Bayers Agrarmodell in Südamerika verstößt gegen OECD-Leitsätze

Südamerika – Agrarindustrie – Bayer

Sechs zivilgesellschaftliche Organisationen aus Argentinien, Brasilien, Paraguay, Bolivien und Deutschland haben gegen Bayer eine Beschwerde bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eingereicht. Die Beschwerde dokumentiert vier konkrete Fälle, die die negativen Auswirkungen des GV-Soja-Agrarmodells in den Gebieten, in denen Bayer seine Produkte vertreibt, aufzeigen.

Seit der Fusion mit Monsanto im Jahr 2018 ist Bayer zu einem der wichtigsten Akteure auf dem globalen Markt für Pestizide und Saatgut geworden. In Südamerika, wo die zehn größten Sojaproduzenten der Welt beheimatet sind, profitiert der Konzern von der stetigen Zunahme der Landwirtschaftsnutzung für den Sojaanbau und erzielt mit dem Verkauf von giftigen Pestiziden auf Glyphosatbasis und dagegen resistentem gentechnisch verändertem Sojasaatgut Umsätze in Millionenhöhe. Das Agrarmodell von Bayer führt zu schweren Umweltauswirkungen und Menschenrechtsverletzungen für die lokale Bevölkerung, insbesondere für indigene und ländliche Gemeinschaften: Wälder werden abgeholzt, um Platz für Sojaplantagen zu schaffen, die Nahrungsversorgung wird bedroht, das Trinkwasser verschmutzt und Landkonflikte verschärft.

Fall

Im April 2024 reichen vier zivilgesellschaftliche Organisationen aus Südamerika, das Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) aus Argentinien, Terra de Direitos aus Brasilien, BASE-IS aus Paraguay, Fundación TIERRA aus Bolivien, zusammen mit Misereor und dem ECCHR eine OECD-Beschwerde gegen Bayer ein. Der Vorwurf: Indem Bayer seine Sorgfaltspflichten beim Vertrieb von Soja-Saatgut und giftigen Pestiziden verletze, missachte das Unternehmen die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und trägt zu den negativen Auswirkungen in den vier lateinamerikanischen Ländern bei.

Nach den OECD-Leitsätzen wird von Unternehmen erwartet, dass sie in ihren globalen Wertschöpfungsketten die international anerkannten Menschenrechte und die Umwelt respektieren. Dazu gehört auch, dass sie nicht zu negativen Auswirkungen auf das Recht auf Gesundheit, Nahrung, Land und eine gesunde Umwelt beitragen.

Mit der Beschwerde fordern die Organisationen Bayer auf, seinen Sorgfaltspflichten nachzukommen, um Menschenrechtsverletzungen und negative Umweltauswirkungen im Zusammenhang mit dem Vertrieb und der Nutzung seiner Produkte in den vier Ländern zu verhindern und abzumildern. Darüber hinaus argumentieren die Beschwerdeführenden, dass das Unternehmen in den Fällen, in denen es zu tatsächlichen negativen Auswirkungen beigetragen hat, Wiedergutmachung leisten sollte. Solche Risiken fallen nach derzeitiger Auslegung der deutschen Aufsichtsbehörde, dem Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA), nicht unter das deutsche Lieferkettengesetz. Die OECD Richtlinien hingegen etablieren Sorgfaltspflichten auch für die nachgelagerte Wertschöpfungskette, insbesondere vorhersehbare negative Folgen der Produktnutzung.

Die deutsche Nationale Kontaktstelle der OECD hat drei Monate Zeit, um über die Zulässigkeit der Beschwerde zu entscheiden und dadurch eine Mediation zwischen den Betroffenen und dem Konzern zu unterstützen. Die Organisationen erwarten, dass Bayer auf die Beschwerde reagiert und sich aktiv an der Lösung der Probleme beteiligt.

