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KiK: Der Preis der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie Südasiens

Betroffene von Fabrikbrand in Pakistan verklagen KiK

Pakistan – Textilindustrie – KiK

Haftung statt Freiwilligkeit: Das fordern die Überlebenden und Hinterbliebenen des verheerenden Brandes in der Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi (Pakistan) bis heute. Am 11. September 2012 starben dort 258 Menschen, 32 wurden verletzt. Hauptkunde der Fabrik war nach eigenen Angaben der deutsche Textildiscounter KiK.

Deswegen reichten im März 2015 Muhammad Hanif, Muhammad Jabbir, Abdul Aziz Khan Yousuf Zai und Saeeda Khatoon, Überlebende und Hinterbliebene des Brands, beim Landgericht Dortmund Klage auf Schadensersatz gegen KiK ein. Im Januar 2019 wies das Gericht wegen Verjährung ab. KiK hatte zunächst einem Verjährungsverzicht zugestimmt, später aber darauf bestanden, dass dieser unwirksam sei. Nicht inhaltliche, sondern formale Gründe entschieden den Fall. Die entscheidenden Fragen zur Unternehmenshaftung blieben unbeantwortet.

El caso

Als Hauptkunde der Fabrik wäre es für KiK ein Leichtes gewesen, Brandschutzverbesserungen einzufordern. Das ist aber offenbar nicht geschehen. Damit ist KiK mitverantwortlich für die 258 Toten des Fabrikbrands. Deshalb forderten die Betroffenen je 30.000 Euro Schmerzensgeld von KiK. Das Verfahren gegen KiK sollte klar machen: Transnationale Unternehmen sind auch für die Arbeitsbedingungen in ihren Tochter- und Zulieferbetrieben im Ausland verantwortlich.

KiK gelang es, sich mit Verweis auf eine mögliche Verjährung im pakistanischen Recht seiner Sorgfaltspflicht und seiner Mitverantwortung für die 258 Toten in seiner Zulieferfabrik zu entziehen. Dem widersprachen das ECCHR und sein Partneranwalt Remo Klinger, der die pakistanischen Kläger*innen vor Gericht vertrat. Nach deutschem Recht sind die Ansprüche unstreitig nicht verjährt.

Die Klage, die das ECCHR mit der Betroffenenorganisation AEFFAA und der pakistanischen Gewerkschaft NTUF initiierte und die medico international unterstützte, war die erste dieser Art in Deutschland.

El marco

Im Dezember 2020 endete zudem die letzte gerichtliche Auseinandersetzung in Europa um den Ali-Enterprises-Brand, als der italienische Zertifizierer RINA in einem OECD-Mediationsverfahren in Italien seine Unterschrift verweigerte.

Die Erfahrungen aus der transnationalen Kooperation zwischen den Betroffenen, der pakistanischen Gewerkschaft NTUF, dem ECCHR und weiteren deutschen und europäischen Partnern werden im Frühjahr 2021 in einem Sammelband veröffentlicht. Die Publikation lässt Akteure aus Pakistan und Deutschland zu Wort kommen. Sie analysiert zudem, welche Rolle juristische Interventionen bei der Verteidigung sozialer Menschenrechte in globalen Zulieferketten haben können.

Media

Saeeda Khatoon verlor ihren Sohn bei dem Fabrikbrand in Karatschi. © Foto: ECCHR
Saeeda Khatoon verlor ihren Sohn bei dem Fabrikbrand in Karatschi. © Foto: ECCHR

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Personas

Muhammad Hanif, Muhammad Jabbir, Abdul Aziz Khan Yousuf Zai und Saeeda Khatoon reichten zusammen mit dem ECCHR eine Schadensersatzklage gegen KiK ein.

Muhammad Hanif hat den Brand überlebt. Doch seit dem Fabrikbrand hat er starke gesundheitliche Probleme, vor allem Atembeschwerden und Schmerzen in der Lunge. Muhammad Hanif arbeitete seit seinem neunten Lebensjahr für Ali Enterprises. Die Schule hatte er aus finanziellen Gründen nach vier Jahren abbrechen müssen. Seitdem arbeitete er als Maschinenbediener in der Fabrik. Als Maschinenbediener verdiente Muhammad Hanif bei Ali Enterprises monatlich etwa 18.000-20.000 pakistanische Rupien (etwa 155-175 Euro). Mit seinem Lohn ernährte er sich und seine Ehefrau.

Als das Feuer ausbrach, arbeitete Hanif gerade im ersten Stockwerk der Fabrik. Er erkannte die Gefahr und versuchte, das Gebäude sofort zu verlassen. Doch die Haupttreppe war versperrt, Notausgänge verschlossen. Überall waren Rauch und Feuer. Hanif wollte sich durch ein Fenster retten, doch das Eisengitter davor ließ sich nicht bewegen. Letztendlich gelang es ihm, einen Teil der Lüftungsanlage aus der Wand zu brechen und aus dem Gebäude zu springen. Einmal draußen, half er Kolleg*innen, das Gebäude ebenfalls durch das Loch der Lüftungsanlage zu verlassen.

