1. Für menschenwürdige und faire Asylverfahren: Keine verpflichtenden Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen!

2. Für Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union: Keine Absenkung der Anforderungen an “sichere Drittstaaten”!

3. Für echte Solidarität in der Flüchtlingsaufnahme: Keine Weiterführung des gescheiterten Dublin-Systems!

 

Ärzte ohne Grenzen e.V.

Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)

Amnesty International Deutschland e.V.

Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein

AWO Bundesverband e.V.

borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V.

Brot für die Welt

Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - BumF e.V.

Bundesweite Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL

Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer - BAfF e.V.

Der Paritätische Gesamtverband

Deutscher Caritasverband e.V.

Diakonie Deutschland

Deutscher Frauenrat e.V.

ECCHR: European Center for Constitutional and Human Rights

Equal Rights Beyond Borders e.V.

FORUM MENSCHENRECHTE – Netzwerk deutscher Menschenrechtsorganisationen

GGUA Flüchtlingshilfe e.V.

IPPNW e.V. - Deutsche Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs /Ärzt*innen in sozialer Verantwortung

Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland

JUMEN e.V. - Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland

KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.

#LeaveNoOneBehind

medico international

misereor e.V.

MISSION LIFELINE International e.V.

Neue Richtervereinigung

Ökum. Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.

pax christi - Deutsche Sektion e.V.

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.

RESQSHIP e.V.

SOS MEDITERRANEE

r42 - Sail and Rescue

Sea-Eye e.V.

Sea-Watch

Seebrücke

SOS Humanity

terre des hommes

United4Rescue – Gemeinsam retten e.V.

World Vision Deutschland e.V

Diakonie Baden

Diakonie Württemberg

Die Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Landeskirche in Baden

Die Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche

Diakonie Hessen. Diakonisches Werk in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e.V.

Evangelische Kirche im Rheinland

Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck

fluchtpunkt – kirchliche Hilfsstelle für Flüchtlinge, Hamburg

Flüchtlingsräte der Bundesländer

Lippische Landeskirche

Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

Zuflucht – Ökumenische Ausländerarbeit e.V.

Wer wir sind

Dem Unrecht das Recht entgegensetzen – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin. Sie wurde 2007 von Wolfgang Kaleck und weiteren internationalen Jurist*innen gegründet, um die Rechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln durchzusetzen.

Gemeinsam mit Betroffenen und Partner*innen weltweit nutzen wir juristische Mittel, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftliche Ausbeutung und abgeschottete Grenzen nicht ungestraft davonkommen.

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