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Folter unter der Regierung Assad

Erste Strafanzeige zu Folter durch syrische Geheimdienste

Syrien – Folter – Militärgeheimdienst

Die Regierung von Baschar al-Assad lässt in Syrien systematisch und flächendeckend foltern – nicht nur Oppositionelle und Aktivist*innen und nicht erst seit den Protesten 2011. Die internationale Strafjustiz hat derzeit wenig Möglichkeiten, die Verbrechen in Syrien strafrechtlich zu verfolgen. Doch die deutsche Justiz kann nach dem Weltrechtsprinzip aktiv werden.

El caso

Sieben Folterüberlebende aus Syrien und die Rechtsanwälte Anwar al-Bunni (Syrian Center for Legal Studies and Research) und Mazen Darwish (Syrian Center for Media and Freedom of Speech) haben deshalb gemeinsam mit dem ECCHR im März 2017 beim Generalbundesanwalt (GBA) in Karlsruhe eine Strafanzeige gegen hochrangige Mitglieder des syrischen Geheimdienstsapparats eingereicht.

Der GBA reagierte unmittelbar auf die Strafanzeige. Anfang Mai 2017 ließ er die Anzeigenenerstatter*innen als Zeug*innen vernehmen. Weitere Vernehmungen sollen folgen. Für die Folterüberlebenden sind das sehr wichtige erste Schritte auf dem Weg zu Gerechtigkeit.

El marco

Das ECCHR untersucht seit 2012 Verbrechen aller Konfliktparteien in Syrien. Die Anzeige war die erste in einer Reihe von Syrien-Anzeigen des ECCHR in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen und richtet sich gegen sechs namentlich bekannte und weitere hochrangige Funktionäre der syrischen Militärgeheimdienste.

Die Anzeigeerstatter*innen wurden in Gefängnissen dieser Geheimdienste selbst gefoltert oder Zeug*innen von Folter. Ziel ist, dass der Generalbundesanwalt in diesen konkreten Fällen – die exemplarisch für das Foltersystem des Assad-Regimes sind – ermittelt und internationale Haftbefehle gegen die Verantwortlichen erwirkt.

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Gemeinsam mit sieben Frauen und Männern aus Syrien sowie den syrischen Rechtsanwälten Anwar al-Bunni und Mazen Darwish hat das ECCHR eine Strafanzeige gegen sechs namentliche bekannte und gegen weitere hochrangige Tatverdächtige des syrischen Geheimdienstapparats eingereicht.

Zeugin 5 (im folgenden Z5 genannt) wurde Ende Juli 2014 in der Nähe von Damaskus festgenommen. Der Grund: Die heute 29-Jährige hatte als Aktivistin an friedlichen Demonstrationen gegen das Assad-Regime teilgenommen. Sie wurde in das sogenannte Sicherheitsviertel "Kafr Sousa" und dort in die Abteilung 227 gebracht. Danach wurde sie in die Abteilung 235 verlegt, wo sie ebenfalls einen Monat inhaftiert wurde. Z5 wurde während der Haft nicht nur selbst misshandelt, sondern auch Zeugin der Folter anderer Inhaftierter. Seit 2015 lebt Z5 in Deutschland, ihr Ehemann lebt noch im Norden Syriens. Ihre Mutter ist seit Anfang November 2014, ihrem letzten Besuch im Gefängnis, "verschwunden". Nach der Vernehmung im Mai 2017 sagte sie: "Ich hatte Gelegenheit, nochmal detailliert zu schildern, was ich am eigenen Leibe erlebt und was ich gesehen habe. Ich fühle ich mich erleichtert und bin überzeugt, dass meine Aussagen sich auszahlen werden".

Zeuge 1 (im folgenden Z1 genannt) ist 57 Jahre alt, er ist Christ und war 25 Jahre lang als Rechtsanwalt in Damaskus tätig. Mit Beginn der Revolution 2011 geriet er ins Visier von Assads General Intelligence Directorate (Abteilung 255). Der Grund: Er hatte in einer Zeitung und auf Facebook einen Assad-kritischen Artikel veröffentlicht. Außerdem hatte Z1 in seinem Heimatdorf nahe Damaskus Menschen aufgenommen, die vor der syrischen Armee auf der Flucht waren und er beteiligte sich an der Verteilung von UN-Hilfsgütern. Der Geheimdienst warf ihm vor, die Hilfsgüter an "Terroristen" zu verteilen. Im April 2015 wollten Z1 und seine Ehefrau ihren jüngsten Sohn (er war auf dem Weg zum Studium nach Deutschland) nach Beirut begleiten, doch an der Grenze verhaftete ein Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes Z1 und überstellte ihn in die Abteilung 235 (bekannt als "Abteilung des Todes") nach Damaskus. Dort verbrachte er zwei Wochen in Haft des Militärgeheimdienstes. In dieser Zeit wurde Z1 schwer gefoltert, unter anderem mit Elektroschocks. Seit Mai 2015 leben Z1 und seine Familie in Deutschland. Vor der Vernehmung als Zeuge durch den GBA sagte Z1: "Als Rechtsanwalt weiß ich, dass Verfahren lange dauern können. Im Fall Syrien muss die Justiz aber schnell handeln. Jeden Tag, an dem nichts passiert, sterben weitere Unschuldige."

