"Caesar"-Fotos belegen systematische Folter in Syrien

Gruppe um Ex-Mitarbeiter der syrischen Militärpolizei übergibt Generalbundesanwalt wichtige Belege

Syrien – Folter – Caesar

Tausende Fotos von Leichen aus Haftanstalten der syrischen Regierung, alle in hoher Auflösung, viele inklusive Metadaten – das sind wichtige Belege für die Ermittlungen zu den Menschenrechtsverbrechen unter Syriens Präsident Baschar al-Assad.

Die  sogenannten Caesar-Fotos und die dazugehörigen Daten sowie Zeug*innenaussagen von syrischen Folterüberlebenden haben dazu beigetragen, dass der Bundesgerichshof  (BGH) im Juni 2018 einen international vollstreckbaren Haftbefehl gegen Jamil Hassan ausstellte. Hassan war bis Juli 2019 Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes und somit verantwortlich für Folter in tausenden Fällen.

Fall

Im September 2017 hat die Caesar Files Group gemeinsam mit dem ECCHR beim Generalbundesanwalt (GBA) in Karlsruhe gegen Jamil Hassan und weitere hochrangige Funktionäre der syrischen Geheimdienste und der Militärpolizei eine Strafanzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen eingereicht.

Bei dieser Gelegenheit übergab ein Vertreter der Gruppe dem GBA einen Datensatz mit Bilddateien in hoher Auflösung und inklusive der Metadaten. Die Metadaten erleichtern die Verifizierung der Bilder und erhöhen gleichzeitig ihren Aussagegehalt. Damit steigern sie den Beweiswert der Aufnahmen und ermöglichen weitere Ermittlungsmaßnahmen. Deutschland spielt im Kampf gegen die Straflosigkeit in Syrien eine Schlüsselrolle, denn es ist eines der wenigen Länder, in denen das Weltrechtsprinzip gilt.

Kontext

Die Bilder, die dem GBA vorliegen, wurden zwischen Mai 2011 und August 2013 in Syrien aufgenommen, von der Caesar Files Group gesichert und außer Landes gebracht. Sie zeigen Leichen von Menschen, die in Haftanstalten der syrischen Regierung gefoltert wurden und gestorben sind.

Die Metadaten und die gemeinsame Strafanzeige des ECCHR und der Caesar Files Group liefern Hinweise auf Orte, Institutionen, Foltermethoden und Todesursachen. Neben Jamil Hassan richtet sich die Anzeige gegen die Leiter des Nationalen Sicherheitsbüros, des Militärgeheimdienstes, des Allgemeinen Geheimdienstdirektorats und der Militärpolizei in Syrien.

Zitate

Grundlagen

Dieses Q&A informiert über die rechtlichen Grundlagen der Syrien-Strafanzeige.

In Syrien herrscht weiterhin absolute Straflosigkeit und auch in absehbarer Zeit ist dort an eine Strafverfolgung von Täter*innen aus den Reihen des Assad-Regimes nicht zu denken.

Die Internationale Strafjustiz bietet seit 2002 durch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) grundsätzlich die Möglichkeit, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vor eben dieses Gericht in Den Haag zu bringen. Doch derzeit gibt es kaum Chancen für die Verfolgung der Verbrechen in Syrien durch den IStGH. Denn der Gerichtshof kann nicht tätig werden, zum einem ist Syrien kein Vertragsstaat, zum anderen blockiert Russland eine Verweisung durch den UN-Sicherheitsrat an den IStGH.

Immerhin hat der UN-Menschenrechtsrat eine unabhängige Untersuchungskommission zu Syrien eingerichtet: Die Ermittler*innen sammeln seit mehr als fünf Jahren Beweise gegen alle Kriegsparteien. Sie arbeiten in den Nachbarstaaten Libanon, Jordanien, Irak und der Türkei. Die Informationen der UN-Kommission sind unerlässlich für eine zukünftige juristische Aufarbeitung.

Im Dezember 2016 initiierte die UN-Generalversammlung zusätzlich den „International, Impartial and Independent Mechanism to Assist in the Investigation and Prosecution of those Responsible for the Most Serious Crimes under the International Law Committed in the Syrian Arab Republic since March 2011“, kurz IIIM.

Schwere Verbrechen berühren die internationale Gemeinschaft als Ganzes und dürfen nicht unbestraft bleiben. Deshalb ist es Aufgabe auch der nationalen Gerichtsbarkeiten in Drittstaaten wie Deutschland, die schweren Verbrechen in Syrien zu ermitteln und zur Anklage zu bringen.

In Deutschland ermöglicht das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), das 2002 in Kraft trat, eine Strafverfolgung der Verbrechen in Syrien. Mit dem VStGB wurde das nationale deutsche Strafrecht an die Regelungen des Völkerstrafrechts, insbesondere an das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, angepasst.
Das im VStGB verankerte Weltrechtsprinzip schafft die Voraussetzung der Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen durch die deutsche Strafjustiz. Laut VStGB darf der GBA auch dann ermitteln, wenn diese Verbrechen im Ausland begangen wurden. Das heiß es besteht Strafbarkeit nach deutschem Recht unabhängig davon, wo, von wem und gegen wen sie begangen werden.