Muhammad Hanif entkam dem Feuer. Doch er erlitt eine schwere Rauchvergiftung, lag drei Tage auf der Intensivstation. Zwei Monate lange hatte er solch akute Atemprobleme, dass er nicht einmal gehen konnte. Inzwischen kann er sich wieder selbstständig fortbewegen, doch wenn er längere Strecken zurücklegt, bekommt er schwere Atemnot und Lähmungserscheinungen an Händen und Füße. Die Schwierigkeiten beim Atmen und die Schmerzen in der Brust sind chronisch.

„Ich arbeite momentan in einer anderen Textilfabrik, die Ali Enterprises sehr ähnlich ist. Oft schaffe ich es jedoch nicht zur Arbeit, weil es mir schlecht geht. Auch meiner Leidenschaft – dem Tanzen – kann ich nicht mehr nachgehen. Vor dem Fabrikbrand bin ich oft als Tänzer im pakistanischen Fernsehen aufgetreten. Jetzt aber ist mein Gesundheitszustand so schlecht, dass ich nicht mehr tanzen kann. Es fehlt mir sehr“, sagte er im Gespräch mit ECCHR-Mitarbeiterinnen in Karatschi.

Saeeda Khatoon verlor am 11. September 2012 ihren einzigen 18-Jährigen Sohn M. Ejaz Ahmed. Er ging bis zur neunten Klasse in die Schule und arbeitete bereits seit vier Jahren – am Anfang noch neben der Schule – bei Ali Enterprises in der Schneiderei. Die 12.000 Rupien (entspricht etwa 100 Euro), die er verdiente, war die einzige Einkommensquelle der Familie.

Khatoon erfuhr etwa 15 Minuten nachdem das Feuer ausgebrochen war von dem Brand und rannte zur Fabrik: „Ich wollte nur noch wissen, wo mein Sohn ist. Alles brannte. Ich sah, dass Menschen in der Fabrik verbrannten. Sie waren in dem Gebäude gefangen. Nur ein paar Wenige schafften es, dem Feuer zu entkommen. Einige sprangen vom Dach, um ihr Leben zu retten. Die anderen verbrannten. Niemand konnte sie retten. Es war viel Sicherheitspersonal, Polizei und Paramilitär vor Ort. Aber keiner hat geholfen. Wir mussten mit ansehen, wie die Menschen vor unseren Augen starben. Am nächsten Mittag wurde der Zugang zur Fabrik freigegeben. Ich durfte die Fabrik nicht betreten. Die freiwilligen Helfer und andere Arbeiter, die meinen Sohn kannten, fanden ihn. Als sie die Leiche raustrugen, zeigten sie sie mir und sagten mir, sie hätten meinen Sohn auf der Treppe gefunden. Er arbeitete meist im Zwischengeschoss. Ich musste ihn dann im Krankenhaus identifizieren. Er hatte sein Gesicht er mit einem Teller schützen können, deswegen war es unversehrt. Der Rest des Körpers war komplett verbrannt.“

Nach Angaben von Khatoon kamen allein aus ihrer Nachbarschaft 17 junge Männer in der Fabrik um. „Es gibt fast keine Straße in Baldia, in der nicht eine Familie Opfer zu beklagen hat. Es war nicht nur mein Verlust, es war der Verlust unseres ganzen Viertels. Was kann es Schlimmeres geben, als das eigene Kind zu verlieren? Du hast ihm alles gegeben, Zeit, Geld, Liebe; in der Hoffnung, dass es irgendwann ein gutes Leben haben wird und dir vielleicht im Alter helfen kann. M. Ejaz Ahmed war mein einziger Sohn, ich weiß nicht, wie ich die letzten Jahre überstanden habe. Selbst alltägliche Arbeiten im Haushalt fielen mir anfange unendlich schwer. Es gab nichts in meinen Leben. Ich bekomme eine kleine Rente vom Staat, davon lebe ich“, berichtete Khatoon im Gespräch mit ECCHR-Mitarbeiterinnen.

„Entschädigungszahlungen waren für mich persönlich nicht das Hauptziel. Aber ich sehe, dass es anderen Familien finanziell sehr schlecht geht. Wir kämpfen im Rahmen der Organisation zusammen ebenfalls für die Probleme der anderen und wollen diese geklärt sehen. Ich möchte, dass keine Familie mehr solch einen Verlust durchstehen muss. Ich wollte sichergehen, dass das deutsche Unternehmen zur Verantwortung gezogen wird. Es sollte in Zukunft Regelungen für die Haftung von Unternehmen geben. So einen Vorfall darf es nie wieder geben. Ich bin froh, dass auch deutsche Anwält*innen uns unterstützten und unsere Klage in Deutschland einreichten. Gemeinsam kämpfen wir für bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Welt.“

Muhammad Jabbir verlor bei dem Fabrikbrand seinen Sohn Muhammad Jahanzab, 22 Jahr alt und seit 2008 als Maschinenbediener bei Ali Enterprises arbeitete. Der Verstorbene Muhammad Jahanzab verdiente bei Ali Enterprises 14.000-15.000 Rupien im Monat (etwa 120 Euro) und ernährte damit nicht nur sich und seinen Vater, sondern auch seinen Bruder, der nur 10.000 Rupien (etwa 85 Euro) verdiente. Am Tag des Fabrikbrands wartete der Vater auf den Lohn des Sohnes, um einige Grundnahrungsmittel für den Monat einkaufen zu können. Als der Vater von dem Brand erfuhr, eilte er zur Fabrik, doch die lag bereits in Schutt und Asche.

