Sexualisierte Gewalt in Syrien muss als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt werden – auch von der deutschen Justiz

Überlebende stellen Strafanzeige gegen syrischen Luftwaffengeheimdienst

18.06.2020

ناجيات وناجون يقدمون دعوى جنائية ضد جهاز المخابرات الجوية
يجب على ألمانيا التحقيق في العنف الجنسي والعنف القائم على النوع الاجتماعي في سوريا باعتبارها: جرائم ضد الإنسانية

Berlin/London/Gaziantep – Die deutsche Justiz muss sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt durch die Geheimdienste in Syrien endlich als das verfolgen, was sie ist: ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das ist das Ziel einer Strafanzeige, die sieben syrische Überlebende von Baschar al-Assads Foltersystem am 17. Juni 2020 beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingereicht haben. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) erarbeitete die Strafanzeige und reichte sie stellvertretend für die Überlebenden zusammen mit dem Syrian Women’s Network und Urnammu ein.

Die Anzeige benennt neun hochrangige Funktionäre der Regierung und des Luftwaffengeheimdiensts, unter anderem dessen früheren Leiter Jamil Hassan. Sie ergänzt eine Anzeige des ECCHR von 2017, die dazu beitrug, dass der Bundesgerichtshof einen Haftbefehl gegen Hassan erließ. Die Zeugen, Frauen und Männer, waren zwischen April 2011 und Oktober 2013 in vier Abteilungen des Luftwaffengeheimdiensts inhaftiert. Sie überlebten sexualisierte Gewalt oder wurden Zeugen von unter anderem Vergewaltigung, Elektroschocks im Genitalbereich, erzwungener Nacktheit und erzwungener Abtreibung.

„Ich will, dass die internationale Gemeinschaft und Gerichte weltweit verstehen, was wir durchgemacht haben, nur weil wir Frauen sind. Wir wurden gefoltert und haben alle möglichen Formen verbaler und körperlicher Gewalt erlebt“, sagte eine Zeugin. „Ich habe mich dieser Strafanzeige angeschlossen, weil ich auf die Unabhängigkeit der deutschen Justiz vertraue.“

Das Oberlandesgericht Koblenz führt seit April 2020 den weltweit ersten Prozess wegen Staatsfolter in Syrien und auch der Haftbefehl gegen Hassan ist ein wichtiges Signal für die Betroffenen. „Aber wenn es um geschlechtsbezogene, und insbesondere sexualisierte Gewalt geht, hat Deutschland die Straftaten bisher nicht als das eingestuft, was sie sind: Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, erklärte ECCHR-Mitarbeiterin Alexandra Lily Kather im Namen der drei beteiligten Organisationen.

Zentrale Forderung der Strafanzeige ist, dass die Anschuldigungen im Haftbefehl gegen Hassan auch sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit laut Paragraf 7 (1) Nr. 6 des Völkerstrafgesetzbuchs einschließen sollen. Außerdem soll die deutsche Justiz gegen die anderen acht Tatverdächtigen ermitteln und Haftbefehle erlassen.

Die Strafanzeige legt dar, dass sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewaltverbrechen in den Haftanstalten der Geheimdienste keineswegs Einzelfälle sind. Die Assad-Regierung setzt diese Art der Gewalt gezielt und systematisch wegen des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung der Menschen ein. „Die Folgen – körperlich, psychisch, sozial und wirtschaftlich – schwächen die ganze syrische Gesellschaft. Sexualisierte Gewalt zieht verschiedene Formen von Diskriminierung nach sich. Nach der Haft, werden viele Frauen von ihren Familien und der Gemeinschaft ausgegrenzt“, so Joumana Seif, Research Fellow beim ECCHR.

Die Einreichung ist Teil der Syrien-Arbeit des ECCHR mit bisher sieben Anzeigen in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen. Sie steht zudem in einer Reihe rechtlicher Schritte gegen sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt in Chile, Kolumbien, der DR Kongo, Sri Lanka, den Philippinen und Tschetschenien.

Kontakt:

ECCHR, Anabel Bermejo, + 49 30 6981 9797 / + 49 172 587 0087 / bermejo@ecchr.eu

Syrian Women’s Network, Karima al-Saed, +905397412092 / media.s.w.n@gmail.com

Urnammu, Sema Nasser, +44 757 6700 067 / media@urnammu.org

 

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