In A.R.E. gegen Griechenland stellte das Gericht fest, dass Griechenland eine türkische Staatsangehörige zurückgeschoben hatte, ohne zuvor das Risiko zu erwägen, dem sie bei ihrer Rückkehr in die Türkei ausgesetzt wurde. Das Gericht sah es zudem als erwiesen, dass Griechenland die türkische Staatsangehörige vor dem Pushback rechtswidrig inhaftiert hatte. Der Pushback sei somit als zwangsweise Verschwindenlassen zu qualifizieren. Gegen diese Rechtsverletzung habe das griechische Rechtssystem keinen wirksamen Rechtsbehelf geboten.
Die Klage eines afghanischen unbegleiteten Minderjährigen (G.R.J. gegen Griechenland), der von griechischen Beamt*innen aus einem Flüchtlingslager entführt und auf ein Schlauchboot in der Ägäis gezwungen wurde, hielt das Gericht jedoch für unzulässig. Zwar erkannte das Gericht die extreme Schwierigkeit an, Beweise für geheime und illegal durchgeführte Pushbacks zu sammeln. Jedoch entschieden die Richter, dass der Beschwerdeführer keine ausreichenden Beweise für seine Zurückschiebung vorgelegt habe. Mit dieser Entscheidung fordert das Gericht ein nur äußerst schwer erfüllbares Maß an Beweisen, weswegen es in Zukunft deutlich schwerer wird, staatliche Aktuare für ihre Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen.
Weiterhin anhängig beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind derzeit Klagen gegen Griechenland von Antragsteller aus der Türkei, dem Irak, Iran, Tunesien, Palästina, Libanon, Syrien, der Zentralafrikanischen Republik, Kamerun, Kongo und Afghanistan. Unter ihnen ist u.a. eine syrische Familie mit Kleinkindern, die zuvor in der Polizei- und Grenzschutzstation Soufli im Norden Griechenlands festgehalten worden waren, bevor sie über den Grenzfluß Evros in die Türkei zurückgeschoben wurden. Die Menschenrechtsrechtsbeschwerden betreffen Zurückschiebungen, Misshandlungen und Inhaftierungen und machen Verletzungen gegen Artikel 2 (Recht auf Leben), Artikel 3 (Verbot der Folter), Artikel 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) und Artikel 13 (Recht auf wirksame Beschwerde) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geltend.
Unsere Drittintervention analysiert den fehlenden Zugang für Betroffene von Pushbacks zu wirksamen Ermittlungen auf nationaler Ebene bei potentiellen Verstößen gegen Artikel 2 und 3 der EMRK. Für die Stellungnahme wurden jahrzehntelange Berichte des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) sowie nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen ausgewertet. Sie verdeutlichen: Misshandlungen, unmenschliche und willkürliche Inhaftierungen sowie gewaltsamen Pushbacks sind Teil einer langjährigen und koordinierten Abschreckungspolitik gegenüber Schutzsuchenden und Migrant*innen, die mit einer Straffreiheit der Täter*innen einhergeht.
Die Drittintervention beschreibt bestehende strukturellen Hindernisse für Betroffene von Pushback-Operationen, um in Griechenland gegen griechische Polizist*innen und Grenzbeamt*innen vorzugehen und zeigt auf, dass der verdeckte und informelle Charakter der Operationen sowie der unsichere aufenthaltsrechtliche Status der Betroffenen und möglicher Zeug*innen effektive Untersuchungen vereiteln. Die Intervention hebt aber auch den Unwillen der griechischen Ermittler*innen, Staatsanwält*innen und Gerichte hervor, die verdeckten Grenzoperationen aufzuklären. Der fehlende Zugang zu wirksamen innerstaatlichen Rechtsmitteln trägt entscheidend zu der anhaltender Straflosigkeit bei und ermöglicht es Griechenland, die illegalen Pushbacks über Jahrzehnte hinweg fortzusetzten.
Das Phänomen des kurzfristigen Verschwindenlassens während eines Pushbacks wurde vom ECCHR in einer Einreichung an den UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen analysiert.