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Das Militärgefängnis Saydnaya – Ort jahrzehntelanger Folter, Erniedrigung und Hinrichtungen

Deutsche Justiz muss Haftbefehle gegen Assads Führungsriege erlassen

Syrien – Folter – Saydnaya

Saydnaya, al-Mezzeh, die Aleppo-Abteilung – diese Gefängnisnamen sind für zehntausende Menschen in Syrien schon seit Jahrzehnten Synonyme für systematische Erniedrigung, unvorstellbare Folter und Massenhinrichtungen. Verantwortlich für die Verbrechen sind ranghohe Funktionäre der Regierung von Präsident Baschar al-Assad.

El caso

Im November 2017 hat das ECCHR gemeinsam mit vier Syrern sowie dem Rechtsanwalt Anwar al-Bunni und dem Juristen Mazen Darwish beim Generalbundesanwalt (GBA) in Karlsruhe eine Strafanzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Syrien eingereicht. Die angezeigten Taten – darunter vorsätzliche Tötung, Verfolgung, Folter und Bestrafung ohne ordentliches Gerichtsverfahren – wurden an Gefangenen des Militärgefängnisses Saydnaya im Militärgefängnis selbst, im Militärkrankenhaus Tishreen sowie im militärischen Feldgericht zwischen Dezember 2011 und Juni 2014 begangen.

Die Strafanzeige richtet sich gegen sieben hochrangige Angehörige des syrischen Militärs, darunter Verteidigungsminister Generalleutnant Fahd Jasim al-Furayj und Militärstaatsanwalt Brigadegeneral Mohammed Hassan Kenjo sowie gegen die Leiter der Militärpolizei und des Militärgefängnisses.

El marco

Die beiden Anzeigen ergänzen die Strafanzeigen und Beweismittel von Folterüberlebenden aus Syrien im März sowie der Gruppe um "Caesar", Ex-Mitarbeiter der syrischen Militärpolizei, im September 2017. Nach Ansicht des ECCHR, Anwar al-Bunni (Syrian Center for Legal Studies and Research, SCLSR) und Mazen Darwish (Syrian Center for Media and Freedom of Expression, SCM) kann Deutschland einen wichtigen Beitrag leisten, um der Straflosigkeit in Syrien ein Ende zu setzen. Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe nutzt das Weltrechtsprinzip und ermittelt bereits seit 2011 zu Folter unter Syriens Präsident Baschar al-Assad.

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Die Strafanzeige wurde gemeinsam mit sieben Frauen und Männern aus Syrien sowie den syrischen Rechtsanwälten Anwar al-Bunni Syrian Center for Legal Researches & Studies und Mazen Darwish Syrian Center for Media and Freedom of Speech (SCM)  beim Generalbundesanwalt (GBA) eingereicht.

Zeuge 16 (im Folgenden Z 16 genannt) ist Kurde und lebte in Qamischli im Norden Syriens. Er war schon 2011, also vor Ausbruch der Proteste gegen die Regierung Assad, politisch aktiv. Ab 2011 engagierte er sich in der Organisation der Demonstrationen in seiner Region. Im September wurde Z 16 vom Luftwaffengeheimdienst festgenommen. Er verbrachte zunächst einige Wochen in unterschiedlichen Haftanstalten dieses Geheimdiensts, wo er mit verschiedenen Methoden gefoltert wurde. Im Februar 2012 wurde Z 16 ins Militärgefängnis Saydnaya gebracht, wo er bis Mai 2013 in Haft blieb. Dem ECCHR berichtete Z 16 von unmenschlichen Haftbedingungen im Militärgefängnis sowie von systematischen Misshandlungen und Folter. Der Tagesablauf in Saydnaya war strengstens organisiert: Zwischen 3 und 5 Uhr morgens weckten die Wächter die Gefangenen, die sofort ihre Decken zusammenrollen mussten. Dann bekamen sie die einzige Mahlzeit des Tages: wenig und meist verdorbenes Brot, ein Ei, etwas Reis oder Kartoffeln. Das Wasser mussten die Gefangenen aus einem tröpfelnden Wasserhahn sammeln. Ihnen war nur erlaubt den hinteren Bereich der Zelle zu nutzen. Dort mussten sie tagsüber in einer Reihe und mit dem Gesicht zur Wand stehen. Abends gaben die Wächter ein Signal zum Schlafen und die Gefangenen mussten ihre Decken sofort wieder ausrollen. Nach 16 Monaten Haft wurde Z 16 im Mai 2013 aus Saydnaya entlassen. Es gelang ihm Syrien zu verlassen, heute lebt er mit seiner Familie in Deutschland.