Zeuge 8 (im folgenden Z8 genannt) ist 35 Jahre alt und stammt aus einer Stadt im Südwesten Syriens. Z8 ist von Beruf Elektroingenieur und gehört der religiösen Minderheit der Drusen an. Er wurde zwei Mal inhaftiert: Im November 2012 verhaftete der Militärgeheimdienst Z8, als er mit anderen Aktivist*innen Flugblätter druckte, die das brutale Vorgehen Assads gegen die Bevölkerung kritisierten. Im Juni 2013 wurde er erneut festgenommen und kam erst nach zwei Monaten Haft in der Abteilung 235 in Damaskus wieder frei. Z8 wurde unter Folter gezwungen, Information über andere Aktivist*innen frei zu geben. Seit Mitte 2015 lebt Z8 in Deutschland, ein Teil seiner Familie ist noch in Syrien. Z8 äußerte sich nach den Vernehmungen vorsichtig optimistisch: "Ich hoffe, dass das Verfahren schnell weitergeht und dass es zur einer Anklage kommt". Persönlich sei ihm am Wichtigsten "die Häftlinge zu retten, die immer noch in der Hölle der Geheimdienstgefängnisse sind".

Zeuge 3 (im folgenden Z3 genannt) lebte in Damaskus, wo er Demonstrationen gegen Assad mitorganisierte und auch daran teilnahm. Wegen seiner politischen Aktivitäten wurde er zwei Mal inhaftiert: Im August 2011 war Z3 für zwei Wochen in Damaskus inhaftiert, im Dezember 2011 wurde er in die Abteilung 215 (ebenfalls in Damaskus) gebracht. Seine Gefangenschaft in verschiedenen Abteilungen des Militärgeheimdienstes, aber hauptsächlich in der Abteilung 215, hielt insgesamt für 28 Tage an. Währenddessen wurde er mehrfach äußerst brutal geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert. Außerdem musste Z3 in Haft mit ansehen, wie andere Häftlinge schwer misshandelt wurden. Seit September 2015 lebt Z3 mit seiner Ehefrau, die ebenfalls Anzeigeerstatterin (Z7) ist, in Deutschland.

Zeugin 7 (im folgenden Z7 genannt) war wie ihr Ehemann Z3 seit dem Beginn der Revolution in Syrien politisch aktiv, sie ging regelmäßig zu Demonstrationen und unterstützte Binnenflüchtlinge. Im Dezember 2011 wurde Z7 gemeinsam mit anderen Aktivist*innen in Damaskus verhaftet und in Abteilung 215 verbracht, wo sie 33 Tage inhaftiert war. Danach wurde sie für einen weiteren Monat in das Adra-Frauengefängnis verlegt. Z7 wurde während der Haftzeit mehrfach von Wärtern sexuell erniedrigt, was sie als gezielte psychische Folter beschreibt. Seit September 2015 lebt Z7 mit ihrem Ehemann in Deutschland.

Mazen Darwish (43) ist ein syrischer Rechtsanwalt, Journalist und Präsident des Syrian Center for Media and Freedom of Speech (SCM), das er 2004 in Damaskus gegründet hat. Die Organisation dokumentierte zahlreiche Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Arbeitsbedingungen von Journalist*innen und unterstützte Medienschaffende bei Streitigkeiten mit den Behörden. Eine offizielle Registrierung der Organisation wurde von der Regierung untersagt, dennoch arbeitete sie weiter im Untergrund.

Aufgrund seiner Arbeit wurde Darwish mehrfach verhaftet, unter anderem im April 2008, nachdem er und sein Kolleg*innen über Aufstände in Adra, einer Stadt in der Nähe von Damaskus berichtet haben. Darwish wurde wegen "Diffamierung und Verunglimpfung der staatlichen Autorität" zu zehn Tagen Haft verurteilt. Nach Beginn der friedlichen Massenproteste gegen Präsident Baschar al-Assad im Frühjahr 2011 dokumentierte das SCM unter anderem die Namen von verhafteten, "verschwundenen" und getöteten Aktivist*innen.