Kontext

Südamerika erlebte in den letzten Jahrzehnten einen regelrechten Boom beim Sojaanbau und -export, der mit einer hohen Unternehmenskonzentration im industriellen Lebensmittelsystem einherging, wobei Bayer an vorderster Front steht. Heute gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay und Bolivien zu den 10 größten Sojaproduzenten der Welt und bewirtschaften durchschnittlich mehr als 50% ihrer Agrarflächen mit Soja. Die beschwerdeführenden Organisationen arbeiten seit mehreren Jahren in den vier Ländern mit lokalen Gemeinschaften zusammen, die direkt von dem von Bayer geförderten Agrarmodell betroffen sind. Konkrete Fälle aus den in der Beschwerde aufgeführten Gemeinden dienen als Beispiel für systematische Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen in Gebieten, in denen Bayer seine Produkte vertreibt.

Landfläche ist die wichtigste Ressource für den intensiven Sojaanbau in der Region, was zu einer zunehmenden Ausdehnung in die Gebiete indigener und ländlicher Gemeinschaften führt und zu sozio-territoriale Konflikte verschärft. Dies bedroht nicht nur ihre traditionelle Lebensweise, sondern schränkt auch ihr Recht auf Selbstbestimmung über die Ernährungssysteme ein und führt in der gesamten Region zu gefährlichen Gesundheitsrisiken und -auswirkungen. Darüber hinaus ist der Sojaanbau mit der Abholzung und Degradierung einiger der weltweit wichtigsten Ökosysteme in der Region verbunden, wie dem Atlantischen Regenwald, dem Gran Chaco und der Chiquitania. In diesem Zusammenhang beeinträchtigt dieses Agrarmodell nicht nur das Recht der lokalen Gemeinschaften auf eine gesunde Umwelt, sondern bedroht auch die Fähigkeit der natürlichen Ökosysteme, sich an den Klimawandel anzupassen.

Gemäß dem OECD-FAO-Leitfaden für verantwortungsvolle landwirtschaftliche Lieferketten und dem OECD-FAO-Handbuch zu Sorgfaltspflichten und Entwaldung in Agrarlieferketten, die als Leitfaden für die Umsetzung der OECD-Leitsätze im Agrarsektor dienen sollen, stellen die oben genannten Auswirkungen „rote Fahnen" oder „hohe Risiken" dar, insbesondere im Zusammenhang mit dem Sojaanbau. Dies bedeutet, dass Unternehmen, die in diesen Bereichen tätig sind, einschließlich Bayer, eine erhöhte Sorgfaltspflicht ausüben sollten, um sicherzustellen, dass ihre Produkte nicht mit tatsächlichen oder potenziellen negativen Auswirkungen in Verbindung gebracht werden. Trotz seiner marktbeherrschenden Stellung und der Vorhersehbarkeit dieser Auswirkungen hat Bayer es versäumt, diese Risiken und negativen Auswirkungen angemessen in seine Verfahren zur Sorgfaltsprüfung und seine Geschäftsaktivitäten zu integrieren.

Mit dieser Beschwerde unterstützt das ECCHR die Organisationen in ihrem Kampf für die Menschenrechte und den Schutz der Umwelt im Agrarsektor und setzt sich dafür ein, dass deutsche Unternehmen wie die Bayer AG für ihr Handeln und die daraus resultierenden negativen Auswirkungen zur Verantwortung gezogen werden. Seit 2016 befasst sich das ECCHR mit Verstößen beim weltweiten Vertrieb von Pestiziden, indem es Zivilklagen von Betroffenen im zentralindischen Yavatmal unterstützt und gemeinsam mit Betroffenen und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen eine OECD-Beschwerde gegen den Schweizer Konzern Syngenta eingereicht hat. Im Oktober 2016 reichte das ECCHR zudem eine Beschwerde gegen Bayer beim Pflanzenschutzdienst der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen wegen Verstößen gegen Exportbestimmungen im Zusammenhang mit dem Pestizidvertrieb in Indien ein.

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Definition

OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen

Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen dienen dazu, verantwortungsvolles und nachhaltiges Unternehmensverhalten im Bereich Umwelt und Menschenrechte zu fördern.

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Pestizide

In Europa und Nordamerika ist es ganz selbstverständlich: Ein Pestizid darf nur verkauft werden, wenn der Hersteller explizit auf die Risiken des Produktes hinweist. Ganz anders, wenn internationale Chemie­ und Agrarkonzerne ihre Produkte im Globalen Süden vertreiben. Das belegen zahlreiche Fälle, an denen das ECCHR seit 2013 mit Partner*innen in Indien und auf den Philippinen arbeitet.

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