Zeuge 19 (im Folgenden Z 19 genannt) diente bei der syrischen Marine. Im November 2011 nahm ihn der Militärgeheimdienst fest, weil er sich an den brutalen Repressalien gegen unbewaffnete Demonstrant_innen nicht beteiligen wollte. Er verbrachte zunächst einen Monat in Haftanstalten (Abteilungen) des Militärgeheimdiensts in Damaskus. Ab Dezember 2011 war er zweieinhalb Jahre in Saydnaya inhaftiert. Gleich nach der Ankunft im Saydnaya-Gefängnis mussten Z 19 und die anderen neuen Gefangenen eine "Welcome Party" genannte Prozedur über sich ergehen lassen, bei der die Wächter die Inhaftierten willkürlich und schwer schlugen. Seine kleine Zelle teilte Z 19 mit mehreren weiteren Gefangenen. Als Toilette diente ein Loch im Boden, als einziges Licht schien eine Lampe im Korridor durch ein Gitter in der Eingangstür. Die Gefangenen trugen ausschließlich Unterhosen und froren, zumal die einzige Decke, die es gab, voller Läuse und anderem Ungeziefer war. Jede Interaktion mit den Gefängnismitarbeiter_innen brachte eine besondere Tortur mit sich, sei es bei der Essensausgabe oder beim Besuch durch Familienangehörige. Bei jeder Gelegenheit schlugen die Wächter zu und erniedrigten die Gefangenen. "Es herrschte Angst und Hilflosigkeit. Viele wünschten sich, zu sterben", sagt Z 19 dem ECCHR. Z 19 wurde im Juni 2014 zusammen mit weiteren 90 Personen aus Saydnaya entlassen. Er konnte Syrien verlassen und lebt in Deutschland, seine Familie musste er zurücklassen.

Zeuge 29 (im Folgenden Z 29 genannt) diente in einem hohen Rang der Militärmarine in Syrien. Im November 2011 wurde er zusammen mit Z19 festgenommen. Auch er verbrachte mehrere Monate in verschiedenen Abteilungen des Militärgeheimdienstes in Damaskus, wo er verhört und misshandelt wurde. Ende Dezember wurde er in das Militärgefängnis Saydnaya gebracht. Auch Z 29 berichtet von strengen Verhaltensregeln: Im Gefängnis galt ein absolutes Stillegebot, die Gefangenen durften weder reden, noch flüstern, noch beten. Bei den Kontrollgängen der Wächter galt absolutes Bewegungsverbot. Schrie ein Gefangener unter Folter, wurde er dafür bestraft. Dabei setzten die Wächter Kabel, Elektroshocks, Gürtel, Rohre, Stöcke und Schuhe ein. Im Juni 2014, nach zweieinhalb Jahren Haft, wurde Z 29 per Amnestie freigelassen. Danach floh er nach Deutschland, wo er seit 2015 lebt. Auch seine Frau und Tochter leben inzwischen hier.

