Strafanzeige Überlebender des Tigray-Konflikts gegen hochrangige äthiopische und eritreische Regierungs- und Militärbeamte

20.03.2025

Acht Überlebende des vergessenen Konflikts in Tigray, Äthiopien, darunter ein ehemaliger Mitarbeiter einer Hilfsorganisation und ein ehemaliger Beamter der Übergangsregierung, reichen eine wegweisende Strafanzeige bei der deutschen Bundesanwaltschaft ein. Darin werfen sie 12 hochrangigen äthiopischen und eritreischen Staats- und Militärbeamten vor, während des Konflikts Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.

Diese Überlebenden sind, wie Hunderttausende andere, Opfer und Zeug*innen sexualisierter Gewalt, willkürlicher Inhaftierung, Folter und Hunger. Bisher wurde ihnen der Zugang zu Gerechtigkeit verwehrt. Der Antrag an die deutsche Bundesanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren aufzunehmen, ist eine der wenigen Hoffnungen auf Aufklärung dieser Verbrechen für die Überlebenden, von denen einige aktuell in Deutschland leben.  

Der Konflikt in Tigray ist seit seinem Beginn im November 2020 von anhaltenden Vorwürfen von Grausamkeiten geprägt. Dazu zählen erzwungene Hungersnot, die Blockade humanitärer Hilfe, Massaker, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt, Folter und willkürliche Inhaftierung. Diese Verstöße und Missbräuche wurden größtenteils von äthiopischen und eritreischen Streitkräften sowie verbündeten Milizen, gegen Zivilist*innen in Tigray verübt, obwohl auch andere Konfliktparteien und Zivilist*innen anderer ethnischer Gruppen beteiligt waren. Eine breit zitierte Quelle schätzt die Zahl der Todesopfer des Konflikts auf 300.000 bis 800.000 Menschen.  

Die Klage der acht Überlebenden zielt darauf ab, Rechenschaft für einige dieser Grausamkeiten zu erlangen. Die Forderung nach einer Untersuchung der mutmaßlichen Verbrechen wurde von ihren Vertreter*innen Legal Action Worldwide (LAW) und Dr. Anna Oehmichen vorbereitet, unterstützt von Debevoise & Plimpton LLP und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Grundlage ist dabei das Weltrechtsprinzip, welches Staaten die strafrechtliche Verfolgung von im Ausland begangenen Völkerstraftaten ermöglicht.  

Deutsche Behörden haben das Weltrechtsprinzip bereits erfolgreich angewandt, um grausame Straftaten zu verfolgen, die in Syrien, Gambia und dem Irak begangen wurden. Die Betroffenen aus Tigray fordern nun ihr Recht auf ein gerichtliches Verfahren ein. Sollte die Klage zu einer Ermittlung führen, wäre das die erste ihrer Art.

 

Antonia Mulvey, Geschäftsführerin von Legal Action Worldwide: „Der Konflikt in Äthiopien war Schauplatz von Grausamkeiten eines selten gesehenen Ausmaßes. Dennoch haben die Überlebenden auch zwei Jahre nach dem Ende der aktiven Auseinandersetzung, noch keine Aussicht darauf, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Heute ist ein wichtiger Tag in ihrem mutigen Einsatz für Gerechtigkeit, mit dem sie die Welt auffordern zuzuhören und zu handeln.“

 

Catherine Amirfar, Co-Chair von Debevoise & Plimpton LLPs International Dispute Resolution and Public International Law Groups: „Es ist uns eine Ehre erneut mit LAW zusammenzuarbeiten, um Rechenschaft im Namen der Opfer des vergessenen Krieges in Tigray zu fordern. Wir hoffen, dass der deutsche Generalbundesanwalt unserer Aufforderung zur Ermittlung und Verfolgung der Verantwortlichen dieser schrecklichen Verbrechen nachgeht, da Äthiopien es fortwährend versäumt die Straftäter im eigenen Land zur Rechenschaft zu ziehen.“  

 