Seit 2011 führt der Generalbundesanwalt mehrere personenbezogene Ermittlungen zu in Syrien begangenen Straftaten sowie Strukturermittlungsverfahren, in denen Verbrechenskomplexe in Syrien untersucht werden. Auch die Reihe von Strafanzeigen zu Folter in Syrien, die das ECCHR zusammen mit fast 100 syrischen Folterüberlebenden, Angehörigen, Aktivist*innen und Anwält*innen seit 2017 in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen einreichte, trugen zu den Ermittlungen bei. Diese Ermittlungen waren Grundlage für das sogenannte Al-Khatib-Verfahren, den ersten Prozess weltweit zu Staatsfolter in Syrien.

Im deutschen Rechtssystem zeigt man mit einer Strafanzeige, technisch gesehen, einen Sachverhalt (eine mutmaßliche Straftat) an. Die Verdächtigen dafür zu ermitteln ist dann Aufgabe der Ermittlungsbehörden.

Die Strafanzeigen, die das ECCHR zusammen mit den Anzeigeerstatter*innen aus Syrien eingereicht hat, betreffen das Verbrechen der systematischen Folter in Haftanstalten der syrischen Geheimdienste und der Militärpolizei. Systematische Folter ist nach dem Völkerstrafgesetzbuch als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu qualifizieren.

Die Anzeigen richten sich gegen zahlreiche namentlich bekannte und weitere unbekannte Mitarbeiter*innen des syrischen Militärgeheimdienstes und der syrischen Regierung, die aller Vermutung nach für die angezeigten Verbrechen die Verantwortung tragen.

Im Fall einer Strafverfolgung in einem Drittstaat ist eine Strafanzeige oft der erste Schritt auf dem Weg zu Ermittlungen. Eine Anzeige soll den GBA auf eine bestimmte Situation oder Tat aufmerksam machen, die aus der Sicht der Anzeigeerstatter*innen einen Straftatbestand erfüllt, sprich ein Verbrechen sein könnte.

Der GBA ermittelt bereits in verschiedenen Strukturverfahren zu Syrien, sammelt Beweise und sichert sie. In personenbezogenen Verfahren geht es jedoch zumeist um Täter*innen niederen Ranges, da diese öfter in Europa angetroffen werden und vor Gericht gestellt werden können. Mit den Strafanzeigen des ECCHR soll der GBA gezielt gegen Personen, die Führungspositionen bei den syrischen Geheimdiensten und der Militärpolizei bekleiden oder bekleideten, ermitteln und beim Bundesgerichtshof internationale Haftbefehle gegen sie erwirken.

Im Mai 2018 war es tatsächlich so weit: Der Bundesgerichtshof (BGH) erließ einen internationalen Haftbefehl gegen Jamil Hassan, der bis Juli 2019 Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdiensts war.

Haftbefehle gegen die Verantwortlichen für die systematische Unterdrückung und Folter unter Assad sind ein wichtiges Signal für die Überlebenden, für die Angehörigen der Betroffenen und auch für diejenigen, die immer noch in den Gefängnissen der Assad-Regierung inhaftiert sind.

Die Tatsache, dass der GBA ein personenbezogenes Ermittlungsverfahren gegen einen verantwortlichen syrischen Amtsträger wegen Völkerrechtverbrechen in Syrien einleitete, und der Bundesgerichtshof (BGH) daraufhin einen internationalen Haftbefehl erließ, war ein erster konkreter Schritt, um der Straflosigkeit in Syrien ein Ende zu setzen.

Wie Jamil Hassan halten sich die meisten hochrangigen Verantwortlichen für Folter und andere Menschenrechtsverbrechen unter Assad zwar in Syrien auf, doch wenn ein internationaler Haftbefehl vorliegt und sie das Land verlassen, können sie verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert werden. Die deutsche Justiz ist dann in der Lage, Anklage zu erheben und ein Gerichtsverfahren zu eröffnen. Entsprechend hatte der Bundesgerichtshof im April 2019 einen Haftbefehl gegen den ehemaligen IS-Anhänger Taha al-J. erlassen. Dieser wurde im Mai 2019 in Griechenland festgenommen und aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Bundesanwaltschaft im Oktober 2019 an die Bundesrepublik Deutschland überstellt und hier vor Gericht gebracht.

Dass internationale Haftbefehle gegen hochrangige Politiker*innen oder Militärs durchaus möglich und wirksam sind, lehrt der Fall des chilenischen Diktators Augusto Pinochet. 1998 erließ der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón einen internationalen Haftbefehl wegen Völkermordes gegen Pinochet. Bei einem Aufenthalt in London verhaftete Scotland Yard den ehemaligen Diktator und der damalige britische Innenminister Jack Straw stimmte der Auslieferung an Spanien zu. Zwar erreichte die chilenische Regierung eine Freilassung aus humanitären Gründen, doch letzten Endes eröffnete die Verhaftung Pinochets die juristische Aufarbeitung der Diktaturverbrechen in Chile.