Zeuge 26 (im Folgenden Z 26 genannt) diente vor seiner Verhaftung der syrischen Luftverteidigung. Dem Befehl, mit Gewalt gegen Teilnehmer_innen der Protestdemonstrationen gegen Assad vorzugehen, widersetzte er sich zwar nicht öffentlich, vermied aber, sich daran zu beteiligen. Im November 2011 wurde Z 26 deswegen gemeinsam mit anderen Offizieren vom Luftwaffengeheimdienst festgenommen. Er verbrachte fast drei Jahre in verschiedenen Haftanstalten des Luftwaffengeheimdienstes und wurde im März 2014 für knapp vier Monate ins Militärgefängnis Saydnaya verlegt. In Saydnaya angekommen wurde Z 26 in jenen Teil des Gefängnisses gebracht, in dem sowohl Zivilist_innen als auch Angehörige des syrischen Militärs inhaftiert wurden, die unter Verdacht stehen, mit der Opposition zu sympathisieren. Z 26 teilte sich zunächst mit mehreren Gefangenen eine Einzelhaftzelle, die 1,5 x 1,5 Meter groß war. Es gab eine Toilette und ein Waschbecken, doch durften die Inhaftierten nur mit Erlaubnis Wasser trinken. Es gab kaum zu Essen. Nach einer Woche wurde Z 26 mit anderen in eine Großraumzelle gebracht. In der Mitte stand der Zellenleiter, der ihnen die "Regeln" erklärte: reden verboten, Decken nach dem Aufstehen zusammenlegen und nur auf Befehl ausrollen, Abstand zum Eingang halten. Bestraft wurden die Gefangenen durch die Wächter auch dann, wenn sie keine Regeln gebrochen hatten. Z 26 wurde mehrmals gefoltert. Er berichtete dem ECCHR, dass es verboten war, den Tod von Mitgefangenen zu melden. Lag jemand im Sterben, galt dasselbe. Als Z 26 einmal um Hilfe bat, weil ein Inhaftierter kurz vor dem Tod war, wurden er nicht nur ignoriert – als Strafe ließen die Wächter die Leiche drei Tage lang in der Zelle liegen.

Nach seiner Entlassung im Oktober 2014 verließ Z 26 Syrien und kam nach Deutschland, wo er seit Dezember 2014 mit seiner Familie lebt.

Mazen Darwish ist ein syrischer Menschenrechtsaktivist, Journalist und Präsident des Syrian Center for Media and Freedom of Expression (SCM), das er 2004 in Damaskus gegründet hat. Die Organisation dokumentierte zahlreiche Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Arbeitsbedingungen von Journalist*innen und unterstützte Medienschaffende bei Streitigkeiten mit den Behörden. Eine offizielle Registrierung der Organisation wurde von der Regierung untersagt, dennoch arbeitete sie weiter im Untergrund.

Aufgrund seiner Arbeit wurde Darwish mehrfach verhaftet, unter anderem im April 2008, nachdem er und seine Kolleg*innen über Aufstände in Adra, einer Stadt in der Nähe von Damaskus berichtet haben. Darwish wurde wegen "Diffamierung und Verunglimpfung der staatlichen Autorität" zu zehn Tagen Haft verurteilt. Nach Beginn der friedlichen Massenproteste gegen Präsident Baschar al-Assad im Frühjahr 2011 dokumentierte das SCM unter anderem die Namen von verhafteten, "verschwundenen" und getöteten Aktivist*innen.

2012 ehrte Reporter ohne Grenzen Darwish für seinen Einsatz als Journalist des Jahres. Im Februar 2012 verhaftete der Luftwaffengeheimdienst Darwish zusammen mit seinen Kolleg*innen in den Büroräumen des SCM: "Ich wurde nach meiner Verhaftung in verschiedene geheime Militärgefängnisse gebracht, immer wieder wurde ich von einem in das nächste Foltergefängnis gebracht", sagte Darwish in einem Interview mit DIE ZEIT. Die Zustände in den Folterzentren beschreibt er als "katastrophal". Neben der mangelnden Hygiene und dem Platzmangel beschreibt er die Foltermethoden: Elektroschocks, Aufhängen an den Händen, Schläge und Schlafentzug.