Dr. Anna Oehmichen, Gründerin von Oehmichen International: „Das Ausmaß und die Schwere der Vergehen in Tigray sind dramatisch – zwischen 300.000 und 800.000 Toten! Diese Verbrechen müssen untersucht und strafrechtlich verfolgt werden, nicht zuletzt, um den fortlaufenden Verstößen gegen internationales Recht ein Ende zu setzen und andere Staatsoberhäupter davon abzuhalten ähnlich verheerende Verbrechen zu begehen. Es ist dem LAW zuzurechnen, dass der Konflikt und seine Rahmenbedingungen, sowie einige spezifische Vergehen umfänglich untersucht und dem deutschen Generalbundesanwalt zugetragen wurden. Wir vertrauen darauf, dass der Generalbundesanwalt diesen Fall angemessen priorisieren wird.“  

 

Andreas Schüller, ECCHR, Co-Director des Programmbereichs Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung: „Wie in vielen anderen Konflikten, leben Zeug*innen und Überlebende auch in Deutschland. Deutsche Staatsanwält*innen  sollten die Beweise für ihre eigenen Ermittlungen und die anderer Staaten als Teil des internationalen Systems des Völkerstrafrechts sichern.“  

 

Hintergrund

Es handelt sich um die zweite Beschwerde, die von LAW und ihrem Partner Debevoise and Plimpton LLP im Namen der Überlebenden aus Tigray eingereicht wurde. Die erste wurde in Zusammenarbeit mit der Pan African Lawyers Union (PALU) bei der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und für die Völker eingereicht. Die Mitteilung der Afrikanischen Kommission ging an die Demokratische Bundesrepublik Äthiopien mit dem Vorwurf während des Konflikts gegen ihre Verpflichtungen aus der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker verstoßen zu haben. Im Oktober 2022 erließ die afrikanische Kommission vorläufige Sofortmaßahmen und drängte Äthiopien dazu alle Verstöße zu beenden, einschließlich außergerichtlicher Tötungen und sexueller Gewalt, um den Zugang für humanitäre Hilfe zu ermöglichen.  

Die Anzeige in Deutschland wurde im September 2024 beim Generalbundesanwalt eingereicht und wird mit einer weiteren Einreichung von Beweismitteln ergänzt [20. März 2025]. Der deutsche Generalbundesanwalt hat die Befähigung strukturelle Ermittlungen zu den ihm zur Kenntnis gebrachten mutmaßlichen Straftaten einzuleiten, individuelle Ermittlungen zu mutmaßlichen Straftätern durchzuführen und den Erlass von Haftbefehlen sowie strafrechtliche Verfolgungen zu fordern.  

 

Für Presseanfragen wenden Sie sich bitte an groh@legalactionworldwide.org

 

LAW ist eine unabhängige, gemeinnützige Organisation von Menschenrechtsanwält*innen und Jurist*innen, die in instabilen und konfliktbetroffenen Gebieten tätig sind. LAW bietet Opfern und Gemeinschaften, die unter Menschenrechtsverletzungen und -missbrauch in Afrika, dem Nahen Osten und Südasien leiden, Rechtshilfe.  

Dr. Anna Oehmichen, Rechtsanwältin, ist die Gründerin von Oehmichen International, einer Strafrechtskanzlei mit Sitz in Berlin, die sich unter anderem auf internationales Strafrecht, Menschenrechte und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen spezialisiert hat.

Debevoise and Plimpton LLP ist eine weltweit tätige Anwaltskanzlei mit Hauptsitz in New York, die auf dem Gebiet des internationalen öffentlichen Rechts tätig ist und unter anderem Parteien vor regionalen und internationalen Gerichten und Tribunalen vertritt. Debevoise berät LAW in diesem Verfahren pro bono.  

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To counter injustice with legal interventions – this is the aim and daily work of the European Center for Constitutional and Human Rights.

ECCHR is an independent, non-profit legal and educational organization dedicated to enforcing civil and human rights worldwide. It was founded in 2007 by Wolfgang Kaleck and other international human rights lawyers to protect and enforce the rights guaranteed by the Universal Declaration of Human Rights, as well as other human rights declarations and national constitutions, through legal means.

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