Der Tod des Sohnes hat Jabbir schwer getroffen – psychisch, gesundheitlich und finanziell. Die Beziehung zwischen ihm und seinen Söhnen war von jeher sehr eng. Da seine Frau vor 18 Jahren starb, sei er „Vater und Mutter zugleich“ gewesen, so Jabbir. Sein Gesundheitszustand hat sich seit dem Fabrikbrand massiv verschlechtert. Er leidet unter anderem an Bluthochdruck. Einer regelmäßigen Arbeit, die ihm die Existenz sichern könnte, kann er nicht nachgehen.

Jabbir ist Vorsitzender der Ali Enterprises Factory Fire Affectees Association (AEFFAA), der Organisation, in der sich Überlebende und Hinterbliebene des Fabrikbrands seit August 2014 organisiert haben.
„Nach dem Fabrikbrand haben zahlreiche NGOs angeboten, für unsere Rechte zu kämpfen. Letztendlich haben wir aber doch unsere eigene Organisation gegründet, die AEFFAA. Dank der Organisation haben fast 200 Familien der Opfer und die Überlebenden Kontakt miteinander. Wir trafen uns regelmäßig, um über den Stand der Verhandlungen zu diskutieren. Ich bin der Überzeugung, dass diese Vereinigung für uns sehr wichtig ist, wo doch so viele ihre Angehörigen sowie ihre finanzielle Sicherheit verloren haben“, sagte Jabbir in einem Gespräch mit ECCHR-Mitarbeiterinnen.

„Gemeinsam können wir besser für unsere Rechte kämpfen. Vorher hatte jede und jeder Einzelne versucht, mit den Behörden oder den Fabrikbesitzern zu verhandeln. Nun haben wir eine Plattform: Gemeinsam protestieren und demonstrieren wir. Gemeinsam haben wir uns an verschiedene Behörden gewandt und Entschädigungszahlungen verlangt.“

Entschädigungszahlungen sind aber nicht Hauptziel der Organisation, betont Jabbir. „Wir wollen erreichen, dass der Fabrikbrand nicht in Vergessenheit gerät. Vor allem aber wollen wir, dass es nie wieder einen Vorfall wie in Karatschi gibt. Wir sind auch nicht dagegen, dass deutsche Unternehmen hier produzieren. Im Gegenteil, wir wollen, dass mehr deutsche Unternehmen nach Pakistan kommen und bilaterale Verträge abschließen. Aber es muss Regelungen zu Sicherheitsvorkehrungen geben. Die Sicherheit der Arbeitnehmer muss gewährleistet sein.“

Abdul Aziz Khan Yousuf Zai versuchte, seinen Sohn Attaullah Nabeel Yousuf Zai aus dem brennenden Fabrikgebäude zu retten. Er fand nur noch die Leiche. Attaullah Nabeel Yousuf Zai war 17 Jahre alt und arbeitete seit drei Jahren bei Ali Enterprises, wo er als Maschinenbediener ausgebildet wurde und in dieser Position auch arbeitete. Auch der jüngere Bruder des Verstorbenen arbeitete bei Ali Enterprises, war am Unglückstag aber nicht in der Fabrik. Die beiden lebten bei den Eltern und hatten ein sehr enges Verhältnis zu ihnen. So kam Attaullah Nabeel Yousuf Zai regelmäßig mittags zum Essen nach Hause, da die Familie in der Nähe der Fabrik von Ali Enterprises wohnte. Sein Lohn von 15.000 Rupien (etwa 130 Euro) im Monat war unverzichtbar für die Familie.

Abdul Aziz Khan Yousuf Zai erfuhr über einem Nachbarn von dem Feuer. „Wir rannten zur Fabrik und sahen überall nur noch Feuer und Rauch. Niemand war da, um die Menschen aus dem Gebäude zu retten. Irgendwann kam dann die Feuerwehr, aber sie hatte nicht genug Wasser, um das Feuer zu löschen. Wir sahen Menschen bei lebendigem Leib verbrennen und sie schrien um Hilfe. Niemand konnte sie retten.“

Seit dem Tod des Sohnes hat sich Zais Gesundheit massiv verschlechtert. Die psychische Belastung und die finanziellen Sorgen haben zudem zu Diabetes und infolgedessen zu Sehstörungen geführt.

„Wir möchten, dass KiK nach Pakistan kommt und sieht, wie schwer es für uns ist. Wir möchten, dass das Unternehmen versteht, was passiert wenn es keine Sicherheitsvorkehrungen gibt.“

Bases

Dieses Q&A informiert über die rechtlichen Grundlagen der Klage gegen KiK.

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