Für die Freilassung der SCM-Mitarbeiter*innen setzten sich jahrelang mehr als 70 Menschenrechtsorganisationen ein. Auch die UN-Vollversammlung und das Europaparlament forderten ihre Freilassung. Im August 2015, nach dreieinhalb Jahren Haft, wurde Darwish unter der Bedingung freigelassen, einen Monat später vor dem Anti-Terror-Gericht in Damaskus erneut zu erscheinen. Am 31. August 2015 entschied das Gericht, dass die Fälle von Darwish und seiner Mitangeklagten unter eine im Jahr 2014 verkündete Amnestie fielen. Außerdem wies der Richter den zentralen Vorwurf der Unterstützung des Terrorismus ausdrücklich ab.

Darwish, der die Methoden und Zustände in syrischen Gefängnissen am eigenen Leib erlebt hatte, sagte gegenüber dem ECCHR: "Folter war kein Einzelfall in den Gefängnissen Assads, vielmehr wurde sie systematisch eingesetzt."

Als ein wichtiger Zeuge der Geschehnisse in Syrien, engagiert sich Darwish weiterhin für die Gerechtigkeit in seinem Land.

Anwar al-Bunni ist ein bekannter syrischer Menschenrechtsanwalt. Er ist einer der Gründer der Human Rights Association Syria (HRAS) und des Zentrums für die Verteidigung von Journalisten und politischen Gefangenen, dem (Syrian Center for Legal Studies and Research, SCLSR).

Als Rechtsanwalt verteidigte Al-Bunni viele Menschenrechtsakvist*innen und Personen, die infolge der Proteste in den Jahren 2000/01 in Damaskus wegen ihrer politischen Position verfolgt und verhaftet wurden. Aufgrund seiner Arbeit wurde Al-Bunni ebenfalls Ziel repressiver Maßnahmen. Er selbst und auch Mitglieder seiner Familie wurden systematisch bedroht, verfolgt und von den Behörden diffamiert. Die Anwaltskammer in Damaskus schloss Al-Bunni mehrmals aus.

Im Mai 2006 wurden Al-Bunni und eine Reihe anderer Menschenrechtsaktivist*innen verhaftet, nachdem sie die sogenannte Beirut-Damaskus-Erklärung unterzeichnet hatten. In der Erklärung riefen 274 libanesische und syrische Intellektuelle zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf.

In der Untersuchungshaft wurde er mehrfach, unter anderem von den Gefängniswärtern, gefoltert. Nach einem Verfahren, das nicht den internationalen Standards entsprach, wurde Al-Bunni im April 2007 wegen "Verbreitung staatsgefährdender Falschinformationen" zu fünf Jahren Haft verurteilt. Damals war er bereits fast ein Jahr in dem berüchtigten Adra-Gefängnis bei Damaskus. "Es ist ein Wunder, dass ich noch lebe", sagte Al-Bunni dem ECCHR. Er sei nicht mit den anderen politischen Gefangenen, sondern mit den Nichtpolitischen eingesperrt gewesen. Regimetreue Inhaftierte hätten eines Tages versucht, ihn von einem Balkon aus dem zweiten Stock zu stürzen. Er habe diesen Angriff nur durch die Hilfe anderer Mitgefangener überlebt.

Im Mai 2011 wurde Al-Bunni entlassen. Heute lebt er in Berlin. 2008 erhielt er den Front Line Defenders Award für Menschenrechtsverteidiger in Gefahr, im selben Jahr zeichnete ihn der Deutsche Richterbund mit dem Menschenrechtspreis aus. Ende 2018 wurde Al-Bunni mit dem Deutsch-Französischen Menschenrechtspreis geehrt.

Bases

Im Q&A finden Sie juristische Hintergrundinformationen rund um den Fall.

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