2012 ehrte Reporter ohne Grenzen Darwish für seinen Einsatz als Journalist des Jahres. Im Februar 2012 wurden bei einer Geheimdienstrazzia in den Räumen des SCM in Damaskus vierzehn Menschen verhaftet, unter ihnen auch Darwish und seine Frau: "Ich wurde nach meiner Verhaftung in verschiedene geheime Militärgefängnisse gebracht, immer wieder wurde ich von einem in das nächste Foltergefängnis gebracht", sagte Darwish in einem Interview mit DIE ZEIT. Die Zustände in den Folterzentren beschreibt er als "katastrophal", neben der mangelnden Hygiene und dem Platzmangel beschreibt er die Foltermethoden: Elektroschocks, Aufhängen an den Händen, Schläge und Schlafentzug. Für die Freilassung der SCM-Mitarbeiter*innen setzten sich mehr als 70 Menschenrechtsorganisationen jahrelang ein. Auch die UN-Vollversammlung und das Europaparlament forderten ihre Freilassung.

Im August 2015, nach dreieinhalb Jahren Haft, wurde Darwish unter der Bedingung freigelassen, ein Monat später vor dem Anti-Terror-Gericht in Damaskus erneut zu erscheinen. Am 31. August entschied das Gericht, dass die Fälle von Darwish und seiner Mitangeklagten unter eine im Jahr 2014 verkündete Amnestie fielen. Außerdem wies der Richter den zentralen Vorwurf der Unterstützung des Terrorismus ausdrücklich ab. Darwish, der die Methoden und Zustände in syrischen Gefängnissen am eigenen Leib erlebt hatte, sagte gegenüber dem ECCHR: "Folter war kein Einzelfall in den Gefängnissen Assads, vielmehr wurde sie systematisch eingesetzt".

Als ein wichtiger Zeuge der Geschehnisse in Syrien engagiert sich Darwish weiterhin für die Gerechtigkeit in seinem Land. Er ist einer der acht Anzeigeerstatter*innen in der Strafanzeige gegen hochrangige Mitarbeiter des syrischen Geheimdiensts, die das ECCHR gemeinsamem mit Folterüberlebenden und dem Rechtsanwalt Anwar al-Bunni aus Syrien am 1. März 2017 beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingereicht hat.

Anwar al-Bunni ist ein bekannter syrischer Menschenrechtsanwalt. Er ist einer der Gründer der Human Rights Association Syria (HRAS) und des Zentrums für die Verteidigung von Journalisten und politischen Gefangenen, dem Syrian Center for Legal Studies and Research (SCLSR).

Als Rechtsanwalt verteidigte Al-Bunni viele Menschenrechtsakvist*innen und Personen, die infolge der Proteste in den Jahren 2000/01 in Damaskus wegen ihrer politischen Position verfolgt und verhaftet wurden. Aufgrund seiner Arbeit wurde Al-Bunni ebenfalls Ziel repressiver Maßnahmen. Er selbst und auch Mitglieder seiner Familie wurden systematisch bedroht, verfolgt und von den Behörden diffamiert. Die Anwaltskammer in Damaskus schloss Al-Bunni mehrmals aus.

Im Mai 2006 wurden Al-Bunni und eine Reihe anderer Menschenrechtsaktivist*innen verhaftet, nachdem sie die sogenannte Beirut-Damaskus-Erklärung unterzeichnet hatten. In der Erklärung riefen 274 libanesische und syrische Intellektuelle zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf. In der Untersuchungshaft wurde er mehrfach, unter anderem von den Gefängniswärtern, gefoltert. Nach einem Verfahren, das nicht den internationalen Standards entsprach wurde, Al-Bunni im April 2007 wegen "Verbreitung staatsgefährdender Falschinformationen" zu fünf Jahren Haft verurteilt. Damals war er bereits fast ein Jahr in dem berüchtigten Adra-Gefängnis bei Damaskus.

"Es ist ein Wunder, dass ich noch lebe", sagte Al-Bunni dem ECCHR. Er sei nicht mit den anderen politischen Gefangenen, sondern mit den Nichtpolitischen eingesperrt gewesen. Regimetreue Häftlinge hätten eines Tages versucht, ihn von einem Balkon aus dem zweiten Stock zu stürzen. Er habe diesen Angriff nur durch die Hilfe anderer Mitgefangener überlebt.

Im Mai 2011 wurde Al-Bunni entlassen. Heute lebt er in Berlin. 2008 erhielt er den Front Line Defenders Award für Menschenrechtsverteidiger in Gefahr, im selben Jahr zeichnete ihn der Deutsche Richterbund mit dem Menschenrechtspreis aus.

Anwar al-Bunni ist einer der acht Anzeigeerstatter*innen in der Strafanzeige gegen hochrangige Mitarbeiter des syrischen Geheimdiensts, die das ECCHR gemeinsamem mit Folterüberlebenden und dem Rechtsanwalt Mazen Darwish aus Syrien am 1. März 2017 beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingereicht hat. Er hofft auf ein klares Signal aus Karlsruhe: "Das Verfahren in Deutschland zeigt den Verantwortlichen in Syrien, dass sie nicht ungestraft davon kommen werden. Für die Opfer ist es ein deutliches Signal der Hoffnung auf Gerechtigkeit."

Bases

Dieses Q&A informiert über die rechtlichen Grundlagen der Syrien-Strafanzeige.

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