Als Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Arabischen Republik Syrien steht Baschar al-Assad an der Spitze der Pyramide des militärischen Berichts- und Befehlswesens. Er hat die Oberbefehlsmacht über die Handlungen aller Sicherheits- und Militärinstitutionen, d.h. auch der vier syrischen Geheimdienste, des Verteidigungsministeriums und des Nationalen Sicherheitsbüros. Damit trägt Präsident Assad unzweifelhaft die Verantwortung für deren Straftaten.

Als amtierendes Staatsoberhaupt ist Assad vor Strafverfolgung durch nationale Gerichte in Drittstaaten geschützt. In Deutschland steht ihm nach Paragraf 20 Abs. 2 GVG und Art. 25 GG die völkerrechtliche Immunität ratione personae zu. Das bedeutet, dass derzeit kein Strafverfahren gegen ihn geführt werden kann. Dennoch sammelt der GBA im Rahmen des Strukturverfahrens auch Beweise für mögliche Straftaten Assads. Diese Erkenntnisse können genutzt werden, wenn er nicht mehr Präsident ist, oder wenn eines Tages der IStGH oder ein Sondertribunal zum Syrien-Konflikt Anklage gegen Assad erheben.

Primäres Ziel der Strafanzeigen sind weitere personenbezogene Ermittlungsverfahren, in denen die beschriebenen Verbrechen juristisch in Teilhabe der Überlebenden wie der syrischen Gemeinschaft aufgearbeitet werden. Das Al-Khatib-Verfahren stellt als weltweit erstes Verfahren wegen syrischen Staatsfolter einen Meilenstein in der Aufarbeitung der Verbrechen dar.

Das ECCHR setzt darauf, dass den Ermittlungen zu den Strafanzeigen weitere Anklagen gegen hochrangige Täter*innen und weitere (internationale) Haftbefehle folgen. Dies soll nicht zuletzt auch das öffentliche Bewusstsein über die Menschenrechtsverbrechen in Syrien stärken und den Druck auf die internationale Strafjustiz erhöhen.

Unsere Strafanzeigen beruhen auf den Aussagen zahlreicher Frauen und Männer, die in verschiedenen „Abteilungen“ (Haftanstalten) der syrischen Geheimdienste und der Militärpolizei in Damaskus inhaftiert waren. Hinzu kommen die Fotos und Metadaten der Caesar Files Group mit ihrem einzigartigen Wert für mögliche Ermittlungen.

Neben den Aussagen der Betroffenen dienen öffentlich zugängliche Dokumente und Berichte als Quellen für diese Strafanzeige. Viele der Verbrechen in Syrien, darunter auch Folter, sind durch internationale und syrische Menschenrechtsorganisationen sorgfältig und über Jahre dokumentiert worden. In ihrer Gesamtheit beweisen die Aussagen der Überlebenden und Zeug*innen, offizielle Dokumente sowie Bilder von Opfern und Tatorten, dass sich das syrische Regime systematischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat. Entsprechend hat dies auch das Oberlandesgericht Koblenz im Al-Khatib-Verfahren gesehen. Das Urteil gegen Eyad A. vom Februar 2021 ist inzwischen rechtskräftig.

Um die systematischen und flächendeckenden Menschenrechtsverbrechen in Syrien aufzuarbeiten, müssen weitere rechtliche Interventionen folgen – gegen die Assad-Regierung, gegen transnationale Unternehmen, gegen die Staaten, die in dem Konflikt militärisch intervenieren, und gegen bewaffnete Gruppen wie den IS.

Ohne Gerechtigkeit für die Betroffenen der Verbrechen in Syrien wird es auch keine politische Lösung für den Konflikt geben. Die juristische Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen ist für jeden Einzelnen unerlässlich. Sie hat aber auch eine nachhaltige Bedeutung für den Aufbau einer rechtstaatlichen und demokratischen Gesellschaft nach einem Ende des Kriegs in Syrien.

Themen für mögliche weitere rechtliche Schritte sind die Lieferung konventioneller Waffen, anderer Rüstungsgüter oder Überwachungstechnologie an die Konfliktparteien sowie die gezielte sexualisierte Gewalt gegen Frauen und der Einsatz von Chemiewaffen in Syrien.

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  • Caesar Files Group

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Definition

Generalbundesanwaltschaft

Die Generalbundesanwaltschaft ist Deutschlands oberste Strafverfolgungsbehörde.

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Folter

Die Rechtslage ist eindeutig: Folter ist unter allen Umständen verboten. Wer Folter anwendet, anordnet oder billigt, muss sich dafür vor Gericht verantworten. So sieht es die UN-Antifolterkonvention vor. 146 Staaten haben die Konvention ratifiziert.

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